Lehmann, Rudolf: Deutsche Poetik. München, 1908.ple_165.001 ple_165.005 ple_165.028 1) ple_165.040
Julius Bab, Wege zum Drama, Berlin 1906. Die geistreiche kleine Schrift ist, ple_165.041 wie schon die oben angeführte Stelle zeigt, nicht frei von Überschwang, aber sie ist von ple_165.042 einem tiefen und richtigen Gefühl für das Wesen der dramatischen Kunst getragen und ple_165.043 eröffnet eine Reihe lichtvoller Einblicke. ple_165.001 ple_165.005 ple_165.028 1) ple_165.040
Julius Bab, Wege zum Drama, Berlin 1906. Die geistreiche kleine Schrift ist, ple_165.041 wie schon die oben angeführte Stelle zeigt, nicht frei von Überschwang, aber sie ist von ple_165.042 einem tiefen und richtigen Gefühl für das Wesen der dramatischen Kunst getragen und ple_165.043 eröffnet eine Reihe lichtvoller Einblicke. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0179" n="165"/><lb n="ple_165.001"/> doch nur als schmückendes Beiwerk empfunden. Daher ist auch die Möglichkeit <lb n="ple_165.002"/> der dramatischen Wirkung nicht an Dekoration und Kostüme gebunden, <lb n="ple_165.003"/> wie denn alle ursprüngliche dramatische Kunst von diesen Mitteln <lb n="ple_165.004"/> nichts weiß.</p> <p><lb n="ple_165.005"/> Aber der Zwang zur Konzentration geht weiter. Auch das Seelenleben <lb n="ple_165.006"/> der handelnden Personen kann sich auf der Bühne nicht voll und breit <lb n="ple_165.007"/> ausladen. Nur ausnahmsweise und bevor die Handlung in Fluß kommt, <lb n="ple_165.008"/> vermag uns der Dramatiker mit einem ins Einzelne geführten Seelengemälde <lb n="ple_165.009"/> zu interessieren. Die epische Breite der Schilderung bleibt ihm auch hier <lb n="ple_165.010"/> versagt. Von vornherein muß er alle Aufmerksamkeit auf das Wesentliche, <lb n="ple_165.011"/> das ins Auge Springende richten. Scharf ausgeprägte, im Großen gesehene <lb n="ple_165.012"/> Züge bilden seine Charaktere: die feinen vermittelnden Schattierungen, <lb n="ple_165.013"/> abgetönte Stimmungen des Seelenlebens vermag er nur ausnahmsweise zu <lb n="ple_165.014"/> verwenden. Der Dramatiker arbeitet wie im Großen, so immer auch <lb n="ple_165.015"/> einigermaßen aus dem Groben heraus: jede zu weit gehende Verfeinerung <lb n="ple_165.016"/> ist hier zugleich eine Abschwächung des Eindrucks. Daher neigt <lb n="ple_165.017"/> die dramatische Poesie zu scharfen Kontrasten, ja, obwohl der Kontrast, <lb n="ple_165.018"/> wie wir im 10. Abschnitt gesehen haben, in jeder poetischen Gattung ein <lb n="ple_165.019"/> wesentliches Kunstmittel ist, so darf man die Dramatik im besonderen <lb n="ple_165.020"/> Sinne als die Kunst der Kontrastwirkung, als Schöpfung aus Kontrasten <lb n="ple_165.021"/> bezeichnen. Denn erst durch den Gegensatz tritt das Charakteristische als <lb n="ple_165.022"/> solches in voller Schärfe hervor; erst dadurch, daß wir Charaktere und <lb n="ple_165.023"/> Handlungsweisen voneinander abstechen sehen, werden wir uns ihrer <lb n="ple_165.024"/> Eigenart deutlich bewußt. Und dieser Gegensatz wird hier nicht durch <lb n="ple_165.025"/> eine ausgleichende und mildernde Darstellungskunst, wie die des Erzählers <lb n="ple_165.026"/> ist, überbrückt: er tritt im echten Drama in voller Schärfe vor unsere <lb n="ple_165.027"/> Augen und Ohren.</p> <p><lb n="ple_165.028"/> Denn auch hier ist es vor allem die Sprache, in deren Eigenart sich <lb n="ple_165.029"/> das Wesen des Dramatischen ausprägt. Mag sie naturalistisch im Munde <lb n="ple_165.030"/> jeder Person das verschiedene Gepräge ihrer Herkunft und Umgebung <lb n="ple_165.031"/> tragen, mag sie zu einer gleichmäßigen Idealform stilisiert sein: immer <lb n="ple_165.032"/> muß sie den inneren Gegensatz zwischen den Charakteren zum Ausdruck <lb n="ple_165.033"/> bringen, und epigrammatisch zugespitzte Stichomythie darf man in diesem <lb n="ple_165.034"/> Sinne das Grundschema des dramatischen Dialogs nennen. „Zweistimmig <lb n="ple_165.035"/> zu sein ist der Sinn des Dramas. In dieser Zweistimmigkeit wurzelt alles <lb n="ple_165.036"/> Formale der Shakespeareschen Kunst.“ So drückt den Gedanken treffend <lb n="ple_165.037"/> ein moderner Dramaturg<note xml:id="ple_165_1" place="foot" n="1)"><lb n="ple_165.040"/><hi rendition="#k">Julius Bab,</hi> Wege zum Drama, Berlin 1906. Die geistreiche kleine Schrift ist, <lb n="ple_165.041"/> wie schon die oben angeführte Stelle zeigt, nicht frei von Überschwang, aber sie ist von <lb n="ple_165.042"/> einem tiefen und richtigen Gefühl für das Wesen der dramatischen Kunst getragen und <lb n="ple_165.043"/> eröffnet eine Reihe lichtvoller Einblicke.</note> aus, und nicht ohne Übertreibung, aber doch <lb n="ple_165.038"/> im Grunde richtig fügt er hinzu: „Wie in jedem kleinen Pfeiler des Straßburger <lb n="ple_165.039"/> Münsters die „Idee“, der Rhythmus des Ganzen steckt, so birgt jede </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [165/0179]
ple_165.001
doch nur als schmückendes Beiwerk empfunden. Daher ist auch die Möglichkeit ple_165.002
der dramatischen Wirkung nicht an Dekoration und Kostüme gebunden, ple_165.003
wie denn alle ursprüngliche dramatische Kunst von diesen Mitteln ple_165.004
nichts weiß.
ple_165.005
Aber der Zwang zur Konzentration geht weiter. Auch das Seelenleben ple_165.006
der handelnden Personen kann sich auf der Bühne nicht voll und breit ple_165.007
ausladen. Nur ausnahmsweise und bevor die Handlung in Fluß kommt, ple_165.008
vermag uns der Dramatiker mit einem ins Einzelne geführten Seelengemälde ple_165.009
zu interessieren. Die epische Breite der Schilderung bleibt ihm auch hier ple_165.010
versagt. Von vornherein muß er alle Aufmerksamkeit auf das Wesentliche, ple_165.011
das ins Auge Springende richten. Scharf ausgeprägte, im Großen gesehene ple_165.012
Züge bilden seine Charaktere: die feinen vermittelnden Schattierungen, ple_165.013
abgetönte Stimmungen des Seelenlebens vermag er nur ausnahmsweise zu ple_165.014
verwenden. Der Dramatiker arbeitet wie im Großen, so immer auch ple_165.015
einigermaßen aus dem Groben heraus: jede zu weit gehende Verfeinerung ple_165.016
ist hier zugleich eine Abschwächung des Eindrucks. Daher neigt ple_165.017
die dramatische Poesie zu scharfen Kontrasten, ja, obwohl der Kontrast, ple_165.018
wie wir im 10. Abschnitt gesehen haben, in jeder poetischen Gattung ein ple_165.019
wesentliches Kunstmittel ist, so darf man die Dramatik im besonderen ple_165.020
Sinne als die Kunst der Kontrastwirkung, als Schöpfung aus Kontrasten ple_165.021
bezeichnen. Denn erst durch den Gegensatz tritt das Charakteristische als ple_165.022
solches in voller Schärfe hervor; erst dadurch, daß wir Charaktere und ple_165.023
Handlungsweisen voneinander abstechen sehen, werden wir uns ihrer ple_165.024
Eigenart deutlich bewußt. Und dieser Gegensatz wird hier nicht durch ple_165.025
eine ausgleichende und mildernde Darstellungskunst, wie die des Erzählers ple_165.026
ist, überbrückt: er tritt im echten Drama in voller Schärfe vor unsere ple_165.027
Augen und Ohren.
ple_165.028
Denn auch hier ist es vor allem die Sprache, in deren Eigenart sich ple_165.029
das Wesen des Dramatischen ausprägt. Mag sie naturalistisch im Munde ple_165.030
jeder Person das verschiedene Gepräge ihrer Herkunft und Umgebung ple_165.031
tragen, mag sie zu einer gleichmäßigen Idealform stilisiert sein: immer ple_165.032
muß sie den inneren Gegensatz zwischen den Charakteren zum Ausdruck ple_165.033
bringen, und epigrammatisch zugespitzte Stichomythie darf man in diesem ple_165.034
Sinne das Grundschema des dramatischen Dialogs nennen. „Zweistimmig ple_165.035
zu sein ist der Sinn des Dramas. In dieser Zweistimmigkeit wurzelt alles ple_165.036
Formale der Shakespeareschen Kunst.“ So drückt den Gedanken treffend ple_165.037
ein moderner Dramaturg 1) aus, und nicht ohne Übertreibung, aber doch ple_165.038
im Grunde richtig fügt er hinzu: „Wie in jedem kleinen Pfeiler des Straßburger ple_165.039
Münsters die „Idee“, der Rhythmus des Ganzen steckt, so birgt jede
1) ple_165.040
Julius Bab, Wege zum Drama, Berlin 1906. Die geistreiche kleine Schrift ist, ple_165.041
wie schon die oben angeführte Stelle zeigt, nicht frei von Überschwang, aber sie ist von ple_165.042
einem tiefen und richtigen Gefühl für das Wesen der dramatischen Kunst getragen und ple_165.043
eröffnet eine Reihe lichtvoller Einblicke.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Sandra Richter: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |