-- wenn seine Seele um und um bis auf den Tod bekümmert ist. Die Sünden anderer also mußten Ihm bange machen, da es unmöglich war, daß eigene felbstbegangene Sünden Ihm hätten bange machen kön- nen. In diesem Sinne konnte Er doch ziemlich buch- stäblich die Sünden der Welt tragen. Je unem- pfindlicher und gleichgültiger die Menschen gegen Tu- gend und Laster, gegen Belohnungen und Strafen der Zukunft waren und sind -- desto weniger gleichgültig, desto empfindlicher mußte Er dagegen seyn -- wenn Ihn nichts gedrückt hätte, als diese allgemeine Schlafsucht und Gleichgültigkeit der Menschen, wie unermeßlich viel hätte Er schon in einem einzigen Momente, wo sich das Ihm klärer als je, gleichsam in Einer Summe dar- stellt -- bloß daran zu tragen gehabt. --
2. Aber wie verhält sich Jesus unter der unge- heuren Last peinlicher Vorstellungen, die sich in seiner Seele heisser als nie, zusammen drängten? Er bethet. Er beugt seine Kniee vor dem Allmächtigen; Er neigt sein Angesicht zur Erde vor seinem Vater. Sein Va- ter ist allmächtig; Der Allmächtige ist sein Vater. Der Allerbeste kann alles. Der alles kann, will das Allerbeste. Der Allmächtige Vater hat sein Schicksal in seiner Hand. Er kann den bittern Kelch der Lei- den (Schönes Bild -- Leiden ist ein Kelch voll Arzney) von Ihm nehmen. Aber, Er will es nicht erzwingen, nicht erstürmen. Kindlich dehmüthig schmiegt Er sich unter den weisesten Willen des Vaters. -- -- Doch nicht mein, sondern dein Wille geschehe!
Nicht,
Matthäus XXVI.
— wenn ſeine Seele um und um bis auf den Tod bekümmert iſt. Die Sünden anderer alſo mußten Ihm bange machen, da es unmöglich war, daß eigene felbſtbegangene Sünden Ihm hätten bange machen kön- nen. In dieſem Sinne konnte Er doch ziemlich buch- ſtäblich die Sünden der Welt tragen. Je unem- pfindlicher und gleichgültiger die Menſchen gegen Tu- gend und Laſter, gegen Belohnungen und Strafen der Zukunft waren und ſind — deſto weniger gleichgültig, deſto empfindlicher mußte Er dagegen ſeyn — wenn Ihn nichts gedrückt hätte, als dieſe allgemeine Schlafſucht und Gleichgültigkeit der Menſchen, wie unermeßlich viel hätte Er ſchon in einem einzigen Momente, wo ſich das Ihm klärer als je, gleichſam in Einer Summe dar- ſtellt — bloß daran zu tragen gehabt. —
2. Aber wie verhält ſich Jeſus unter der unge- heuren Laſt peinlicher Vorſtellungen, die ſich in ſeiner Seele heiſſer als nie, zuſammen drängten? Er bethet. Er beugt ſeine Kniee vor dem Allmächtigen; Er neigt ſein Angeſicht zur Erde vor ſeinem Vater. Sein Va- ter iſt allmächtig; Der Allmächtige iſt ſein Vater. Der Allerbeſte kann alles. Der alles kann, will das Allerbeſte. Der Allmächtige Vater hat ſein Schickſal in ſeiner Hand. Er kann den bittern Kelch der Lei- den (Schönes Bild — Leiden iſt ein Kelch voll Arzney) von Ihm nehmen. Aber, Er will es nicht erzwingen, nicht erſtürmen. Kindlich dehmüthig ſchmiegt Er ſich unter den weiſeſten Willen des Vaters. — — Doch nicht mein, ſondern dein Wille geſchehe!
Nicht,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0492"n="464[484]"/><fwplace="top"type="header">Matthäus <hirendition="#aq">XXVI.</hi></fw><lb/>— wenn <hirendition="#fr">ſeine Seele um und um bis auf den Tod<lb/>
bekümmert iſt.</hi> Die <hirendition="#fr">Sünden anderer</hi> alſo mußten<lb/>
Ihm bange machen, da es unmöglich war, daß eigene<lb/>
felbſtbegangene Sünden Ihm hätten bange machen kön-<lb/>
nen. In dieſem Sinne konnte Er doch ziemlich buch-<lb/>ſtäblich die <hirendition="#fr">Sünden der Welt tragen.</hi> Je unem-<lb/>
pfindlicher und gleichgültiger die Menſchen gegen Tu-<lb/>
gend und Laſter, gegen Belohnungen und Strafen der<lb/>
Zukunft waren und ſind — deſto weniger gleichgültig,<lb/>
deſto empfindlicher mußte Er dagegen ſeyn — wenn Ihn<lb/>
nichts gedrückt hätte, als dieſe allgemeine Schlafſucht<lb/>
und Gleichgültigkeit der Menſchen, wie unermeßlich<lb/>
viel hätte Er ſchon in einem einzigen Momente, wo ſich<lb/>
das Ihm klärer als je, gleichſam in Einer Summe dar-<lb/>ſtellt — bloß daran zu tragen gehabt. —</p><lb/><p>2. Aber wie verhält ſich <hirendition="#fr">Jeſus</hi> unter der unge-<lb/>
heuren Laſt peinlicher Vorſtellungen, die ſich in ſeiner<lb/>
Seele heiſſer als nie, zuſammen drängten? Er bethet.<lb/>
Er beugt ſeine Kniee vor dem Allmächtigen; Er neigt<lb/>ſein Angeſicht zur Erde vor ſeinem <hirendition="#fr">Vater.</hi> Sein <hirendition="#fr">Va-<lb/>
ter</hi> iſt allmächtig; Der <hirendition="#fr">Allmächtige</hi> iſt ſein Vater.<lb/>
Der Allerbeſte kann alles. Der alles kann, will das<lb/>
Allerbeſte. Der Allmächtige Vater hat ſein Schickſal<lb/>
in ſeiner Hand. Er kann den bittern <hirendition="#fr">Kelch der Lei-<lb/>
den</hi> (Schönes Bild —<hirendition="#fr">Leiden</hi> iſt ein <hirendition="#fr">Kelch voll<lb/>
Arzney</hi>) von Ihm nehmen. Aber, Er will es nicht<lb/>
erzwingen, nicht erſtürmen. Kindlich dehmüthig ſchmiegt<lb/>
Er ſich unter den weiſeſten Willen des Vaters. ——<lb/><hirendition="#fr">Doch nicht mein, ſondern dein Wille geſchehe!</hi><lb/><fwplace="bottom"type="catch"><hirendition="#fr">Nicht,</hi></fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[464[484]/0492]
Matthäus XXVI.
— wenn ſeine Seele um und um bis auf den Tod
bekümmert iſt. Die Sünden anderer alſo mußten
Ihm bange machen, da es unmöglich war, daß eigene
felbſtbegangene Sünden Ihm hätten bange machen kön-
nen. In dieſem Sinne konnte Er doch ziemlich buch-
ſtäblich die Sünden der Welt tragen. Je unem-
pfindlicher und gleichgültiger die Menſchen gegen Tu-
gend und Laſter, gegen Belohnungen und Strafen der
Zukunft waren und ſind — deſto weniger gleichgültig,
deſto empfindlicher mußte Er dagegen ſeyn — wenn Ihn
nichts gedrückt hätte, als dieſe allgemeine Schlafſucht
und Gleichgültigkeit der Menſchen, wie unermeßlich
viel hätte Er ſchon in einem einzigen Momente, wo ſich
das Ihm klärer als je, gleichſam in Einer Summe dar-
ſtellt — bloß daran zu tragen gehabt. —
2. Aber wie verhält ſich Jeſus unter der unge-
heuren Laſt peinlicher Vorſtellungen, die ſich in ſeiner
Seele heiſſer als nie, zuſammen drängten? Er bethet.
Er beugt ſeine Kniee vor dem Allmächtigen; Er neigt
ſein Angeſicht zur Erde vor ſeinem Vater. Sein Va-
ter iſt allmächtig; Der Allmächtige iſt ſein Vater.
Der Allerbeſte kann alles. Der alles kann, will das
Allerbeſte. Der Allmächtige Vater hat ſein Schickſal
in ſeiner Hand. Er kann den bittern Kelch der Lei-
den (Schönes Bild — Leiden iſt ein Kelch voll
Arzney) von Ihm nehmen. Aber, Er will es nicht
erzwingen, nicht erſtürmen. Kindlich dehmüthig ſchmiegt
Er ſich unter den weiſeſten Willen des Vaters. — —
Doch nicht mein, ſondern dein Wille geſchehe!
Nicht,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang:
Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783, S. 464[484]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783/492>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.