hat, ist sicherlich ein grosser, Gott näherer Mensch. Tau- send schwache, weiche, gutherzige Seelen meynen leicht -- vergeben zu können. Und ich habe, bey häufiger Gele- genheit, die Menschen hierüber näher kennen zu lernen, sehr, sehr wenige gefunden, die redlich und ganz verga- ben -- das heißt, die freylich das unmoralische, häß- liche der Beleidigung ganz fühlten, und dem Belei- diger noch gut, noch frohgefällig, noch herzlich liebreich (von freundschaftlicher Zärtlichkeit red' ich nicht) begegnen konnten. Wem an der Sicherheit -- "daß "keiner von allen seinen Sünden vor Gotte weiter ge- "dacht werde," soviel gelegen ist, als einem mit Schul- den schwehr beladenen Menschen im Ernste daran gelegen ist, sich von allen weitern Anfoderungen auf immer sicher zu wissen -- der sollte vergeben lernen. Ich spreche ein- fältig mit Einfältigen: Wer hielte den nicht für den unsinnigsten Tohren, der sich einer Schuldenlast von zehentausend Thalern durch den Nachlaß von Hunderten an einen Schuldner entladen könnte, und es nicht wollte!
34. Fasten.
Wenn du aber fastest so salbe dein Haupt Matth. VI. 17.und wasche dein Angesicht -- -- Dieß Wort läst tief in den Charakter Christus hineinblicken, -- in sein frohes, unängstliches Herz -- Seine Liebe zur Rein- lichkeit; Seine Feindschaft gegen alle Grimassen, alles Aushängen und Anmagssen der Heiligkeit. Es scheint sogar darinn zu liegen, daß man Kunst und List anwen-
den
Matthäus VI.
hat, iſt ſicherlich ein groſſer, Gott näherer Menſch. Tau- ſend ſchwache, weiche, gutherzige Seelen meynen leicht — vergeben zu können. Und ich habe, bey häufiger Gele- genheit, die Menſchen hierüber näher kennen zu lernen, ſehr, ſehr wenige gefunden, die redlich und ganz verga- ben — das heißt, die freylich das unmoraliſche, häß- liche der Beleidigung ganz fühlten, und dem Belei- diger noch gut, noch frohgefällig, noch herzlich liebreich (von freundſchaftlicher Zärtlichkeit red’ ich nicht) begegnen konnten. Wem an der Sicherheit — „daß „keiner von allen ſeinen Sünden vor Gotte weiter ge- „dacht werde,„ ſoviel gelegen iſt, als einem mit Schul- den ſchwehr beladenen Menſchen im Ernſte daran gelegen iſt, ſich von allen weitern Anfoderungen auf immer ſicher zu wiſſen — der ſollte vergeben lernen. Ich ſpreche ein- fältig mit Einfältigen: Wer hielte den nicht für den unſinnigſten Tohren, der ſich einer Schuldenlaſt von zehentauſend Thalern durch den Nachlaß von Hunderten an einen Schuldner entladen könnte, und es nicht wollte!
34. Faſten.
Wenn du aber faſteſt ſo ſalbe dein Haupt Matth. VI. 17.und waſche dein Angeſicht — — Dieß Wort läſt tief in den Charakter Chriſtus hineinblicken, — in ſein frohes, unängſtliches Herz — Seine Liebe zur Rein- lichkeit; Seine Feindſchaft gegen alle Grimaſſen, alles Aushängen und Anmagſſen der Heiligkeit. Es ſcheint ſogar darinn zu liegen, daß man Kunſt und Liſt anwen-
den
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[28[48]/0056]
Matthäus VI.
hat, iſt ſicherlich ein groſſer, Gott näherer Menſch. Tau-
ſend ſchwache, weiche, gutherzige Seelen meynen leicht —
vergeben zu können. Und ich habe, bey häufiger Gele-
genheit, die Menſchen hierüber näher kennen zu lernen,
ſehr, ſehr wenige gefunden, die redlich und ganz verga-
ben — das heißt, die freylich das unmoraliſche, häß-
liche der Beleidigung ganz fühlten, und dem Belei-
diger noch gut, noch frohgefällig, noch herzlich liebreich
(von freundſchaftlicher Zärtlichkeit red’ ich nicht)
begegnen konnten. Wem an der Sicherheit — „daß
„keiner von allen ſeinen Sünden vor Gotte weiter ge-
„dacht werde,„ ſoviel gelegen iſt, als einem mit Schul-
den ſchwehr beladenen Menſchen im Ernſte daran gelegen
iſt, ſich von allen weitern Anfoderungen auf immer ſicher
zu wiſſen — der ſollte vergeben lernen. Ich ſpreche ein-
fältig mit Einfältigen: Wer hielte den nicht für den
unſinnigſten Tohren, der ſich einer Schuldenlaſt von
zehentauſend Thalern durch den Nachlaß von Hunderten
an einen Schuldner entladen könnte, und es nicht wollte!
34.
Faſten.
Wenn du aber faſteſt ſo ſalbe dein Haupt
und waſche dein Angeſicht — — Dieß Wort läſt
tief in den Charakter Chriſtus hineinblicken, — in ſein
frohes, unängſtliches Herz — Seine Liebe zur Rein-
lichkeit; Seine Feindſchaft gegen alle Grimaſſen, alles
Aushängen und Anmagſſen der Heiligkeit. Es ſcheint
ſogar darinn zu liegen, daß man Kunſt und Liſt anwen-
den
Matth.
VI. 17.
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Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783, S. 28[48]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783/56>, abgerufen am 24.11.2024.
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