Lehmann, Rudolf: Deutsche Poetik. München, 1908.ple_154.001 ple_154.020 13. Roman und Novelle. Es wird uns Heutigen nicht ohne weiteres ple_154.021 1) ple_154.042
Der deutsche Roman des 19. Jahrhunderts. Berlin 1898. S. 12. ple_154.001 ple_154.020 13. Roman und Novelle. Es wird uns Heutigen nicht ohne weiteres ple_154.021 1) ple_154.042
Der deutsche Roman des 19. Jahrhunderts. Berlin 1898. S. 12. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0168" n="154"/><lb n="ple_154.001"/> besonders seit dem Ausgang der romantischen Epoche, welche die echte <lb n="ple_154.002"/> Ballade bevorzugte. Noch in den letzten Jahrzehnten haben ihr Konrad <lb n="ple_154.003"/> Ferdinand Meyer, Ernst v. Wildenbruch im Hexenlied und mancher andere <lb n="ple_154.004"/> neues Interesse zu verleihen gewußt. Man darf sagen, daß die kleinere <lb n="ple_154.005"/> poetische Erzählung die größere Form des Epos überdauert hat. Die <lb n="ple_154.006"/> letztere hat für das moderne Gefühl etwas Veraltetes. Nur vereinzelt <lb n="ple_154.007"/> haben seit Goethes Hermann und Dorothea größere epische Dichtungen in <lb n="ple_154.008"/> gebundener Rede ein weiteres und stärkeres Interesse wachgerufen, wie z. B. <lb n="ple_154.009"/> Kinkels Otto der Schütz, Scheffels Trompeter von Säckingen und Julius <lb n="ple_154.010"/> Wolffs Dichtungen. Im allgemeinen nicht gerade durch ihre künstlerischen <lb n="ple_154.011"/> Qualitäten, sondern dadurch, daß sie das Unterhaltungsbedürfnis einerseits, <lb n="ple_154.012"/> eine gewisse flache Sentimentalität des größeren Publikums andrerseits befriedigten. <lb n="ple_154.013"/> Tiefere Bestrebungen, wie die Hamerlings oder Jordans, sind <lb n="ple_154.014"/> nicht durchgedrungen. Und im ganzen ist es richtig, was H. <hi rendition="#g">Mielke</hi><note xml:id="ple_154_1" place="foot" n="1)"><lb n="ple_154.042"/> Der deutsche Roman des 19. Jahrhunderts. Berlin 1898. S. 12.</note> <lb n="ple_154.015"/> mit hübscher Wendung sagt: „Dem Epos erging es wie jenem Greise in <lb n="ple_154.016"/> der griechischen Mythologie: ihm war Unsterblichkeit, aber nicht die zweite, <lb n="ple_154.017"/> ebenso notwendige Gabe der ewigen Jugend beschieden, und während es <lb n="ple_154.018"/> in seinem alten Ruhme verkümmerte, war für Roman und Novelle jede <lb n="ple_154.019"/> neue Zeitbewegung das Bad, welches sie verjüngte.“</p> </div> <div n="3"> <head> <lb n="ple_154.020"/> <hi rendition="#b">13. Roman und Novelle.</hi> </head> <p> Es wird uns Heutigen nicht ohne weiteres <lb n="ple_154.021"/> verständlich sein, daß die ältere Ästhetik dem Roman den künstlerischen <lb n="ple_154.022"/> Charakter ganz oder teilweise absprach, am wenigsten, wenn es <lb n="ple_154.023"/> aus einem so äußerlichen Grunde geschah, wie bei Wackernagel, der den <lb n="ple_154.024"/> Roman als Dichtungsform ablehnt, weil er in Prosa geschrieben den Untergang <lb n="ple_154.025"/> des Epos bezeichne, „so daß man hier die unkünstlerische Form der <lb n="ple_154.026"/> Rede wohl eine Ungehörigkeit nennen darf“. „Nur dieselbe Bequemlichkeit, <lb n="ple_154.027"/> die ja dergleichen Auflösungen veranlaßte, hat ihm bis auf unsere <lb n="ple_154.028"/> Zeit seinen Bestand sichern können.“ (Wackernagel, Poetik S. 81.) Ein <lb n="ple_154.029"/> seltsames Kunsturteil! Steht doch schon die Erzählungsweise der ritterlichen <lb n="ple_154.030"/> Epiker, deren Fluß durch die kurzen Reimpaare nur lose gebunden <lb n="ple_154.031"/> und wenig beengt ist, der Prosa vielfach näher als den in schweren <lb n="ple_154.032"/> pathetischen Strophen dahin strömenden Rhythmen des Volksepos. Wahr <lb n="ple_154.033"/> ist es allerdings, daß die Auflösung der älteren Heldengedichte in Prosa, <lb n="ple_154.034"/> mit der vom 14. Jahrhundert an der Ritterroman einsetzt, ein Sinken des <lb n="ple_154.035"/> Formensinns bezeichnet: das Interesse für den Stoff verdrängt offenbar <lb n="ple_154.036"/> dasjenige für die poetische Gestaltung. Es mag dies mit der weiteren Verbreitung <lb n="ple_154.037"/> der Literatur zusammenhängen: es war nicht mehr ausschließlich <lb n="ple_154.038"/> das aristokratische Publikum der ritterlichen Fürstenhöfe mit seinem an der <lb n="ple_154.039"/> Tradition geschulten Formensinn, das den Rittermären lauschte. Andrerseits <lb n="ple_154.040"/> mag etwas von der Ungeduld und dem Stoffhunger des modernen <lb n="ple_154.041"/> Lesers auch damals schon die Kreise ergriffen haben, für die geschrieben </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [154/0168]
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besonders seit dem Ausgang der romantischen Epoche, welche die echte ple_154.002
Ballade bevorzugte. Noch in den letzten Jahrzehnten haben ihr Konrad ple_154.003
Ferdinand Meyer, Ernst v. Wildenbruch im Hexenlied und mancher andere ple_154.004
neues Interesse zu verleihen gewußt. Man darf sagen, daß die kleinere ple_154.005
poetische Erzählung die größere Form des Epos überdauert hat. Die ple_154.006
letztere hat für das moderne Gefühl etwas Veraltetes. Nur vereinzelt ple_154.007
haben seit Goethes Hermann und Dorothea größere epische Dichtungen in ple_154.008
gebundener Rede ein weiteres und stärkeres Interesse wachgerufen, wie z. B. ple_154.009
Kinkels Otto der Schütz, Scheffels Trompeter von Säckingen und Julius ple_154.010
Wolffs Dichtungen. Im allgemeinen nicht gerade durch ihre künstlerischen ple_154.011
Qualitäten, sondern dadurch, daß sie das Unterhaltungsbedürfnis einerseits, ple_154.012
eine gewisse flache Sentimentalität des größeren Publikums andrerseits befriedigten. ple_154.013
Tiefere Bestrebungen, wie die Hamerlings oder Jordans, sind ple_154.014
nicht durchgedrungen. Und im ganzen ist es richtig, was H. Mielke 1) ple_154.015
mit hübscher Wendung sagt: „Dem Epos erging es wie jenem Greise in ple_154.016
der griechischen Mythologie: ihm war Unsterblichkeit, aber nicht die zweite, ple_154.017
ebenso notwendige Gabe der ewigen Jugend beschieden, und während es ple_154.018
in seinem alten Ruhme verkümmerte, war für Roman und Novelle jede ple_154.019
neue Zeitbewegung das Bad, welches sie verjüngte.“
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13. Roman und Novelle. Es wird uns Heutigen nicht ohne weiteres ple_154.021
verständlich sein, daß die ältere Ästhetik dem Roman den künstlerischen ple_154.022
Charakter ganz oder teilweise absprach, am wenigsten, wenn es ple_154.023
aus einem so äußerlichen Grunde geschah, wie bei Wackernagel, der den ple_154.024
Roman als Dichtungsform ablehnt, weil er in Prosa geschrieben den Untergang ple_154.025
des Epos bezeichne, „so daß man hier die unkünstlerische Form der ple_154.026
Rede wohl eine Ungehörigkeit nennen darf“. „Nur dieselbe Bequemlichkeit, ple_154.027
die ja dergleichen Auflösungen veranlaßte, hat ihm bis auf unsere ple_154.028
Zeit seinen Bestand sichern können.“ (Wackernagel, Poetik S. 81.) Ein ple_154.029
seltsames Kunsturteil! Steht doch schon die Erzählungsweise der ritterlichen ple_154.030
Epiker, deren Fluß durch die kurzen Reimpaare nur lose gebunden ple_154.031
und wenig beengt ist, der Prosa vielfach näher als den in schweren ple_154.032
pathetischen Strophen dahin strömenden Rhythmen des Volksepos. Wahr ple_154.033
ist es allerdings, daß die Auflösung der älteren Heldengedichte in Prosa, ple_154.034
mit der vom 14. Jahrhundert an der Ritterroman einsetzt, ein Sinken des ple_154.035
Formensinns bezeichnet: das Interesse für den Stoff verdrängt offenbar ple_154.036
dasjenige für die poetische Gestaltung. Es mag dies mit der weiteren Verbreitung ple_154.037
der Literatur zusammenhängen: es war nicht mehr ausschließlich ple_154.038
das aristokratische Publikum der ritterlichen Fürstenhöfe mit seinem an der ple_154.039
Tradition geschulten Formensinn, das den Rittermären lauschte. Andrerseits ple_154.040
mag etwas von der Ungeduld und dem Stoffhunger des modernen ple_154.041
Lesers auch damals schon die Kreise ergriffen haben, für die geschrieben
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Der deutsche Roman des 19. Jahrhunderts. Berlin 1898. S. 12.
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