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Lehmann, Henni: Das Kunst-Studium der Frauen. Darmstadt, 1914.

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Angabe zufolge das Original der berühmten Mosaik der Alexanderschlacht
das große Schlachtenbild einer Künstlerin gewesen sein. Und wenn bisher
unter den allergrößten Meistern keine Künstlerin war, so haben sicher in
den verschiedensten Epochen Künstlerinnen bei den Besten ihrer Zeit ge-
standen, wie sie es heut tun. Namen zu nennen möchte ich mir versagen.
Jeder von Jhnen mag sie nach seinem Geschmack und Urteil ergänzen.
Daß also die Natur der Frau die Fähigkeit, künstlerisch zu bilden, versagt
hat, wird man auf Grund historischer Erfahrung ebensowenig behaupten
können wie auf Grund physiologischer Erkenntnis, da uns erregbare
Phantasie, Geschmack, feiner Farbsinn als vorzügliche Hilfsmittel gegeben
sind. Aber die Originalität? Ja, wer hat die? Wer ist wirklich ein
Eigener? - Nach dem Überschlag, den ich mir gemacht habe, dürften im
Durchschnitt jährlich von deutschen Akademien und Schulen 400 bis 500
Künstler zur Entlassung kommen. Aber wenn es auch nur 200 bis 300,
ja selbst nur 100 wären, ist da unter diesen 300 oder 100 mit Sicherheit
in jedem Jahre auch nur einer, der neue Wege weist, - der der Zeit den
Stempel seiner Persönlichkeit aufprägt? Der als Fels aus dem Strome
ragt? - Die ganz Großen sind selten bei Männern und bei Frauen, und
wer das Genie der Zukunft sein wird, wissen wir nicht. Für diese
wenigen Überragenden werden überhaupt keine Akademien gegründet,
die Schulbildung ist nicht so wesentlich für die, die sich eigene Wege zu
schaffen verstehen, als für die große Zahl der guten Talente, die der
Regel folgen, diese guten Talente, die wir nicht entbehren können.
Sie sind es, die die Kunst für die breite Masse, für das Bedürfnis des
Tages produzieren, für diese aber sollen sie gute Kunst schaffen auf sicherer
geschulter Grundlage. Solch gute Tageskunst, die ich vielleicht eine Kunst
zweiten Grades nennen könnte, brauchen wir. Diese Tageskunst, diese
Kunst zweiten Grades, steht freilich in gewissem, mehr oder minder breitem
Abstand von jenen Allergrößten, aber sie ist darum keineswegs minder-
wertig. Und wenn sie auch vielfach herauswächst aus den Forderungen
des Tages und diese befriedigen will, so wird erst eine Sichtung späterer

Angabe zufolge das Original der berühmten Mosaik der Alexanderschlacht
das große Schlachtenbild einer Künstlerin gewesen sein. Und wenn bisher
unter den allergrößten Meistern keine Künstlerin war, so haben sicher in
den verschiedensten Epochen Künstlerinnen bei den Besten ihrer Zeit ge-
standen, wie sie es heut tun. Namen zu nennen möchte ich mir versagen.
Jeder von Jhnen mag sie nach seinem Geschmack und Urteil ergänzen.
Daß also die Natur der Frau die Fähigkeit, künstlerisch zu bilden, versagt
hat, wird man auf Grund historischer Erfahrung ebensowenig behaupten
können wie auf Grund physiologischer Erkenntnis, da uns erregbare
Phantasie, Geschmack, feiner Farbsinn als vorzügliche Hilfsmittel gegeben
sind. Aber die Originalität? Ja, wer hat die? Wer ist wirklich ein
Eigener? – Nach dem Überschlag, den ich mir gemacht habe, dürften im
Durchschnitt jährlich von deutschen Akademien und Schulen 400 bis 500
Künstler zur Entlassung kommen. Aber wenn es auch nur 200 bis 300,
ja selbst nur 100 wären, ist da unter diesen 300 oder 100 mit Sicherheit
in jedem Jahre auch nur einer, der neue Wege weist, – der der Zeit den
Stempel seiner Persönlichkeit aufprägt? Der als Fels aus dem Strome
ragt? – Die ganz Großen sind selten bei Männern und bei Frauen, und
wer das Genie der Zukunft sein wird, wissen wir nicht. Für diese
wenigen Überragenden werden überhaupt keine Akademien gegründet,
die Schulbildung ist nicht so wesentlich für die, die sich eigene Wege zu
schaffen verstehen, als für die große Zahl der guten Talente, die der
Regel folgen, diese guten Talente, die wir nicht entbehren können.
Sie sind es, die die Kunst für die breite Masse, für das Bedürfnis des
Tages produzieren, für diese aber sollen sie gute Kunst schaffen auf sicherer
geschulter Grundlage. Solch gute Tageskunst, die ich vielleicht eine Kunst
zweiten Grades nennen könnte, brauchen wir. Diese Tageskunst, diese
Kunst zweiten Grades, steht freilich in gewissem, mehr oder minder breitem
Abstand von jenen Allergrößten, aber sie ist darum keineswegs minder-
wertig. Und wenn sie auch vielfach herauswächst aus den Forderungen
des Tages und diese befriedigen will, so wird erst eine Sichtung späterer

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[16/0022] Angabe zufolge das Original der berühmten Mosaik der Alexanderschlacht das große Schlachtenbild einer Künstlerin gewesen sein. Und wenn bisher unter den allergrößten Meistern keine Künstlerin war, so haben sicher in den verschiedensten Epochen Künstlerinnen bei den Besten ihrer Zeit ge- standen, wie sie es heut tun. Namen zu nennen möchte ich mir versagen. Jeder von Jhnen mag sie nach seinem Geschmack und Urteil ergänzen. Daß also die Natur der Frau die Fähigkeit, künstlerisch zu bilden, versagt hat, wird man auf Grund historischer Erfahrung ebensowenig behaupten können wie auf Grund physiologischer Erkenntnis, da uns erregbare Phantasie, Geschmack, feiner Farbsinn als vorzügliche Hilfsmittel gegeben sind. Aber die Originalität? Ja, wer hat die? Wer ist wirklich ein Eigener? – Nach dem Überschlag, den ich mir gemacht habe, dürften im Durchschnitt jährlich von deutschen Akademien und Schulen 400 bis 500 Künstler zur Entlassung kommen. Aber wenn es auch nur 200 bis 300, ja selbst nur 100 wären, ist da unter diesen 300 oder 100 mit Sicherheit in jedem Jahre auch nur einer, der neue Wege weist, – der der Zeit den Stempel seiner Persönlichkeit aufprägt? Der als Fels aus dem Strome ragt? – Die ganz Großen sind selten bei Männern und bei Frauen, und wer das Genie der Zukunft sein wird, wissen wir nicht. Für diese wenigen Überragenden werden überhaupt keine Akademien gegründet, die Schulbildung ist nicht so wesentlich für die, die sich eigene Wege zu schaffen verstehen, als für die große Zahl der guten Talente, die der Regel folgen, diese guten Talente, die wir nicht entbehren können. Sie sind es, die die Kunst für die breite Masse, für das Bedürfnis des Tages produzieren, für diese aber sollen sie gute Kunst schaffen auf sicherer geschulter Grundlage. Solch gute Tageskunst, die ich vielleicht eine Kunst zweiten Grades nennen könnte, brauchen wir. Diese Tageskunst, diese Kunst zweiten Grades, steht freilich in gewissem, mehr oder minder breitem Abstand von jenen Allergrößten, aber sie ist darum keineswegs minder- wertig. Und wenn sie auch vielfach herauswächst aus den Forderungen des Tages und diese befriedigen will, so wird erst eine Sichtung späterer

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Zitationshilfe: Lehmann, Henni: Das Kunst-Studium der Frauen. Darmstadt, 1914, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehmann_kunststudium_1913/22>, abgerufen am 23.11.2024.