Einen oder Zween zu dir, auf daß alle Sache bestehe auf zweyer oder dreyer Zeugen Mund. Höret er aber auch diese nicht; So sag' es der Gemeinde. Höret er die Gemeinde nicht; So sey er dir wie ein Heid' und Zöllner. Verklage den Beleidiger nicht. Mach ihn nie anfangs öffentlich zu schanden. Versuch immer die gelindesten, sanftesten, Mittel. Es sey dir immer darum zu thun, -- deinen Bruder zu gewinnen, besser zu machen, zur Tugend und zur Erkenntniß der Wahrheit zurückzubringen. Wer beleidigen will, ist kein Christ. Wer am wehethun Freude hat, ist ein Bösewicht. Wer Böses mit Bösen vergilt, ist schwach. Suche den Schwachen zu stärken, daß er das ihm zugefügte Uebel ertragen ler- ne, und den Bösen gut zu machen -- das heißt, mach ihn mit der Freude bekannt, die allen edeln Seelen zur Natur geworden ist, Freude zu machen. Gehe dem Beleidiger entgegen. Thue du den ersten Schritt. "Bruder! Wie hast du's gemeint? Dieß Wort war &q;hart, was du wider mich sagtest oder schriebest. Mir &q;kömmt's lieblos und unbrüderlich vor. Bruder! Mey- &q;nest du nicht, es wäre edler, menschenfreundlicher, &q;christlicher, das heißt, dem Geiste der Liebe gemässer, &q;und unserm gemeinschaftlichen Herrn gefälliger gewe- &q;sen, wenn du es nicht ausgesprochen, nicht geschrie- &q;ben -- wenn du mit diesem harten richtenden Urtheil &q;an dich gehalten hättest? Bruder! -- Sey Bruder! &q;Mensch -- sey Mensch! Ist es dir um meine. Besse- &q;rung zu thun; Komm und warne mich brüderlich.
&q;Sag'
Matthäus XVIII.
Einen oder Zween zu dir, auf daß alle Sache beſtehe auf zweyer oder dreyer Zeugen Mund. Höret er aber auch dieſe nicht; So ſag’ es der Gemeinde. Höret er die Gemeinde nicht; So ſey er dir wie ein Heid’ und Zöllner. Verklage den Beleidiger nicht. Mach ihn nie anfangs öffentlich zu ſchanden. Verſuch immer die gelindeſten, ſanfteſten, Mittel. Es ſey dir immer darum zu thun, — deinen Bruder zu gewinnen, beſſer zu machen, zur Tugend und zur Erkenntniß der Wahrheit zurückzubringen. Wer beleidigen will, iſt kein Chriſt. Wer am wehethun Freude hat, iſt ein Böſewicht. Wer Böſes mit Böſen vergilt, iſt ſchwach. Suche den Schwachen zu ſtärken, daß er das ihm zugefügte Uebel ertragen ler- ne, und den Böſen gut zu machen — das heißt, mach ihn mit der Freude bekannt, die allen edeln Seelen zur Natur geworden iſt, Freude zu machen. Gehe dem Beleidiger entgegen. Thue du den erſten Schritt. „Bruder! Wie haſt du’s gemeint? Dieß Wort war &q;hart, was du wider mich ſagteſt oder ſchriebeſt. Mir &q;kömmt’s lieblos und unbrüderlich vor. Bruder! Mey- &q;neſt du nicht, es wäre edler, menſchenfreundlicher, &q;chriſtlicher, das heißt, dem Geiſte der Liebe gemäſſer, &q;und unſerm gemeinſchaftlichen Herrn gefälliger gewe- &q;ſen, wenn du es nicht ausgeſprochen, nicht geſchrie- &q;ben — wenn du mit dieſem harten richtenden Urtheil &q;an dich gehalten hätteſt? Bruder! — Sey Bruder! &q;Menſch — ſey Menſch! Iſt es dir um meine. Beſſe- &q;rung zu thun; Komm und warne mich brüderlich.
&q;Sag’
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[262[282]/0290]
Matthäus XVIII.
Einen oder Zween zu dir, auf daß alle Sache
beſtehe auf zweyer oder dreyer Zeugen Mund.
Höret er aber auch dieſe nicht; So ſag’ es der
Gemeinde. Höret er die Gemeinde nicht; So
ſey er dir wie ein Heid’ und Zöllner. Verklage den
Beleidiger nicht. Mach ihn nie anfangs öffentlich zu
ſchanden. Verſuch immer die gelindeſten, ſanfteſten,
Mittel. Es ſey dir immer darum zu thun, — deinen
Bruder zu gewinnen, beſſer zu machen, zur Tugend und
zur Erkenntniß der Wahrheit zurückzubringen. Wer
beleidigen will, iſt kein Chriſt. Wer am wehethun
Freude hat, iſt ein Böſewicht. Wer Böſes mit
Böſen vergilt, iſt ſchwach. Suche den Schwachen zu
ſtärken, daß er das ihm zugefügte Uebel ertragen ler-
ne, und den Böſen gut zu machen — das heißt, mach
ihn mit der Freude bekannt, die allen edeln Seelen zur
Natur geworden iſt, Freude zu machen. Gehe dem
Beleidiger entgegen. Thue du den erſten Schritt.
„Bruder! Wie haſt du’s gemeint? Dieß Wort war
&q;hart, was du wider mich ſagteſt oder ſchriebeſt. Mir
&q;kömmt’s lieblos und unbrüderlich vor. Bruder! Mey-
&q;neſt du nicht, es wäre edler, menſchenfreundlicher,
&q;chriſtlicher, das heißt, dem Geiſte der Liebe gemäſſer,
&q;und unſerm gemeinſchaftlichen Herrn gefälliger gewe-
&q;ſen, wenn du es nicht ausgeſprochen, nicht geſchrie-
&q;ben — wenn du mit dieſem harten richtenden Urtheil
&q;an dich gehalten hätteſt? Bruder! — Sey Bruder!
&q;Menſch — ſey Menſch! Iſt es dir um meine. Beſſe-
&q;rung zu thun; Komm und warne mich brüderlich.
&q;Sag’
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Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783, S. 262[282]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783/290>, abgerufen am 25.11.2024.
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