Lehmann, Rudolf: Deutsche Poetik. München, 1908.ple_138.001 ple_138.010 ple_138.013 ple_138.014 ple_138.030 ple_138.038 1) ple_138.040
Eine eingehende Einteilung des Epigramms im weiteren Sinne des Worts hat ple_138.041 Herder (Anmerkungen über das griechische Epigramm) unternommen. Doch macht R. ple_138.042 M. Werner mit Recht dagegen geltend, daß sie das Einteilungsprinzip nicht wahrt. ple_138.001 ple_138.010 ple_138.013 ple_138.014 ple_138.030 ple_138.038 1) ple_138.040
Eine eingehende Einteilung des Epigramms im weiteren Sinne des Worts hat ple_138.041 Herder (Anmerkungen über das griechische Epigramm) unternommen. Doch macht R. ple_138.042 M. Werner mit Recht dagegen geltend, daß sie das Einteilungsprinzip nicht wahrt. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0152" n="138"/><lb n="ple_138.001"/> Goethe unter der Überschrift <hi rendition="#g">Epigrammatisch</hi> die mannigfaltigsten kurzen <lb n="ple_138.002"/> Einfälle zusammen, und auch in Logaus Sinngedichten finden wir Verse <lb n="ple_138.003"/> verschiedensten Inhalts und Charakters. Allein eine deutliche Scheidung <lb n="ple_138.004"/> läßt sich gleichwohl ohne Schwierigkeit und mit Vorteil für das Verständnis <lb n="ple_138.005"/> durchführen.<note xml:id="ple_138_1" place="foot" n="1)"><lb n="ple_138.040"/> Eine eingehende Einteilung des Epigramms im weiteren Sinne des Worts hat <lb n="ple_138.041"/> Herder (Anmerkungen über das griechische Epigramm) unternommen. Doch macht R. <lb n="ple_138.042"/> M. <hi rendition="#g">Werner</hi> mit Recht dagegen geltend, daß sie das Einteilungsprinzip nicht wahrt.</note> Wo der Gedanke in seiner allgemeinen Bedeutung kurz <lb n="ple_138.006"/> und einfach vorgetragen wird, ist die Bezeichnung <hi rendition="#g">Spruch</hi> oder <hi rendition="#g">Sentenz <lb n="ple_138.007"/> (Gnome</hi>) besser am Platz als der Name Epigramm. So Logau's: <lb n="ple_138.008"/> <hi rendition="#aq"><lg><l>„Ein Mühlstein und ein Menschenherz wird stets herumgetrieben,</l><lb n="ple_138.009"/><l>Wo beides nichts zu reiben hat, wird beides selbst zerrieben.“</l></lg></hi></p> <p><lb n="ple_138.010"/> Oder Goethes: <lb n="ple_138.011"/> <hi rendition="#aq"><lg><l>„Alles in der Welt läßt sich ertragen,</l><lb n="ple_138.012"/><l>Nur nicht eine Reihe von guten Tagen.“</l></lg></hi></p> <p><lb n="ple_138.013"/> Ebenso Schillers Führer des Lebens und zahllose andere.</p> <p><lb n="ple_138.014"/> Für das <hi rendition="#g">Epigramm</hi> im engeren Sinne aber ist charakteristisch, daß <lb n="ple_138.015"/> der Gedanke stets mit einer überraschenden Wendung auf eine kurze Exposition <lb n="ple_138.016"/> folgt, somit als Schlußspitze erscheint. Schon Lessing hat die <lb n="ple_138.017"/> Zweiteilung des Epigramms und seine Zuspitzung als die wesentlichen <lb n="ple_138.018"/> Eigenschaften dieser Gedichtform angesehen. Die Namen <hi rendition="#g">Erwartung</hi> und <lb n="ple_138.019"/> <hi rendition="#g">Aufschluß,</hi> mit denen er die beiden Teile bezeichnete, passen freilich <lb n="ple_138.020"/> nicht überall, und Werners Ausdrücke <hi rendition="#g">Erlebnis</hi> und <hi rendition="#g">Einfall</hi> (S. 179 f.) <lb n="ple_138.021"/> sind treffender, obgleich sie nur die subjektive Seite, die Entstehung des <lb n="ple_138.022"/> Gedichts, bezeichnen. <hi rendition="#g">Grundlage</hi> und <hi rendition="#g">Spitze, Exposition</hi> und <hi rendition="#g">Pointe</hi> <lb n="ple_138.023"/> dürfte das Verhältnis am besten bezeichnen. Goethe, „Den Originalen“: <lb n="ple_138.024"/> <hi rendition="#aq"><lg><l>Ein Quidam sagt: „Ich bin von keiner Schule!</l><lb n="ple_138.025"/><l>Kein Meister lebt, mit dem ich buhle;</l><lb n="ple_138.026"/><l>Auch bin ich weit davon entfernt,</l><lb n="ple_138.027"/><l>Daß ich von Toten was gelernt.“</l><lb n="ple_138.028"/><l>Das heißt, wenn ich ihn recht verstand:</l><lb n="ple_138.029"/><l>„Ich bin ein Narr auf eigne Hand.“</l></lg></hi></p> <p><lb n="ple_138.030"/> In der Natur solcher überraschender Wendungen liegt es, daß sie zumeist <lb n="ple_138.031"/> auf komische Wirkungen abzielen. Und in der Tat ersetzt in den meisten <lb n="ple_138.032"/> Epigrammen der Witz das Stimmungselement, welches jeder Gedankendichtung <lb n="ple_138.033"/> eignen muß. Wenn das Epigramm mehr als ein belangloser <lb n="ple_138.034"/> Einfall sein soll, so wird seinem Witz eine tiefere Bedeutung zukommen <lb n="ple_138.035"/> müssen; so faßt es auch Goethe: <lb n="ple_138.036"/> <hi rendition="#aq"><lg><l>Sei das Werte solcher Sendung</l><lb n="ple_138.037"/><l>Tiefen Sinnes heitre Wendung.</l></lg></hi></p> <p><lb n="ple_138.038"/> Mit diesem Motto überschreibt er seine epigrammatischen Gedichte. Daher <lb n="ple_138.039"/> wird das Epigramm im engeren Sinne hauptsächlich der Satire dienen, die </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [138/0152]
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Goethe unter der Überschrift Epigrammatisch die mannigfaltigsten kurzen ple_138.002
Einfälle zusammen, und auch in Logaus Sinngedichten finden wir Verse ple_138.003
verschiedensten Inhalts und Charakters. Allein eine deutliche Scheidung ple_138.004
läßt sich gleichwohl ohne Schwierigkeit und mit Vorteil für das Verständnis ple_138.005
durchführen. 1) Wo der Gedanke in seiner allgemeinen Bedeutung kurz ple_138.006
und einfach vorgetragen wird, ist die Bezeichnung Spruch oder Sentenz ple_138.007
(Gnome) besser am Platz als der Name Epigramm. So Logau's: ple_138.008
„Ein Mühlstein und ein Menschenherz wird stets herumgetrieben, ple_138.009
Wo beides nichts zu reiben hat, wird beides selbst zerrieben.“
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Oder Goethes: ple_138.011
„Alles in der Welt läßt sich ertragen, ple_138.012
Nur nicht eine Reihe von guten Tagen.“
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Ebenso Schillers Führer des Lebens und zahllose andere.
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Für das Epigramm im engeren Sinne aber ist charakteristisch, daß ple_138.015
der Gedanke stets mit einer überraschenden Wendung auf eine kurze Exposition ple_138.016
folgt, somit als Schlußspitze erscheint. Schon Lessing hat die ple_138.017
Zweiteilung des Epigramms und seine Zuspitzung als die wesentlichen ple_138.018
Eigenschaften dieser Gedichtform angesehen. Die Namen Erwartung und ple_138.019
Aufschluß, mit denen er die beiden Teile bezeichnete, passen freilich ple_138.020
nicht überall, und Werners Ausdrücke Erlebnis und Einfall (S. 179 f.) ple_138.021
sind treffender, obgleich sie nur die subjektive Seite, die Entstehung des ple_138.022
Gedichts, bezeichnen. Grundlage und Spitze, Exposition und Pointe ple_138.023
dürfte das Verhältnis am besten bezeichnen. Goethe, „Den Originalen“: ple_138.024
Ein Quidam sagt: „Ich bin von keiner Schule! ple_138.025
Kein Meister lebt, mit dem ich buhle; ple_138.026
Auch bin ich weit davon entfernt, ple_138.027
Daß ich von Toten was gelernt.“ ple_138.028
Das heißt, wenn ich ihn recht verstand: ple_138.029
„Ich bin ein Narr auf eigne Hand.“
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In der Natur solcher überraschender Wendungen liegt es, daß sie zumeist ple_138.031
auf komische Wirkungen abzielen. Und in der Tat ersetzt in den meisten ple_138.032
Epigrammen der Witz das Stimmungselement, welches jeder Gedankendichtung ple_138.033
eignen muß. Wenn das Epigramm mehr als ein belangloser ple_138.034
Einfall sein soll, so wird seinem Witz eine tiefere Bedeutung zukommen ple_138.035
müssen; so faßt es auch Goethe: ple_138.036
Sei das Werte solcher Sendung ple_138.037
Tiefen Sinnes heitre Wendung.
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Mit diesem Motto überschreibt er seine epigrammatischen Gedichte. Daher ple_138.039
wird das Epigramm im engeren Sinne hauptsächlich der Satire dienen, die
1) ple_138.040
Eine eingehende Einteilung des Epigramms im weiteren Sinne des Worts hat ple_138.041
Herder (Anmerkungen über das griechische Epigramm) unternommen. Doch macht R. ple_138.042
M. Werner mit Recht dagegen geltend, daß sie das Einteilungsprinzip nicht wahrt.
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