Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783.

Bild:
<< vorherige Seite

Verkürzung der Tage des Jammers.
&q;te. Je schrecklicher die allgemeine Noth ward, um so
&q;wüthender ward auch die Wuth der drey Partheyen --
&q;Sie drangen in die Häuser ein, schlugen die Bewoh-
&q;ner todt und raubten die vorhandenen Lebensmittel.
&q;Fanden sie keine, so thaten sie den Leuten die äusserste
&q;Marter an, unter dem Vorwande, sie hätten Lebens-
&q;mittel versteckt."

"Viele von den Belagerten, die sich in das römi-V. B. 13. C.
b. 3.

&q;sche Lager flüchteten, wurden von den Soldaten, die
&q;sich einbildeten, sie hätten eine Menge Gold verschluckt,
&q;elender Weise ermordet. Zweytausend Juden wurden,
&q;um diese vermeynten Schätze zu finden, in einer Nacht
&q;aufgeschnitten. In der Stadt wüthete die Pest so
&q;entsetzlich, daß in Zeit von drey Monaten hundert
&q;und funfzehntausend und achthundert Leichname von
&q;armen Leuten zum Thor hinausgeschafft wurden --
&q;Sechshunderttausend warf man über die Stadtmau-
&q;ren in tiefe Thäler herab -- und noch gab es ganze
&q;Häuser voll übereinander gelegter Leichname. Endlich
&q;nahm der Hunger so sehr überhand, daß die Solda-
&q;ten genöthigt waren, Kuhmist, lederne Gürtel, Schu-
&q;he, Baumreiser und Heu zu essen. Die Weiber ris-
&q;sen ihren Männern, Kinder den Eltern, Mütter den
&q;Kindern den Bissen aus dem Munde. Eine vorneh-
&q;me Frau kochte ihr eigenes Kind." --

187.
Verkürzung der Tage des Jammers.

Wenn diese Tage nicht verkürzt würden, soMatth.
XXIV. 22.

würde kein Fleisch seelig, kein Leben gerettet wer-

den.

Verkürzung der Tage des Jammers.
&q;te. Je ſchrecklicher die allgemeine Noth ward, um ſo
&q;wüthender ward auch die Wuth der drey Partheyen —
&q;Sie drangen in die Häuſer ein, ſchlugen die Bewoh-
&q;ner todt und raubten die vorhandenen Lebensmittel.
&q;Fanden ſie keine, ſo thaten ſie den Leuten die äuſſerſte
&q;Marter an, unter dem Vorwande, ſie hätten Lebens-
&q;mittel verſteckt.„

„Viele von den Belagerten, die ſich in das römi-V. B. 13. C.
b. 3.

&q;ſche Lager flüchteten, wurden von den Soldaten, die
&q;ſich einbildeten, ſie hätten eine Menge Gold verſchluckt,
&q;elender Weiſe ermordet. Zweytauſend Juden wurden,
&q;um dieſe vermeynten Schätze zu finden, in einer Nacht
&q;aufgeſchnitten. In der Stadt wüthete die Peſt ſo
&q;entſetzlich, daß in Zeit von drey Monaten hundert
&q;und funfzehntauſend und achthundert Leichname von
&q;armen Leuten zum Thor hinausgeſchafft wurden —
&q;Sechshunderttauſend warf man über die Stadtmau-
&q;ren in tiefe Thäler herab — und noch gab es ganze
&q;Häuſer voll übereinander gelegter Leichname. Endlich
&q;nahm der Hunger ſo ſehr überhand, daß die Solda-
&q;ten genöthigt waren, Kuhmiſt, lederne Gürtel, Schu-
&q;he, Baumreiſer und Heu zu eſſen. Die Weiber riſ-
&q;ſen ihren Männern, Kinder den Eltern, Mütter den
&q;Kindern den Biſſen aus dem Munde. Eine vorneh-
&q;me Frau kochte ihr eigenes Kind.„ —

187.
Verkürzung der Tage des Jammers.

Wenn dieſe Tage nicht verkürzt würden, ſoMatth.
XXIV. 22.

würde kein Fleiſch ſeelig, kein Leben gerettet wer-

den.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0425" n="397[417]"/><fw place="top" type="header">Verkürzung der Tage des Jammers.</fw><lb/>
&amp;q;te. Je &#x017F;chrecklicher die allgemeine Noth ward, um &#x017F;o<lb/>
&amp;q;wüthender ward auch die Wuth der drey Partheyen &#x2014;<lb/>
&amp;q;Sie drangen in die Häu&#x017F;er ein, &#x017F;chlugen die Bewoh-<lb/>
&amp;q;ner todt und raubten die vorhandenen Lebensmittel.<lb/>
&amp;q;Fanden &#x017F;ie keine, &#x017F;o thaten &#x017F;ie den Leuten die äu&#x017F;&#x017F;er&#x017F;te<lb/>
&amp;q;Marter an, unter dem Vorwande, &#x017F;ie hätten Lebens-<lb/>
&amp;q;mittel ver&#x017F;teckt.&#x201E;</p><lb/>
            <p>&#x201E;Viele von den Belagerten, die &#x017F;ich in das römi-<note place="right"><hi rendition="#aq">V.</hi> B. 13. C.<lb/>
b. 3.</note><lb/>
&amp;q;&#x017F;che Lager flüchteten, wurden von den Soldaten, die<lb/>
&amp;q;&#x017F;ich einbildeten, &#x017F;ie hätten eine Menge Gold ver&#x017F;chluckt,<lb/>
&amp;q;elender Wei&#x017F;e ermordet. Zweytau&#x017F;end Juden wurden,<lb/>
&amp;q;um die&#x017F;e vermeynten Schätze zu finden, in einer Nacht<lb/>
&amp;q;aufge&#x017F;chnitten. In der Stadt wüthete die Pe&#x017F;t &#x017F;o<lb/>
&amp;q;ent&#x017F;etzlich, daß in Zeit von drey Monaten hundert<lb/>
&amp;q;und funfzehntau&#x017F;end und achthundert Leichname von<lb/>
&amp;q;armen Leuten zum Thor hinausge&#x017F;chafft wurden &#x2014;<lb/>
&amp;q;Sechshunderttau&#x017F;end warf man über die Stadtmau-<lb/>
&amp;q;ren in tiefe Thäler herab &#x2014; und noch gab es ganze<lb/>
&amp;q;Häu&#x017F;er voll übereinander gelegter Leichname. Endlich<lb/>
&amp;q;nahm der Hunger &#x017F;o &#x017F;ehr überhand, daß die Solda-<lb/>
&amp;q;ten genöthigt waren, Kuhmi&#x017F;t, lederne Gürtel, Schu-<lb/>
&amp;q;he, Baumrei&#x017F;er und Heu zu e&#x017F;&#x017F;en. Die Weiber ri&#x017F;-<lb/>
&amp;q;&#x017F;en ihren Männern, Kinder den Eltern, Mütter den<lb/>
&amp;q;Kindern den Bi&#x017F;&#x017F;en aus dem Munde. Eine vorneh-<lb/>
&amp;q;me Frau kochte ihr eigenes Kind.&#x201E; &#x2014;</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>187.<lb/>
Verkürzung der Tage des Jammers.</head><lb/>
            <p><hi rendition="#fr">Wenn die&#x017F;e Tage nicht verkürzt würden, &#x017F;o</hi><note place="right">Matth.<lb/><hi rendition="#aq">XXIV.</hi> 22.</note><lb/><hi rendition="#fr">würde kein Flei&#x017F;ch &#x017F;eelig,</hi> kein Leben gerettet <hi rendition="#fr">wer-</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#fr">den.</hi></fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[397[417]/0425] Verkürzung der Tage des Jammers. &q;te. Je ſchrecklicher die allgemeine Noth ward, um ſo &q;wüthender ward auch die Wuth der drey Partheyen — &q;Sie drangen in die Häuſer ein, ſchlugen die Bewoh- &q;ner todt und raubten die vorhandenen Lebensmittel. &q;Fanden ſie keine, ſo thaten ſie den Leuten die äuſſerſte &q;Marter an, unter dem Vorwande, ſie hätten Lebens- &q;mittel verſteckt.„ „Viele von den Belagerten, die ſich in das römi- &q;ſche Lager flüchteten, wurden von den Soldaten, die &q;ſich einbildeten, ſie hätten eine Menge Gold verſchluckt, &q;elender Weiſe ermordet. Zweytauſend Juden wurden, &q;um dieſe vermeynten Schätze zu finden, in einer Nacht &q;aufgeſchnitten. In der Stadt wüthete die Peſt ſo &q;entſetzlich, daß in Zeit von drey Monaten hundert &q;und funfzehntauſend und achthundert Leichname von &q;armen Leuten zum Thor hinausgeſchafft wurden — &q;Sechshunderttauſend warf man über die Stadtmau- &q;ren in tiefe Thäler herab — und noch gab es ganze &q;Häuſer voll übereinander gelegter Leichname. Endlich &q;nahm der Hunger ſo ſehr überhand, daß die Solda- &q;ten genöthigt waren, Kuhmiſt, lederne Gürtel, Schu- &q;he, Baumreiſer und Heu zu eſſen. Die Weiber riſ- &q;ſen ihren Männern, Kinder den Eltern, Mütter den &q;Kindern den Biſſen aus dem Munde. Eine vorneh- &q;me Frau kochte ihr eigenes Kind.„ — V. B. 13. C. b. 3. 187. Verkürzung der Tage des Jammers. Wenn dieſe Tage nicht verkürzt würden, ſo würde kein Fleiſch ſeelig, kein Leben gerettet wer- den. Matth. XXIV. 22.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783/425
Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783, S. 397[417]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783/425>, abgerufen am 01.09.2024.