Lehmann, Rudolf: Deutsche Poetik. München, 1908.ple_102.001 ple_102.017 ple_102.106 ple_102.001 ple_102.017 ple_102.106 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0116" n="102"/><lb n="ple_102.001"/> er ganz: nur in dem humoristischen Hochzeitlied bedient er sich <lb n="ple_102.002"/> Bürgerscher Mittel. Die meisten späteren Dichter sind ihm gefolgt, und <lb n="ple_102.003"/> selbst in der Romantik, die so stark dem Musikalischen zuneigt, findet <lb n="ple_102.004"/> man nur selten Versgebilde wie jener Refrain in Brentanos Lustigen <lb n="ple_102.005"/> Musikanten: <lb n="ple_102.006"/> <hi rendition="#aq"><lg><l>Es brauset und sauset</l><lb n="ple_102.007"/><l>Das Tamburin,</l><lb n="ple_102.008"/><l>Es prasseln und rasseln</l><lb n="ple_102.009"/><l>Die Schellen drin;</l><lb n="ple_102.010"/><l>Die Becken hell flimmern</l><lb n="ple_102.011"/><l>Von tönenden Schimmern.</l><lb n="ple_102.012"/><l>Um Kling und um Klang,</l><lb n="ple_102.013"/><l>Um Sing und um Sang</l><lb n="ple_102.014"/><l>Schweifen die Pfeifen und greifen</l><lb n="ple_102.015"/><l>Ans Herz</l><lb n="ple_102.016"/><l>Mit Freud' und mit Schmerz!</l></lg></hi></p> <p><lb n="ple_102.017"/> Klopstock benutzte, wie das oben angeführte Beispiel zeigt, die Klangmalerei <lb n="ple_102.018"/> zunächst, um antike Odenschemata neu zu beleben. Seine Nachfolger <lb n="ple_102.019"/> wählen zumeist volkstümlichere Formen, und wir finden, daß sie mit <lb n="ple_102.020"/> Vorliebe Versmaße benutzen, die an sich wenig charakteristisch sind und <lb n="ple_102.021"/> daher, wie die kurzen Reimpaare bei Gottfried, nur als unentbehrliche <lb n="ple_102.022"/> rhythmische Unterlage für das Tongemälde selber dienen. Goethe liebt <lb n="ple_102.023"/> die einfachen jambischen oder trochäischen Reihen, oft nur zur vierzeiligen <lb n="ple_102.024"/> Strophe verbunden, so im <hi rendition="#g">Fischer,</hi> einem der berühmtesten Vorbilder der <lb n="ple_102.025"/> Tonmalerei. Und besonders die jüngere Romantik ist hierin seine gelehrige <lb n="ple_102.026"/> Schülerin gewesen. Rhythmus und Strophe sind in solchen Gedichten an <lb n="ple_102.027"/> sich ausdruckslos, sie bleiben gleichsam neutral und vermögen daher nicht <lb n="ple_102.028"/> nur die verschiedensten Stimmungen, sondern auch die verschiedenartigsten <lb n="ple_102.029"/> Klangwirkungen gleichmäßig zu tragen: <lb n="ple_102.030"/> <cb type="start"/><hi rendition="#aq"><lg><l>O gib vom weichen Pfühle,</l><lb n="ple_102.031"/><l>Träumend, ein halb Gehör!</l><lb n="ple_102.032"/><l>Bei meinem Saitenspiele</l><lb n="ple_102.033"/><l>Schlafe! was willst du mehr?</l></lg></hi> <lb n="ple_102.034"/> <hi rendition="#right"><hi rendition="#aq">(Goethe.)</hi></hi><cb/> <lb n="ple_102.101"/> <hi rendition="#aq"><lg><l>Das ist ein schlechtes Wetter,</l><lb n="ple_102.102"/><l>Es regnet, stürmt und schneit,</l><lb n="ple_102.103"/><l>Ich sitze am Fenster und schaue</l><lb n="ple_102.104"/><l>Hinaus in die Dunkelheit.</l></lg></hi> <lb n="ple_102.105"/> <hi rendition="#right"><hi rendition="#aq">(Heine.)</hi></hi><cb type="end"/></p> <p><lb n="ple_102.106"/> Auch die späteren Dichter suchen fast durchweg mehr durch die Klangfarbe <lb n="ple_102.107"/> als durch den Rhythmus zu malen und zu wirken und legen daher <lb n="ple_102.108"/> im allgemeinen wenig Wert auf rhythmisch-metrische Eigenart und Charakteristik. <lb n="ple_102.109"/> Am auffallendsten ist das bei den Formenkünstlern der Gegenwart, <lb n="ple_102.110"/> von denen besonders Hugo von Hofmannsthal, der den gereimten <lb n="ple_102.111"/> oder auch ungereimten fünffüßigen Jambus bisweilen mit wunderbarem <lb n="ple_102.112"/> musikalischen Leben zu erfüllen weiß. So im „Tod des Tizian“: <lb n="ple_102.113"/> <hi rendition="#aq"><lg><l>Und wie der Schwan, ein selig schwimmend Tier,</l><lb n="ple_102.114"/><l>Aus der Najade triefend weißen Händen</l><lb n="ple_102.115"/><l>Sich seine Nahrung küßt, so bog ich mich</l><lb n="ple_102.116"/><l>In dunklen Stunden über seine Hände</l><lb n="ple_102.117"/><l>Um meiner Seele Nahrung: tiefen Traum.</l></lg></hi></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [102/0116]
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er ganz: nur in dem humoristischen Hochzeitlied bedient er sich ple_102.002
Bürgerscher Mittel. Die meisten späteren Dichter sind ihm gefolgt, und ple_102.003
selbst in der Romantik, die so stark dem Musikalischen zuneigt, findet ple_102.004
man nur selten Versgebilde wie jener Refrain in Brentanos Lustigen ple_102.005
Musikanten: ple_102.006
Es brauset und sauset ple_102.007
Das Tamburin, ple_102.008
Es prasseln und rasseln ple_102.009
Die Schellen drin; ple_102.010
Die Becken hell flimmern ple_102.011
Von tönenden Schimmern. ple_102.012
Um Kling und um Klang, ple_102.013
Um Sing und um Sang ple_102.014
Schweifen die Pfeifen und greifen ple_102.015
Ans Herz ple_102.016
Mit Freud' und mit Schmerz!
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Klopstock benutzte, wie das oben angeführte Beispiel zeigt, die Klangmalerei ple_102.018
zunächst, um antike Odenschemata neu zu beleben. Seine Nachfolger ple_102.019
wählen zumeist volkstümlichere Formen, und wir finden, daß sie mit ple_102.020
Vorliebe Versmaße benutzen, die an sich wenig charakteristisch sind und ple_102.021
daher, wie die kurzen Reimpaare bei Gottfried, nur als unentbehrliche ple_102.022
rhythmische Unterlage für das Tongemälde selber dienen. Goethe liebt ple_102.023
die einfachen jambischen oder trochäischen Reihen, oft nur zur vierzeiligen ple_102.024
Strophe verbunden, so im Fischer, einem der berühmtesten Vorbilder der ple_102.025
Tonmalerei. Und besonders die jüngere Romantik ist hierin seine gelehrige ple_102.026
Schülerin gewesen. Rhythmus und Strophe sind in solchen Gedichten an ple_102.027
sich ausdruckslos, sie bleiben gleichsam neutral und vermögen daher nicht ple_102.028
nur die verschiedensten Stimmungen, sondern auch die verschiedenartigsten ple_102.029
Klangwirkungen gleichmäßig zu tragen: ple_102.030
O gib vom weichen Pfühle, ple_102.031
Träumend, ein halb Gehör! ple_102.032
Bei meinem Saitenspiele ple_102.033
Schlafe! was willst du mehr?
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(Goethe.)
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Das ist ein schlechtes Wetter, ple_102.102
Es regnet, stürmt und schneit, ple_102.103
Ich sitze am Fenster und schaue ple_102.104
Hinaus in die Dunkelheit.
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(Heine.)
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Auch die späteren Dichter suchen fast durchweg mehr durch die Klangfarbe ple_102.107
als durch den Rhythmus zu malen und zu wirken und legen daher ple_102.108
im allgemeinen wenig Wert auf rhythmisch-metrische Eigenart und Charakteristik. ple_102.109
Am auffallendsten ist das bei den Formenkünstlern der Gegenwart, ple_102.110
von denen besonders Hugo von Hofmannsthal, der den gereimten ple_102.111
oder auch ungereimten fünffüßigen Jambus bisweilen mit wunderbarem ple_102.112
musikalischen Leben zu erfüllen weiß. So im „Tod des Tizian“: ple_102.113
Und wie der Schwan, ein selig schwimmend Tier, ple_102.114
Aus der Najade triefend weißen Händen ple_102.115
Sich seine Nahrung küßt, so bog ich mich ple_102.116
In dunklen Stunden über seine Hände ple_102.117
Um meiner Seele Nahrung: tiefen Traum.
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