Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777.X. Abschnitt. I. Fragment. aus; -- nicht nur, was der Mensch ist; auch was er seyn kann; auch die Art von Religion, wo-zu er gebildet ist -- auch das drückt sich aus -- und zwar in der Zeichnung der Züge; auch in der Form sogar des Gesichts. Nicht nur z. E. ist in des sogenannten Pietisten Mienen seine ängstliche Gesetzlich- Sondern -- jede Hauptklasse von religiosen Gefühlen hat -- gewisse Hauptformen. Religiose Hauptformen! -- Jch fühle ganz, nicht das Anstößige des Ausdruckes an So gewiß es Gesichtsformen giebt, welche nicht zu Feldherren taugen, und Gesichtsfor- Wo religiose Mienen würklich sind -- da sind auch noch religiose Formen möglich -- men
X. Abſchnitt. I. Fragment. aus; — nicht nur, was der Menſch iſt; auch was er ſeyn kann; auch die Art von Religion, wo-zu er gebildet iſt — auch das druͤckt ſich aus — und zwar in der Zeichnung der Zuͤge; auch in der Form ſogar des Geſichts. Nicht nur z. E. iſt in des ſogenannten Pietiſten Mienen ſeine aͤngſtliche Geſetzlich- Sondern — jede Hauptklaſſe von religioſen Gefuͤhlen hat — gewiſſe Hauptformen. Religioſe Hauptformen! — Jch fuͤhle ganz, nicht das Anſtoͤßige des Ausdruckes an So gewiß es Geſichtsformen giebt, welche nicht zu Feldherren taugen, und Geſichtsfor- Wo religioſe Mienen wuͤrklich ſind — da ſind auch noch religioſe Formen moͤglich — men
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0392" n="244"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">X.</hi> Abſchnitt. <hi rendition="#aq">I.</hi> Fragment.</hi></fw><lb/> aus; — nicht nur, was der Menſch iſt; auch was er ſeyn kann; auch die <hi rendition="#fr">Art von Religion,</hi> wo-<lb/> zu er gebildet iſt — auch das druͤckt ſich aus — und zwar in der <hi rendition="#fr">Zeichnung</hi> der Zuͤge; auch in<lb/> der <hi rendition="#fr">Form</hi> ſogar des Geſichts.</p><lb/> <p>Nicht nur z. E. iſt in des ſogenannten <hi rendition="#fr">Pietiſten Mienen</hi> ſeine <hi rendition="#fr">aͤngſtliche Geſetzlich-<lb/> keit</hi> — in des ſogenannten <hi rendition="#fr">Herrnhuters,</hi> ſeine <hi rendition="#fr">weiblichſuͤßfroͤhliche Heiterkeit;</hi> in des <hi rendition="#fr">Men-<lb/> noniten,</hi> das <hi rendition="#fr">Einfaͤltiginnigherzliche;</hi> in des <hi rendition="#fr">Myſtikers,</hi> das <hi rendition="#fr">Stillverliebte</hi> — u. ſ. f. ſicht-<lb/> bar — ſo daß es gar nicht ſchwer iſt, (auch ohne Ruͤckſicht auf die ſo viel mitwuͤrkende Stellung,<lb/> Gang, Gebehrde, Stimme) auf den erſten Anblick jeden ſolchen religioſen Charakter ſogleich zu<lb/> erkennen: Nicht nur das —</p><lb/> <p>Sondern — jede Hauptklaſſe von religioſen Gefuͤhlen hat — gewiſſe <hi rendition="#fr">Hauptformen.</hi></p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p><hi rendition="#fr">Religioſe Hauptformen!</hi> — Jch fuͤhle ganz, nicht das Anſtoͤßige des Ausdruckes <hi rendition="#fr">an<lb/> ſich</hi> — denn das, was ich <hi rendition="#fr">meine Philoſophie</hi> heiße — erroͤthet nicht mehr vor <hi rendition="#fr">Woͤrtern</hi> — weil<lb/> ſie auch vor den <hi rendition="#fr">wahren Dingen,</hi> die ſie bezeichnen, nicht erroͤthen darf und will — aber ich fuͤh-<lb/> le die Beſtuͤrzung einiger meiner Leſer. — <hi rendition="#fr">Religioſe Formen — Lavater!</hi> „du biſt unſinnig —<lb/> „dein vieles Schreiben macht dich unſinnig“ — Nein! ich bin nicht unſinnig, ſondern ich <hi rendition="#fr">rede<lb/> wahrhaftige und nuͤchterne Worte</hi> — Was ich hier hinwerfe — ich verſpreche Beweis da-<lb/> von — und zwar nicht erſt in den <hi rendition="#fr">phyſiognomiſchen Linien;</hi> Beweiſe, einige Beyſpiele wenig-<lb/> ſtens, auf den naͤchſtfolgenden Tafeln.</p><lb/> <p>So gewiß es Geſichtsformen giebt, welche nicht zu Feldherren taugen, und Geſichtsfor-<lb/> men, mit denen im Cabinette nichts anzufangen iſt; ſo gewiß giebt es Geſichtsformen, von denen<lb/> ſich ganz zuverlaͤßig ſagen laͤßt: dieſe werden niemals keine aufrichtige <hi rendition="#fr">Herrnhuter;</hi> jene keine<lb/> ſtandhafte <hi rendition="#fr">Methodiſten</hi> werden.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Wo religioſe <hi rendition="#fr">Mienen</hi> wuͤrklich ſind — da ſind auch noch <hi rendition="#fr">religioſe Formen</hi> moͤglich —<lb/> und zum Theil wuͤrklich — denn die Miene iſt nur Lebenshauch, Lebensblick der Form. Und wie<lb/> der Selbſtlauter den Mitlauter belebt — und in Eins mit ſich verwandelt; ſo kann die Miene, in<lb/> ſo fern ſie wuͤrklich Geiſt und Leben iſt — kann dieſer Funke Gottes vielleicht noch ſich entflam-<lb/> <fw place="bottom" type="catch">men</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [244/0392]
X. Abſchnitt. I. Fragment.
aus; — nicht nur, was der Menſch iſt; auch was er ſeyn kann; auch die Art von Religion, wo-
zu er gebildet iſt — auch das druͤckt ſich aus — und zwar in der Zeichnung der Zuͤge; auch in
der Form ſogar des Geſichts.
Nicht nur z. E. iſt in des ſogenannten Pietiſten Mienen ſeine aͤngſtliche Geſetzlich-
keit — in des ſogenannten Herrnhuters, ſeine weiblichſuͤßfroͤhliche Heiterkeit; in des Men-
noniten, das Einfaͤltiginnigherzliche; in des Myſtikers, das Stillverliebte — u. ſ. f. ſicht-
bar — ſo daß es gar nicht ſchwer iſt, (auch ohne Ruͤckſicht auf die ſo viel mitwuͤrkende Stellung,
Gang, Gebehrde, Stimme) auf den erſten Anblick jeden ſolchen religioſen Charakter ſogleich zu
erkennen: Nicht nur das —
Sondern — jede Hauptklaſſe von religioſen Gefuͤhlen hat — gewiſſe Hauptformen.
Religioſe Hauptformen! — Jch fuͤhle ganz, nicht das Anſtoͤßige des Ausdruckes an
ſich — denn das, was ich meine Philoſophie heiße — erroͤthet nicht mehr vor Woͤrtern — weil
ſie auch vor den wahren Dingen, die ſie bezeichnen, nicht erroͤthen darf und will — aber ich fuͤh-
le die Beſtuͤrzung einiger meiner Leſer. — Religioſe Formen — Lavater! „du biſt unſinnig —
„dein vieles Schreiben macht dich unſinnig“ — Nein! ich bin nicht unſinnig, ſondern ich rede
wahrhaftige und nuͤchterne Worte — Was ich hier hinwerfe — ich verſpreche Beweis da-
von — und zwar nicht erſt in den phyſiognomiſchen Linien; Beweiſe, einige Beyſpiele wenig-
ſtens, auf den naͤchſtfolgenden Tafeln.
So gewiß es Geſichtsformen giebt, welche nicht zu Feldherren taugen, und Geſichtsfor-
men, mit denen im Cabinette nichts anzufangen iſt; ſo gewiß giebt es Geſichtsformen, von denen
ſich ganz zuverlaͤßig ſagen laͤßt: dieſe werden niemals keine aufrichtige Herrnhuter; jene keine
ſtandhafte Methodiſten werden.
Wo religioſe Mienen wuͤrklich ſind — da ſind auch noch religioſe Formen moͤglich —
und zum Theil wuͤrklich — denn die Miene iſt nur Lebenshauch, Lebensblick der Form. Und wie
der Selbſtlauter den Mitlauter belebt — und in Eins mit ſich verwandelt; ſo kann die Miene, in
ſo fern ſie wuͤrklich Geiſt und Leben iſt — kann dieſer Funke Gottes vielleicht noch ſich entflam-
men
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |