vom geringsten Sandkorn bis zum Brillant in der Kö- nigskrone sind in den Augen der reinen Vernunft nicht so viel werth, als eine einzige Pflanze -- alle Pflanzen zusammen von Hysop bis zur Zeder -- nicht so viel werth, als das geringste lebende Insekt -- alle Thiere zusammen vom geringsten lebenden Insekt bis zum Adler, Löwen und Elephanten nicht so viel werth, als ein einziger Mensch. Ein einziger lebender Mensch ist mehr werth als die gan- ze sichtbare Schöpfung! -- was kann grösser seyn unter allen uns bekannten Sichtbarkeiten, als der, von dem es heißt: Ein Mensch nach Unserm Bild! In1. B. Mos. I. 26-28. Unserer Aehnlichkeit! Ein Herrscher über die Fi- sche im Meer, über die Vögel unter dem Him- mel, über das Vieh, und über die ganze Erde, und über alles Gewürm, das auf Erden kreucht.
40.
Ich sage Euch, daß auch Salomo in allerMatth. VI. 29. 30. seiner Herrlichkeit nicht bekleidet gewesen als der Lilien eine. Der wesentliche Unterschied der göttli- chen und menschlichen Werke ist, daß jene, die göttli- chen, unzusammengeflickt, ganz, ungenähet, nicht Stückweise zusammengesetzt, sondern bey aller Mannig- faltigkeit der Theile, aus denen sie bestehen, ein bewun- dernswürdiges einfaches Ganzes ausmachen -- diese hergegen, die menschlichen, aus ungleichartigen Stü- cken und Theilen nach und nach zusammengesetzt sind. Die göttlichen Werke gewinnen und die mensch- lichen verlieren immer; je genauer sie betrachtet werden. Die göttlichen haben das Gepräge der
Ein-
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Vorzug des Menſchen.
vom geringſten Sandkorn bis zum Brillant in der Kö- nigskrone ſind in den Augen der reinen Vernunft nicht ſo viel werth, als eine einzige Pflanze — alle Pflanzen zuſammen von Hyſop bis zur Zeder — nicht ſo viel werth, als das geringſte lebende Inſekt — alle Thiere zuſammen vom geringſten lebenden Inſekt bis zum Adler, Löwen und Elephanten nicht ſo viel werth, als ein einziger Menſch. Ein einziger lebender Menſch iſt mehr werth als die gan- ze ſichtbare Schöpfung! — was kann gröſſer ſeyn unter allen uns bekannten Sichtbarkeiten, als der, von dem es heißt: Ein Menſch nach Unſerm Bild! In1. B. Moſ. I. 26-28. Unſerer Aehnlichkeit! Ein Herrſcher über die Fi- ſche im Meer, über die Vögel unter dem Him- mel, über das Vieh, und über die ganze Erde, und über alles Gewürm, das auf Erden kreucht.
40.
Ich ſage Euch, daß auch Salomo in allerMatth. VI. 29. 30. ſeiner Herrlichkeit nicht bekleidet geweſen als der Lilien eine. Der weſentliche Unterſchied der göttli- chen und menſchlichen Werke iſt, daß jene, die göttli- chen, unzuſammengeflickt, ganz, ungenähet, nicht Stückweiſe zuſammengeſetzt, ſondern bey aller Mannig- faltigkeit der Theile, aus denen ſie beſtehen, ein bewun- dernswürdiges einfaches Ganzes ausmachen — dieſe hergegen, die menſchlichen, aus ungleichartigen Stü- cken und Theilen nach und nach zuſammengeſetzt ſind. Die göttlichen Werke gewinnen und die menſch- lichen verlieren immer; je genauer ſie betrachtet werden. Die göttlichen haben das Gepräge der
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[35[55]/0063]
Vorzug des Menſchen.
vom geringſten Sandkorn bis zum Brillant in der Kö-
nigskrone ſind in den Augen der reinen Vernunft nicht
ſo viel werth, als eine einzige Pflanze — alle Pflanzen
zuſammen von Hyſop bis zur Zeder — nicht ſo viel werth,
als das geringſte lebende Inſekt — alle Thiere zuſammen
vom geringſten lebenden Inſekt bis zum Adler, Löwen
und Elephanten nicht ſo viel werth, als ein einziger Menſch.
Ein einziger lebender Menſch iſt mehr werth als die gan-
ze ſichtbare Schöpfung! — was kann gröſſer ſeyn
unter allen uns bekannten Sichtbarkeiten, als der, von
dem es heißt: Ein Menſch nach Unſerm Bild! In
Unſerer Aehnlichkeit! Ein Herrſcher über die Fi-
ſche im Meer, über die Vögel unter dem Him-
mel, über das Vieh, und über die ganze Erde,
und über alles Gewürm, das auf Erden kreucht.
1. B. Moſ.
I. 26-28.
40.
Ich ſage Euch, daß auch Salomo in aller
ſeiner Herrlichkeit nicht bekleidet geweſen als der
Lilien eine. Der weſentliche Unterſchied der göttli-
chen und menſchlichen Werke iſt, daß jene, die göttli-
chen, unzuſammengeflickt, ganz, ungenähet, nicht
Stückweiſe zuſammengeſetzt, ſondern bey aller Mannig-
faltigkeit der Theile, aus denen ſie beſtehen, ein bewun-
dernswürdiges einfaches Ganzes ausmachen — dieſe
hergegen, die menſchlichen, aus ungleichartigen Stü-
cken und Theilen nach und nach zuſammengeſetzt ſind.
Die göttlichen Werke gewinnen und die menſch-
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werden. Die göttlichen haben das Gepräge der
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VI. 29. 30.
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Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783, S. 35[55]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783/63>, abgerufen am 21.11.2024.
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