ste Gesindel hängt sich an den zwölften Apostel an -- Er wird ihr Führer, ihr Haupt! Welch ein Anblick für Engel und für Apostel -- und für Jesus.
Die Hölle, mögt' ich sagen, tritt in ihrer Person nahe an das Allerheiligste. -- Aussprechen durfte es der Verräther: Welchen ich küssen werde, der ist's, den greifet. Das heißt, die Sünde vollenden -- bis auf den äussersten Punkt treiben, ihr nichts mangeln lassen.
Sündigen ist immer niedrig, der Menschheit un- würdig und schändlich für die Vernunft und das sittliche Gefühl -- aber von der Sünde vor der Bege- hung reden -- sich damit unterhalten können -- Sa- gen können -- "So will ich's machen! Wenn ich das &q;thue -- dann thut ihr das!" -- Das ist wohl mehr als niedrig und schändlich -- aussprechen können vor den rohesten sinnlichsten Seelen: Welchen ich küssen werde, der ist's, den greifet! "Wenn ich dieß Zei- &q;chen der Liebe gegeben -- dann fallet, wie Wölfe &q;über das Lamm her!" Siehe! So tief kann der Mensch sinken; Ein Mensch unsers gleichen -- Die Paßionsge- schichte sey uns allen besonders auch von dieser, nicht genug bemerkten, Seite lehrreich -- Sie zeige uns immer die höchste Einfalt neben der schändlichsten List und Zweyherzigkeit, die erhabenste Tugend neben dem niedrigsten Laster, die göttlichste Liebe und ge- gen über satanischen Haß.
Judas vollbrachte, was zu vollbringen der Mensch- heit beynahe unmöglich schien. Er durfte hinzunahen, ge-
stärkt
G g 3
Gefangennehmung Jeſu.
ſte Geſindel hängt ſich an den zwölften Apoſtel an — Er wird ihr Führer, ihr Haupt! Welch ein Anblick für Engel und für Apoſtel — und für Jeſus.
Die Hölle, mögt’ ich ſagen, tritt in ihrer Perſon nahe an das Allerheiligſte. — Ausſprechen durfte es der Verräther: Welchen ich küſſen werde, der iſt’s, den greifet. Das heißt, die Sünde vollenden — bis auf den äuſſerſten Punkt treiben, ihr nichts mangeln laſſen.
Sündigen iſt immer niedrig, der Menſchheit un- würdig und ſchändlich für die Vernunft und das ſittliche Gefühl — aber von der Sünde vor der Bege- hung reden — ſich damit unterhalten können — Sa- gen können — „So will ich’s machen! Wenn ich das &q;thue — dann thut ihr das!„ — Das iſt wohl mehr als niedrig und ſchändlich — ausſprechen können vor den roheſten ſinnlichſten Seelen: Welchen ich küſſen werde, der iſt’s, den greifet! „Wenn ich dieß Zei- &q;chen der Liebe gegeben — dann fallet, wie Wölfe &q;über das Lamm her!„ Siehe! So tief kann der Menſch ſinken; Ein Menſch unſers gleichen — Die Paßionsge- ſchichte ſey uns allen beſonders auch von dieſer, nicht genug bemerkten, Seite lehrreich — Sie zeige uns immer die höchſte Einfalt neben der ſchändlichſten Liſt und Zweyherzigkeit, die erhabenſte Tugend neben dem niedrigſten Laſter, die göttlichſte Liebe und ge- gen über ſataniſchen Haß.
Judas vollbrachte, was zu vollbringen der Menſch- heit beynahe unmöglich ſchien. Er durfte hinzunahen, ge-
ſtärkt
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[469[489]/0497]
Gefangennehmung Jeſu.
ſte Geſindel hängt ſich an den zwölften Apoſtel an —
Er wird ihr Führer, ihr Haupt! Welch ein Anblick für
Engel und für Apoſtel — und für Jeſus.
Die Hölle, mögt’ ich ſagen, tritt in ihrer Perſon
nahe an das Allerheiligſte. — Ausſprechen durfte es der
Verräther: Welchen ich küſſen werde, der iſt’s,
den greifet. Das heißt, die Sünde vollenden — bis
auf den äuſſerſten Punkt treiben, ihr nichts mangeln
laſſen.
Sündigen iſt immer niedrig, der Menſchheit un-
würdig und ſchändlich für die Vernunft und das
ſittliche Gefühl — aber von der Sünde vor der Bege-
hung reden — ſich damit unterhalten können — Sa-
gen können — „So will ich’s machen! Wenn ich das
&q;thue — dann thut ihr das!„ — Das iſt wohl mehr
als niedrig und ſchändlich — ausſprechen können vor den
roheſten ſinnlichſten Seelen: Welchen ich küſſen
werde, der iſt’s, den greifet! „Wenn ich dieß Zei-
&q;chen der Liebe gegeben — dann fallet, wie Wölfe
&q;über das Lamm her!„ Siehe! So tief kann der Menſch
ſinken; Ein Menſch unſers gleichen — Die Paßionsge-
ſchichte ſey uns allen beſonders auch von dieſer, nicht
genug bemerkten, Seite lehrreich — Sie zeige uns
immer die höchſte Einfalt neben der ſchändlichſten Liſt
und Zweyherzigkeit, die erhabenſte Tugend neben
dem niedrigſten Laſter, die göttlichſte Liebe und ge-
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Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783, S. 469[489]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783/497>, abgerufen am 23.11.2024.
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