Lehmann, Rudolf: Deutsche Poetik. München, 1908.ple_092.001 ple_092.006 ple_092.014 9. Rhythmus und Klangfarbe. Es war eine Lieblingsvorstellung ple_092.015 ple_092.036 1) ple_092.042
Arbeit und Rhythmus. 3. Aufl. Leipzig 1902. S. 42. ple_092.001 ple_092.006 ple_092.014 9. Rhythmus und Klangfarbe. Es war eine Lieblingsvorstellung ple_092.015 ple_092.036 1) ple_092.042
Arbeit und Rhythmus. 3. Aufl. Leipzig 1902. S. 42. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0106" n="92"/> <p><lb n="ple_092.001"/> Ganz ähnlich ist es, wenn <hi rendition="#g">Zweifel</hi> und <hi rendition="#g">Reue</hi> leise aus den Winkeln <lb n="ple_092.002"/> herbeischleichen, und zum anmutigsten Bilde wird die Vorstellung des Friedens <lb n="ple_092.003"/> in Schillers Braut von Messina: <lb n="ple_092.004"/> <hi rendition="#aq"><lg><l>Schön ist der Friede, ein lieblicher Knabe</l><lb n="ple_092.005"/><l>Liegt er gelagert am ruhigen Bach.</l></lg></hi></p> <p><lb n="ple_092.006"/> So zeigt sich auch hier überall, daß Gefühl und Empfindung die Quellen <lb n="ple_092.007"/> sind, aus der die Bilder des Dichters Anschaulichkeit und Leben empfangen. <lb n="ple_092.008"/> Aber auch hier wird das Maß der Anschaulichkeit, das der Sprache aufgeprägt <lb n="ple_092.009"/> ist, abhängen von der persönlichen Anlage des Dichters und <lb n="ple_092.010"/> zwischen den ins einzelste gesehenen Bildern Homers und den nicht <lb n="ple_092.011"/> minder zahlreichen, aber stets nur dämmerschwach umrissenen Vergleichen <lb n="ple_092.012"/> Klopstocks dehnt sich eine Stufenleiter aus, die für zahlreiche Dichterindividualitäten <lb n="ple_092.013"/> Raum gibt.</p> </div> <div n="3"> <head> <lb n="ple_092.014"/> <hi rendition="#b">9. Rhythmus und Klangfarbe.</hi> </head> <p> Es war eine Lieblingsvorstellung <lb n="ple_092.015"/> des 18. Jahrhunderts, daß die Gewalt gesteigerter Empfindungen die Menschen <lb n="ple_092.016"/> zum musikalischen Ausdruck getrieben und dieser wiederum der <lb n="ple_092.017"/> Sprache rhythmischen Charakter aufgeprägt habe. Und auch wir sind <lb n="ple_092.018"/> noch gern geneigt, mit dem Wort: „Es ist der Geist, der sich den Körper <lb n="ple_092.019"/> baut“ den Ursprung der dichterischen Formen zu erklären. Wir betrachten <lb n="ple_092.020"/> es wohl als natürlich und selbstverständlich, daß die Form eines Gedichtes <lb n="ple_092.021"/> durch seinen Inhalt bedingt ist, und daß der Klang der Verse diesen Inhalt <lb n="ple_092.022"/> oder zum mindesten die Stimmung, die ihn beherrscht, wiederspiegeln und <lb n="ple_092.023"/> zum Ausdruck bringen soll. Allein wenn diese Auffassung einem verfeinerten <lb n="ple_092.024"/> künstlerischen Empfinden entspricht, so drückt sie doch keineswegs <lb n="ple_092.025"/> das Verhältnis aus, das dem Ursprung nach zwischen den beiden <lb n="ple_092.026"/> Elementen der Dichtung besteht. Im Gegenteil: die neuere Forschung <lb n="ple_092.027"/> hat es mehr als wahrscheinlich gemacht, daß die rhythmische Form der <lb n="ple_092.028"/> ältesten Dichtungen nicht aus dem Wesen der Sprache, ja, nicht einmal <lb n="ple_092.029"/> aus dem der gesungenen Sprache zu erklären, sondern ihr vielmehr als <lb n="ple_092.030"/> ein fremder Bestandteil von außen her aufgeprägt ist. „Das rhythmische <lb n="ple_092.031"/> Element“, sagt <hi rendition="#g">Bücher</hi> in einem bedeutenden Werke über diesen Gegenstand,<note xml:id="ple_092_1" place="foot" n="1)"><lb n="ple_092.042"/> Arbeit und Rhythmus. 3. Aufl. Leipzig 1902. S. 42.</note> <lb n="ple_092.032"/> „wohnt weder der Musik noch der Sprache ursprünglich inne. <lb n="ple_092.033"/> Es kommt von außen und entstammt der Körperbewegung, welche der <lb n="ple_092.034"/> Gesang zu begleiten bestimmt ist und ohne welche er überhaupt nicht <lb n="ple_092.035"/> vorkommt.“</p> <p><lb n="ple_092.036"/> Die Tendenz zur rhythmischen Bewegung erwächst, wie schon ältere <lb n="ple_092.037"/> Forschung wahrscheinlich gemacht hat, aus den anatomischen und physiologischen <lb n="ple_092.038"/> Verhältnissen unseres Körpers: „Lungen und Herztätigkeit, die <lb n="ple_092.039"/> Bewegung der Arme und Beine vollziehen sich unter gewöhnlichen Umständen <lb n="ple_092.040"/> rhythmisch.“ Aber die <hi rendition="#g">Arbeit</hi> oder das, was ihr bei den primitiven <lb n="ple_092.041"/> Völkern entspricht, ist es nach <hi rendition="#g">Büchers</hi> Theorie, wodurch diese Tendenz sich </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [92/0106]
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Ganz ähnlich ist es, wenn Zweifel und Reue leise aus den Winkeln ple_092.002
herbeischleichen, und zum anmutigsten Bilde wird die Vorstellung des Friedens ple_092.003
in Schillers Braut von Messina: ple_092.004
Schön ist der Friede, ein lieblicher Knabe ple_092.005
Liegt er gelagert am ruhigen Bach.
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So zeigt sich auch hier überall, daß Gefühl und Empfindung die Quellen ple_092.007
sind, aus der die Bilder des Dichters Anschaulichkeit und Leben empfangen. ple_092.008
Aber auch hier wird das Maß der Anschaulichkeit, das der Sprache aufgeprägt ple_092.009
ist, abhängen von der persönlichen Anlage des Dichters und ple_092.010
zwischen den ins einzelste gesehenen Bildern Homers und den nicht ple_092.011
minder zahlreichen, aber stets nur dämmerschwach umrissenen Vergleichen ple_092.012
Klopstocks dehnt sich eine Stufenleiter aus, die für zahlreiche Dichterindividualitäten ple_092.013
Raum gibt.
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9. Rhythmus und Klangfarbe. Es war eine Lieblingsvorstellung ple_092.015
des 18. Jahrhunderts, daß die Gewalt gesteigerter Empfindungen die Menschen ple_092.016
zum musikalischen Ausdruck getrieben und dieser wiederum der ple_092.017
Sprache rhythmischen Charakter aufgeprägt habe. Und auch wir sind ple_092.018
noch gern geneigt, mit dem Wort: „Es ist der Geist, der sich den Körper ple_092.019
baut“ den Ursprung der dichterischen Formen zu erklären. Wir betrachten ple_092.020
es wohl als natürlich und selbstverständlich, daß die Form eines Gedichtes ple_092.021
durch seinen Inhalt bedingt ist, und daß der Klang der Verse diesen Inhalt ple_092.022
oder zum mindesten die Stimmung, die ihn beherrscht, wiederspiegeln und ple_092.023
zum Ausdruck bringen soll. Allein wenn diese Auffassung einem verfeinerten ple_092.024
künstlerischen Empfinden entspricht, so drückt sie doch keineswegs ple_092.025
das Verhältnis aus, das dem Ursprung nach zwischen den beiden ple_092.026
Elementen der Dichtung besteht. Im Gegenteil: die neuere Forschung ple_092.027
hat es mehr als wahrscheinlich gemacht, daß die rhythmische Form der ple_092.028
ältesten Dichtungen nicht aus dem Wesen der Sprache, ja, nicht einmal ple_092.029
aus dem der gesungenen Sprache zu erklären, sondern ihr vielmehr als ple_092.030
ein fremder Bestandteil von außen her aufgeprägt ist. „Das rhythmische ple_092.031
Element“, sagt Bücher in einem bedeutenden Werke über diesen Gegenstand, 1) ple_092.032
„wohnt weder der Musik noch der Sprache ursprünglich inne. ple_092.033
Es kommt von außen und entstammt der Körperbewegung, welche der ple_092.034
Gesang zu begleiten bestimmt ist und ohne welche er überhaupt nicht ple_092.035
vorkommt.“
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Die Tendenz zur rhythmischen Bewegung erwächst, wie schon ältere ple_092.037
Forschung wahrscheinlich gemacht hat, aus den anatomischen und physiologischen ple_092.038
Verhältnissen unseres Körpers: „Lungen und Herztätigkeit, die ple_092.039
Bewegung der Arme und Beine vollziehen sich unter gewöhnlichen Umständen ple_092.040
rhythmisch.“ Aber die Arbeit oder das, was ihr bei den primitiven ple_092.041
Völkern entspricht, ist es nach Büchers Theorie, wodurch diese Tendenz sich
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Arbeit und Rhythmus. 3. Aufl. Leipzig 1902. S. 42.
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