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Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783.

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Pilatus und die Juden.
blieb im Geräusche! Es ist eine eigene Kunst, besser ge-
sagt, eine besondere Gnade, auf jede Warnung Gottes
aufmerksam zu seyn, und sich in die Stille zu begeben,
um sie mit derjenigen Ruh und Ehrfurcht zu hören, die
sie, als göttliche Warnung verdient. Träume, die vor
einer schrecklichen That warnen, -- oder Träume, die
schon in sich selbst den Beweiß haben, daß sie nicht das
bloße Spiel einer zaumlosen Einbildungskraft sind, die
sich auf Etwas zufälliges und äusserst sonderbares, (wie
das war, daß ein Nazarener vor Pontius Pilatus
als angeblicher König der Juden verklagt ward) be-
ziehen, verdienen, wo nicht für unmittelbar göttlich ge-
halten, doch geprüft und nicht verachtet, und wegge-
worfen zu werden.

229.
Pilatus und die Juden.

Pilatus sprach zu ihnen: Was soll ich dennMatth.
XXVII.
22-25.

machen mit Jesu, von dem gesagt wird Er sey
Christus? Sie sprachen alle: Laß ihn kreuzigen.
Der Landpfleger sagte: Was hat Er denn Uebels
gethan? Sie aber schreyen noch mehr, und spra-
chen: Laß Ihn kreuzigen. Da aber Pilatus sa-
he, daß er nichts schaffete, sondern daß viel
ein grösser Getümmel oder Aufruhr ward,
nahm er Wasser und wusch die Hände vor dem
Volk, und sprach: Ich bin unschuldig an dem
Blute dieses Gerechten: Sehet ihr zu! Da ant-
wortete das ganze Volk und sprach: Sein Blut
komme über uns und über unsere Kinder.

Der

Pilatus und die Juden.
blieb im Geräuſche! Es iſt eine eigene Kunſt, beſſer ge-
ſagt, eine beſondere Gnade, auf jede Warnung Gottes
aufmerkſam zu ſeyn, und ſich in die Stille zu begeben,
um ſie mit derjenigen Ruh und Ehrfurcht zu hören, die
ſie, als göttliche Warnung verdient. Träume, die vor
einer ſchrecklichen That warnen, — oder Träume, die
ſchon in ſich ſelbſt den Beweiß haben, daß ſie nicht das
bloße Spiel einer zaumloſen Einbildungskraft ſind, die
ſich auf Etwas zufälliges und äuſſerſt ſonderbares, (wie
das war, daß ein Nazarener vor Pontius Pilatus
als angeblicher König der Juden verklagt ward) be-
ziehen, verdienen, wo nicht für unmittelbar göttlich ge-
halten, doch geprüft und nicht verachtet, und wegge-
worfen zu werden.

229.
Pilatus und die Juden.

Pilatus ſprach zu ihnen: Was ſoll ich dennMatth.
XXVII.
22-25.

machen mit Jeſu, von dem geſagt wird Er ſey
Chriſtus? Sie ſprachen alle: Laß ihn kreuzigen.
Der Landpfleger ſagte: Was hat Er denn Uebels
gethan? Sie aber ſchreyen noch mehr, und ſpra-
chen: Laß Ihn kreuzigen. Da aber Pilatus ſa-
he, daß er nichts ſchaffete, ſondern daß viel
ein gröſſer Getümmel oder Aufruhr ward,
nahm er Waſſer und wuſch die Hände vor dem
Volk, und ſprach: Ich bin unſchuldig an dem
Blute dieſes Gerechten: Sehet ihr zu! Da ant-
wortete das ganze Volk und ſprach: Sein Blut
komme über uns und über unſere Kinder.

Der
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[511[531]/0539] Pilatus und die Juden. blieb im Geräuſche! Es iſt eine eigene Kunſt, beſſer ge- ſagt, eine beſondere Gnade, auf jede Warnung Gottes aufmerkſam zu ſeyn, und ſich in die Stille zu begeben, um ſie mit derjenigen Ruh und Ehrfurcht zu hören, die ſie, als göttliche Warnung verdient. Träume, die vor einer ſchrecklichen That warnen, — oder Träume, die ſchon in ſich ſelbſt den Beweiß haben, daß ſie nicht das bloße Spiel einer zaumloſen Einbildungskraft ſind, die ſich auf Etwas zufälliges und äuſſerſt ſonderbares, (wie das war, daß ein Nazarener vor Pontius Pilatus als angeblicher König der Juden verklagt ward) be- ziehen, verdienen, wo nicht für unmittelbar göttlich ge- halten, doch geprüft und nicht verachtet, und wegge- worfen zu werden. 229. Pilatus und die Juden. Pilatus ſprach zu ihnen: Was ſoll ich denn machen mit Jeſu, von dem geſagt wird Er ſey Chriſtus? Sie ſprachen alle: Laß ihn kreuzigen. Der Landpfleger ſagte: Was hat Er denn Uebels gethan? Sie aber ſchreyen noch mehr, und ſpra- chen: Laß Ihn kreuzigen. Da aber Pilatus ſa- he, daß er nichts ſchaffete, ſondern daß viel ein gröſſer Getümmel oder Aufruhr ward, nahm er Waſſer und wuſch die Hände vor dem Volk, und ſprach: Ich bin unſchuldig an dem Blute dieſes Gerechten: Sehet ihr zu! Da ant- wortete das ganze Volk und ſprach: Sein Blut komme über uns und über unſere Kinder. Matth. XXVII. 22-25. Der

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783, S. 511[531]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783/539>, abgerufen am 27.07.2024.