Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783.

Bild:
<< vorherige Seite

Markus V.
dein Haus zu den Deinen, und verkündige ih-
nen, was grosses dir der Herr gethan, und daß
Er sich deiner erbarmet habe; Und Er gieng
hin und fieng an, in den zehen Städten auszu-
kündigen, was grosses ihm Jesus gethan habe,
und jedermann verwunderte sich.
Die Einen bit-
ten Jesum -- oder sehens doch gern, daß Er sich von
ihnen entferne. Die andern blieben Ihm gern immer
nahe. Dieß ist die Geschichte aller Zeiten. Man ist
immer gleich gegen Ihn gesinnt -- Für Ihn, oder
wider Ihn. Wer Ihn nicht nahe haben will, will
Ihn gern fern haben. Wer Ihn will, will gern so nahe
wie möglich bey Ihm seyn. Aber, warum willfahrt
der Herr denen, die Ihn fern haben mögten? Und dem
nicht, der gern nahe bey Ihm seyn mögte? Die Er-
stern will Er durch seine Gegenwart nicht drücken. Er
will sich niemand aufdringen, niemanden zwingen, Ihn
anzunehmen. Gezwungene Verehrung ist keine Vereh-
rung. Was nicht freywillig gegen Ihn geschiehet, fie-
het Er als Nichtgeschehen an.

Und, warum will Er den Besessen gewesenen, sei-
ner dringenden Bitte ungeachtet, sich nicht nachfolgen
lassen? Ich vermesse mich nicht alle Ursachen anzugeben
-- aber: Mit Wahrheit glaub ich, läßt sich folgendes
sagen. Jesus hatte bereits die Zahl der von Ihm be-
stimmten Apostel und täglichen Zeugen seines Lebens ge-
wählt. Wahrscheinlich fand Er diesen Menschen, so
gut und dankbar er übrigens seyn mogte, zu einem be-
ständigen Nachfolger nicht tüchtig genug. Er war

Ihm

Markus V.
dein Haus zu den Deinen, und verkündige ih-
nen, was groſſes dir der Herr gethan, und daß
Er ſich deiner erbarmet habe; Und Er gieng
hin und fieng an, in den zehen Städten auszu-
kündigen, was groſſes ihm Jeſus gethan habe,
und jedermann verwunderte ſich.
Die Einen bit-
ten Jeſum — oder ſehens doch gern, daß Er ſich von
ihnen entferne. Die andern blieben Ihm gern immer
nahe. Dieß iſt die Geſchichte aller Zeiten. Man iſt
immer gleich gegen Ihn geſinnt — Für Ihn, oder
wider Ihn. Wer Ihn nicht nahe haben will, will
Ihn gern fern haben. Wer Ihn will, will gern ſo nahe
wie möglich bey Ihm ſeyn. Aber, warum willfahrt
der Herr denen, die Ihn fern haben mögten? Und dem
nicht, der gern nahe bey Ihm ſeyn mögte? Die Er-
ſtern will Er durch ſeine Gegenwart nicht drücken. Er
will ſich niemand aufdringen, niemanden zwingen, Ihn
anzunehmen. Gezwungene Verehrung iſt keine Vereh-
rung. Was nicht freywillig gegen Ihn geſchiehet, fie-
het Er als Nichtgeſchehen an.

Und, warum will Er den Beſeſſen geweſenen, ſei-
ner dringenden Bitte ungeachtet, ſich nicht nachfolgen
laſſen? Ich vermeſſe mich nicht alle Urſachen anzugeben
— aber: Mit Wahrheit glaub ich, läßt ſich folgendes
ſagen. Jeſus hatte bereits die Zahl der von Ihm be-
ſtimmten Apoſtel und täglichen Zeugen ſeines Lebens ge-
wählt. Wahrſcheinlich fand Er dieſen Menſchen, ſo
gut und dankbar er übrigens ſeyn mogte, zu einem be-
ſtändigen Nachfolger nicht tüchtig genug. Er war

Ihm
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0598" n="570[590]"/><fw place="top" type="header">Markus <hi rendition="#aq">V.</hi></fw><lb/><hi rendition="#fr">dein Haus zu den Deinen, und verkündige ih-<lb/>
nen, was gro&#x017F;&#x017F;es dir der Herr gethan, und daß<lb/>
Er &#x017F;ich deiner erbarmet habe; Und Er gieng<lb/>
hin und fieng an, in den zehen Städten auszu-<lb/>
kündigen, was gro&#x017F;&#x017F;es ihm Je&#x017F;us gethan habe,<lb/>
und jedermann verwunderte &#x017F;ich.</hi> Die Einen bit-<lb/>
ten Je&#x017F;um &#x2014; oder &#x017F;ehens doch gern, daß Er &#x017F;ich von<lb/>
ihnen entferne. Die andern blieben Ihm gern immer<lb/>
nahe. Dieß i&#x017F;t die Ge&#x017F;chichte aller Zeiten. Man i&#x017F;t<lb/>
immer gleich gegen Ihn ge&#x017F;innt &#x2014; Für Ihn, oder<lb/>
wider Ihn. Wer Ihn nicht nahe haben will, will<lb/>
Ihn gern fern haben. Wer Ihn will, will gern &#x017F;o nahe<lb/>
wie möglich bey Ihm &#x017F;eyn. Aber, warum willfahrt<lb/>
der Herr denen, die Ihn fern haben mögten? Und dem<lb/>
nicht, der gern nahe bey Ihm &#x017F;eyn mögte? Die Er-<lb/>
&#x017F;tern will Er durch &#x017F;eine Gegenwart nicht drücken. Er<lb/>
will &#x017F;ich niemand aufdringen, niemanden zwingen, Ihn<lb/>
anzunehmen. Gezwungene Verehrung i&#x017F;t keine Vereh-<lb/>
rung. Was nicht freywillig gegen Ihn ge&#x017F;chiehet, fie-<lb/>
het Er als Nichtge&#x017F;chehen an.</p><lb/>
            <p>Und, warum will Er den Be&#x017F;e&#x017F;&#x017F;en gewe&#x017F;enen, &#x017F;ei-<lb/>
ner dringenden Bitte ungeachtet, &#x017F;ich nicht nachfolgen<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en? Ich verme&#x017F;&#x017F;e mich nicht alle Ur&#x017F;achen anzugeben<lb/>
&#x2014; aber: Mit Wahrheit glaub ich, läßt &#x017F;ich folgendes<lb/>
&#x017F;agen. <hi rendition="#fr">Je&#x017F;us</hi> hatte bereits die Zahl der von Ihm be-<lb/>
&#x017F;timmten Apo&#x017F;tel und täglichen Zeugen &#x017F;eines Lebens ge-<lb/>
wählt. Wahr&#x017F;cheinlich fand Er die&#x017F;en Men&#x017F;chen, &#x017F;o<lb/>
gut und dankbar er übrigens &#x017F;eyn mogte, zu einem be-<lb/>
&#x017F;tändigen Nachfolger nicht tüchtig genug. Er war<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Ihm</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[570[590]/0598] Markus V. dein Haus zu den Deinen, und verkündige ih- nen, was groſſes dir der Herr gethan, und daß Er ſich deiner erbarmet habe; Und Er gieng hin und fieng an, in den zehen Städten auszu- kündigen, was groſſes ihm Jeſus gethan habe, und jedermann verwunderte ſich. Die Einen bit- ten Jeſum — oder ſehens doch gern, daß Er ſich von ihnen entferne. Die andern blieben Ihm gern immer nahe. Dieß iſt die Geſchichte aller Zeiten. Man iſt immer gleich gegen Ihn geſinnt — Für Ihn, oder wider Ihn. Wer Ihn nicht nahe haben will, will Ihn gern fern haben. Wer Ihn will, will gern ſo nahe wie möglich bey Ihm ſeyn. Aber, warum willfahrt der Herr denen, die Ihn fern haben mögten? Und dem nicht, der gern nahe bey Ihm ſeyn mögte? Die Er- ſtern will Er durch ſeine Gegenwart nicht drücken. Er will ſich niemand aufdringen, niemanden zwingen, Ihn anzunehmen. Gezwungene Verehrung iſt keine Vereh- rung. Was nicht freywillig gegen Ihn geſchiehet, fie- het Er als Nichtgeſchehen an. Und, warum will Er den Beſeſſen geweſenen, ſei- ner dringenden Bitte ungeachtet, ſich nicht nachfolgen laſſen? Ich vermeſſe mich nicht alle Urſachen anzugeben — aber: Mit Wahrheit glaub ich, läßt ſich folgendes ſagen. Jeſus hatte bereits die Zahl der von Ihm be- ſtimmten Apoſtel und täglichen Zeugen ſeines Lebens ge- wählt. Wahrſcheinlich fand Er dieſen Menſchen, ſo gut und dankbar er übrigens ſeyn mogte, zu einem be- ſtändigen Nachfolger nicht tüchtig genug. Er war Ihm

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783/598
Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783, S. 570[590]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783/598>, abgerufen am 27.07.2024.