weit abgeführter Menschen -- -- Welche unnennba- re Angst mußte das dem reinen empfindlichen und Lie- bevollen Herzen unsers Herrn verursachen! Wie oft kann eine einzige niederträchtige Gesinnung, eine einzi- ge schwarze That eines uns bekannten oder allenfalls auch unbekannten Menschen, einem guten empfindlichen Herzen die bittersten, namenlosesten Leiden verursachen! Man denke, wenn man denken kann, wie unendlich viel unser Herr bloß von dieser Seite zu leiden hatte. --
Auch wissen wir gar nicht, wie Jesus gewisse Stufen seines Leidens, oder seinen Tod selbst aus einem ganz andern Gesichtspunkt angesehen haben kann, als jeder andre Mensch, der den Saamen der Sünde und des Todes in seiner Natur hat. Wir wissen nicht, wel- che Macht dem Versucher am Ende seines Lebens über Ihn gegeben war.
Zwo Sachen sind dem Christen gewiß, die er bey dieser Geschichte nie aus den Gedanken verlieren soll; Die Eine: Sünde, Uebertretung des göttlichen Gese- tzes; Handlungen gegen seine eigene Ueberzeugung ziehen schreckliche Aengste nach sich; Und die Andre: Chri- stus hatte nie gesündigt. Was Er also immer litt, litt Er unschuldiger, als kein unschuldig leidender je leiden kann. Er litt es, im strengsten Sinne des Wor- tes -- um anderer willen, die Sünder waren. Wer leidet, und durchaus nicht um Seinetwillen leiden kann -- muß um anderer willen leiden. Wem angst wird, der leidet. Wem nicht um seiner selbst willen bange werden kann; Dem muß um anderer willen bange seyn
-- wenn
Seelenangſt Jeſu.
weit abgeführter Menſchen — — Welche unnennba- re Angſt mußte das dem reinen empfindlichen und Lie- bevollen Herzen unſers Herrn verurſachen! Wie oft kann eine einzige niederträchtige Geſinnung, eine einzi- ge ſchwarze That eines uns bekannten oder allenfalls auch unbekannten Menſchen, einem guten empfindlichen Herzen die bitterſten, namenloſeſten Leiden verurſachen! Man denke, wenn man denken kann, wie unendlich viel unſer Herr bloß von dieſer Seite zu leiden hatte. —
Auch wiſſen wir gar nicht, wie Jeſus gewiſſe Stufen ſeines Leidens, oder ſeinen Tod ſelbſt aus einem ganz andern Geſichtspunkt angeſehen haben kann, als jeder andre Menſch, der den Saamen der Sünde und des Todes in ſeiner Natur hat. Wir wiſſen nicht, wel- che Macht dem Verſucher am Ende ſeines Lebens über Ihn gegeben war.
Zwo Sachen ſind dem Chriſten gewiß, die er bey dieſer Geſchichte nie aus den Gedanken verlieren ſoll; Die Eine: Sünde, Uebertretung des göttlichen Geſe- tzes; Handlungen gegen ſeine eigene Ueberzeugung ziehen ſchreckliche Aengſte nach ſich; Und die Andre: Chri- ſtus hatte nie geſündigt. Was Er alſo immer litt, litt Er unſchuldiger, als kein unſchuldig leidender je leiden kann. Er litt es, im ſtrengſten Sinne des Wor- tes — um anderer willen, die Sünder waren. Wer leidet, und durchaus nicht um Seinetwillen leiden kann — muß um anderer willen leiden. Wem angſt wird, der leidet. Wem nicht um ſeiner ſelbſt willen bange werden kann; Dem muß um anderer willen bange ſeyn
— wenn
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0491"n="463[483]"/><fwplace="top"type="header">Seelenangſt Jeſu.</fw><lb/>
weit abgeführter Menſchen —— Welche unnennba-<lb/>
re Angſt mußte das dem reinen empfindlichen und Lie-<lb/>
bevollen Herzen unſers Herrn verurſachen! Wie oft<lb/>
kann eine einzige niederträchtige Geſinnung, eine einzi-<lb/>
ge ſchwarze That eines uns bekannten oder allenfalls<lb/>
auch unbekannten Menſchen, einem guten empfindlichen<lb/>
Herzen die bitterſten, namenloſeſten Leiden verurſachen!<lb/>
Man denke, wenn man denken kann, wie unendlich viel<lb/>
unſer Herr bloß von dieſer Seite zu leiden hatte. —</p><lb/><p>Auch wiſſen wir gar nicht, <hirendition="#fr">wie</hi> Jeſus gewiſſe<lb/>
Stufen ſeines Leidens, oder ſeinen Tod ſelbſt aus einem<lb/>
ganz andern Geſichtspunkt angeſehen haben kann, als<lb/>
jeder andre Menſch, der den Saamen der Sünde und<lb/>
des Todes in ſeiner Natur hat. Wir wiſſen nicht, wel-<lb/>
che Macht dem Verſucher am Ende ſeines Lebens über<lb/>
Ihn gegeben war.</p><lb/><p>Zwo Sachen ſind dem Chriſten gewiß, die er bey<lb/>
dieſer Geſchichte nie aus den Gedanken verlieren ſoll;<lb/>
Die <hirendition="#fr">Eine:</hi> Sünde, Uebertretung des göttlichen Geſe-<lb/>
tzes; Handlungen gegen ſeine eigene Ueberzeugung ziehen<lb/><hirendition="#fr">ſchreckliche</hi> Aengſte nach ſich; Und die <hirendition="#fr">Andre: Chri-<lb/>ſtus</hi> hatte nie geſündigt. Was Er alſo immer litt,<lb/>
litt Er unſchuldiger, als kein unſchuldig leidender je<lb/>
leiden kann. Er litt es, im ſtrengſten Sinne des Wor-<lb/>
tes — um <hirendition="#fr">anderer</hi> willen, die Sünder waren. Wer<lb/><hirendition="#fr">leidet,</hi> und durchaus nicht um Seinetwillen leiden kann<lb/>— muß um anderer willen leiden. Wem angſt wird,<lb/>
der leidet. Wem nicht um ſeiner ſelbſt willen bange<lb/>
werden kann; Dem muß um anderer willen bange ſeyn<lb/><fwplace="bottom"type="catch">— wenn</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[463[483]/0491]
Seelenangſt Jeſu.
weit abgeführter Menſchen — — Welche unnennba-
re Angſt mußte das dem reinen empfindlichen und Lie-
bevollen Herzen unſers Herrn verurſachen! Wie oft
kann eine einzige niederträchtige Geſinnung, eine einzi-
ge ſchwarze That eines uns bekannten oder allenfalls
auch unbekannten Menſchen, einem guten empfindlichen
Herzen die bitterſten, namenloſeſten Leiden verurſachen!
Man denke, wenn man denken kann, wie unendlich viel
unſer Herr bloß von dieſer Seite zu leiden hatte. —
Auch wiſſen wir gar nicht, wie Jeſus gewiſſe
Stufen ſeines Leidens, oder ſeinen Tod ſelbſt aus einem
ganz andern Geſichtspunkt angeſehen haben kann, als
jeder andre Menſch, der den Saamen der Sünde und
des Todes in ſeiner Natur hat. Wir wiſſen nicht, wel-
che Macht dem Verſucher am Ende ſeines Lebens über
Ihn gegeben war.
Zwo Sachen ſind dem Chriſten gewiß, die er bey
dieſer Geſchichte nie aus den Gedanken verlieren ſoll;
Die Eine: Sünde, Uebertretung des göttlichen Geſe-
tzes; Handlungen gegen ſeine eigene Ueberzeugung ziehen
ſchreckliche Aengſte nach ſich; Und die Andre: Chri-
ſtus hatte nie geſündigt. Was Er alſo immer litt,
litt Er unſchuldiger, als kein unſchuldig leidender je
leiden kann. Er litt es, im ſtrengſten Sinne des Wor-
tes — um anderer willen, die Sünder waren. Wer
leidet, und durchaus nicht um Seinetwillen leiden kann
— muß um anderer willen leiden. Wem angſt wird,
der leidet. Wem nicht um ſeiner ſelbſt willen bange
werden kann; Dem muß um anderer willen bange ſeyn
— wenn
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang:
Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783, S. 463[483]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783/491>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.