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Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783.

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Matthäus XXVI.
stärkt von der Hölle -- das Liebevollste und heiligste
Angesicht berühren, küssen -- Jesum umarmen --
mit Ihm sprechen: Sey gegrüßt, Meister! -- Man
darf alles, wenn man sich einmahl über die heiligsten
Empfindungen weggesetzt und gegen jeden Eindruck gegen-
wärtiger Liebe sich verhärtet -- über gewisse Punkte
herausgegangen, und Bosheit und Schaamlosigkeit fin-
det keine Grenzen mehr.

Und wie beträgt sich Jesus in diesem ernsten Mo-
mente? -- Als wenn Er keine Kraft hätte -- wie die
ewige Liebe begegnet Er dem Verräther -- Freund!
Warum bist du gekommen? -- Juda! Und du
verräthest des Menschen Sohn mit einem Kus-
se?
-- -- Die Weisheit kann nicht weiser, die Huld
nicht sanfter sprechen -- Dieß Wort und sein Blick,
wie sanft oder ernst er immer gewesen sey -- Wie muß
es ihm durch die Seele gegangen seyn! Jedes freund-
liche oder ernstliche Wort aus dem Munde des Herrn, wie
wird es dem falschen, treulosen Herzen unerträglich
werden; Wie das Innerste ewig durchdringen!

Da traten sie hinzu, legten die Hände an
Jesum und banden Ihn...
Das war gewiß ein
zweyter Donnerschlag für Judas, der vermuthlich ver-
muthet hatte, daß Jesus dieß nicht werde geschehen las-
sen, sondern wie mehrmahls den Händen seiner Feinde
entgehen würde. Aber! Nein -- gebunden werden
wollte und mußte Jesus, um in der eigentlichsten Skla-
vengestalt -- als das Haupt der Gebundenen -- vor
Gott im Namen des Menschengeschlechtes zu erscheinen. --

217. Wort

Matthäus XXVI.
ſtärkt von der Hölle — das Liebevollſte und heiligſte
Angeſicht berühren, küſſen — Jeſum umarmen —
mit Ihm ſprechen: Sey gegrüßt, Meiſter! — Man
darf alles, wenn man ſich einmahl über die heiligſten
Empfindungen weggeſetzt und gegen jeden Eindruck gegen-
wärtiger Liebe ſich verhärtet — über gewiſſe Punkte
herausgegangen, und Bosheit und Schaamloſigkeit fin-
det keine Grenzen mehr.

Und wie beträgt ſich Jeſus in dieſem ernſten Mo-
mente? — Als wenn Er keine Kraft hätte — wie die
ewige Liebe begegnet Er dem Verräther — Freund!
Warum biſt du gekommen? — Juda! Und du
verrätheſt des Menſchen Sohn mit einem Kuſ-
ſe?
— — Die Weisheit kann nicht weiſer, die Huld
nicht ſanfter ſprechen — Dieß Wort und ſein Blick,
wie ſanft oder ernſt er immer geweſen ſey — Wie muß
es ihm durch die Seele gegangen ſeyn! Jedes freund-
liche oder ernſtliche Wort aus dem Munde des Herrn, wie
wird es dem falſchen, treuloſen Herzen unerträglich
werden; Wie das Innerſte ewig durchdringen!

Da traten ſie hinzu, legten die Hände an
Jeſum und banden Ihn...
Das war gewiß ein
zweyter Donnerſchlag für Judas, der vermuthlich ver-
muthet hatte, daß Jeſus dieß nicht werde geſchehen laſ-
ſen, ſondern wie mehrmahls den Händen ſeiner Feinde
entgehen würde. Aber! Nein — gebunden werden
wollte und mußte Jeſus, um in der eigentlichſten Skla-
vengeſtalt — als das Haupt der Gebundenen — vor
Gott im Namen des Menſchengeſchlechtes zu erſcheinen. —

217. Wort
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[470[490]/0498] Matthäus XXVI. ſtärkt von der Hölle — das Liebevollſte und heiligſte Angeſicht berühren, küſſen — Jeſum umarmen — mit Ihm ſprechen: Sey gegrüßt, Meiſter! — Man darf alles, wenn man ſich einmahl über die heiligſten Empfindungen weggeſetzt und gegen jeden Eindruck gegen- wärtiger Liebe ſich verhärtet — über gewiſſe Punkte herausgegangen, und Bosheit und Schaamloſigkeit fin- det keine Grenzen mehr. Und wie beträgt ſich Jeſus in dieſem ernſten Mo- mente? — Als wenn Er keine Kraft hätte — wie die ewige Liebe begegnet Er dem Verräther — Freund! Warum biſt du gekommen? — Juda! Und du verrätheſt des Menſchen Sohn mit einem Kuſ- ſe? — — Die Weisheit kann nicht weiſer, die Huld nicht ſanfter ſprechen — Dieß Wort und ſein Blick, wie ſanft oder ernſt er immer geweſen ſey — Wie muß es ihm durch die Seele gegangen ſeyn! Jedes freund- liche oder ernſtliche Wort aus dem Munde des Herrn, wie wird es dem falſchen, treuloſen Herzen unerträglich werden; Wie das Innerſte ewig durchdringen! Da traten ſie hinzu, legten die Hände an Jeſum und banden Ihn... Das war gewiß ein zweyter Donnerſchlag für Judas, der vermuthlich ver- muthet hatte, daß Jeſus dieß nicht werde geſchehen laſ- ſen, ſondern wie mehrmahls den Händen ſeiner Feinde entgehen würde. Aber! Nein — gebunden werden wollte und mußte Jeſus, um in der eigentlichſten Skla- vengeſtalt — als das Haupt der Gebundenen — vor Gott im Namen des Menſchengeſchlechtes zu erſcheinen. — 217. Wort

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783, S. 470[490]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783/498>, abgerufen am 23.11.2024.