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Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783.

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Reinigung des Tempels.
Kirche, die Gemeine -- und jede einzele Seele, oft durch
ernstliche Züchtigungen von allem ungöttlichen, wider-
göttlichen Wesen. Wer hierüber, als eine mystische
Deutung lachen mag, lache auch über das Wort Jesu
-- Werd' Ich dich nicht waschen (und reinigen
und waschen werden doch wohl nicht zwey so sehr ver-
schiedene Dinge seyn?) Werd' Ich dich nicht wa-Joh. XIII. 8
schen, so hast du keinen Theil mit mir.

3. Der Vorhof des Tempels, wo diese Unanstän-
digkeiten vorgiengen, war besonders für Fremdlinge,
für Proselyten aus den Heiden zur öffentlichen Anbe-
tung des Gottes Israels bestimmt -- darum hieß es ein
Bethhaus für alle Völker.

4. Das Volk war durch die Auferweckung Laza-
rus, durch scinen feyerlichen Einzug, durch diese Hand-
lung des übermenschlichen Ansehens, durch die hülfrei-
che, liebevolle Wunderthaten, die Er unmittelbar an
dieser entheiligten nun freyen Stelle verrichtete, so be-
geistert für Ihn, daß dadurch der Neid und die Wuth
der Priesterschaft gegen Ihn aufs äusserste stieg. --
Und durch dieß alles zusammen, beschleunigte sich sei-
ne Stunde
-- unter diesen heftigen Gemüthsbewegun-
gen reifte der Entschluß, Ihn sobald wie möglich aus
dem Wege zu räumen. Die besten Thaten der guten
Menschen reitzen die Bösen am kräftigsten zum Bösen.
Daran erkenne, ob du gut oder böse bist. Du bist gut,
wenn du am Guten Freude hast, wenn es auch durch
einen Andern gethan wird. Du bist ein Bösewicht,

wenn
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Reinigung des Tempels.
Kirche, die Gemeine — und jede einzele Seele, oft durch
ernſtliche Züchtigungen von allem ungöttlichen, wider-
göttlichen Weſen. Wer hierüber, als eine myſtiſche
Deutung lachen mag, lache auch über das Wort Jeſu
Werd’ Ich dich nicht waſchen (und reinigen
und waſchen werden doch wohl nicht zwey ſo ſehr ver-
ſchiedene Dinge ſeyn?) Werd’ Ich dich nicht wa-Joh. XIII. 8
ſchen, ſo haſt du keinen Theil mit mir.

3. Der Vorhof des Tempels, wo dieſe Unanſtän-
digkeiten vorgiengen, war beſonders für Fremdlinge,
für Proſelyten aus den Heiden zur öffentlichen Anbe-
tung des Gottes Iſraels beſtimmt — darum hieß es ein
Bethhaus für alle Völker.

4. Das Volk war durch die Auferweckung Laza-
rus, durch ſcinen feyerlichen Einzug, durch dieſe Hand-
lung des übermenſchlichen Anſehens, durch die hülfrei-
che, liebevolle Wunderthaten, die Er unmittelbar an
dieſer entheiligten nun freyen Stelle verrichtete, ſo be-
geiſtert für Ihn, daß dadurch der Neid und die Wuth
der Prieſterſchaft gegen Ihn aufs äuſſerſte ſtieg. —
Und durch dieß alles zuſammen, beſchleunigte ſich ſei-
ne Stunde
— unter dieſen heftigen Gemüthsbewegun-
gen reifte der Entſchluß, Ihn ſobald wie möglich aus
dem Wege zu räumen. Die beſten Thaten der guten
Menſchen reitzen die Böſen am kräftigſten zum Böſen.
Daran erkenne, ob du gut oder böſe biſt. Du biſt gut,
wenn du am Guten Freude haſt, wenn es auch durch
einen Andern gethan wird. Du biſt ein Böſewicht,

wenn
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[307[327]/0335] Reinigung des Tempels. Kirche, die Gemeine — und jede einzele Seele, oft durch ernſtliche Züchtigungen von allem ungöttlichen, wider- göttlichen Weſen. Wer hierüber, als eine myſtiſche Deutung lachen mag, lache auch über das Wort Jeſu — Werd’ Ich dich nicht waſchen (und reinigen und waſchen werden doch wohl nicht zwey ſo ſehr ver- ſchiedene Dinge ſeyn?) Werd’ Ich dich nicht wa- ſchen, ſo haſt du keinen Theil mit mir. Joh. XIII. 8 3. Der Vorhof des Tempels, wo dieſe Unanſtän- digkeiten vorgiengen, war beſonders für Fremdlinge, für Proſelyten aus den Heiden zur öffentlichen Anbe- tung des Gottes Iſraels beſtimmt — darum hieß es ein Bethhaus für alle Völker. 4. Das Volk war durch die Auferweckung Laza- rus, durch ſcinen feyerlichen Einzug, durch dieſe Hand- lung des übermenſchlichen Anſehens, durch die hülfrei- che, liebevolle Wunderthaten, die Er unmittelbar an dieſer entheiligten nun freyen Stelle verrichtete, ſo be- geiſtert für Ihn, daß dadurch der Neid und die Wuth der Prieſterſchaft gegen Ihn aufs äuſſerſte ſtieg. — Und durch dieß alles zuſammen, beſchleunigte ſich ſei- ne Stunde — unter dieſen heftigen Gemüthsbewegun- gen reifte der Entſchluß, Ihn ſobald wie möglich aus dem Wege zu räumen. Die beſten Thaten der guten Menſchen reitzen die Böſen am kräftigſten zum Böſen. Daran erkenne, ob du gut oder böſe biſt. Du biſt gut, wenn du am Guten Freude haſt, wenn es auch durch einen Andern gethan wird. Du biſt ein Böſewicht, wenn U 2

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783, S. 307[327]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783/335>, abgerufen am 24.11.2024.