Lehmann, Rudolf: Deutsche Poetik. München, 1908.ple_187.001 ple_187.013 1) ple_187.041
Viehoff, Poetik S. 463 f. Bruchmann, Poetik S. 98 f. ple_187.001 ple_187.013 1) ple_187.041
Viehoff, Poetik S. 463 f. Bruchmann, Poetik S. 98 f. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0201" n="187"/><lb n="ple_187.001"/> Gedichte hebt sich scharf ab von dem volkstümlich schlichten <lb n="ple_187.002"/> in „der Wirtin Töchterlein“, dem „Weißen Hirsch“ oder dem „Schifflein“. <lb n="ple_187.003"/> Im ganzen wahrt die Ballade der Romantiker mehr die volkstümliche <lb n="ple_187.004"/> Richtung, so, um einige der besten zu nennen, Heines Wallfahrt nach <lb n="ple_187.005"/> Kevlaar und sein weniger bekannter, aber dichterisch fast ebenso hoch <lb n="ple_187.006"/> stehender Ritter Olaf. Fontanes beste Balladen, wie Archibald Douglas und <lb n="ple_187.007"/> der James Monmouth, entfernen sich nicht durch ihren Ton, wohl aber durch <lb n="ple_187.008"/> die stark ausgeprägten Beziehungen auf die englische Geschichte vom volkstümlich <lb n="ple_187.009"/> Deutschen. In den letzten Jahrzehnten ist die Balladendichtung <lb n="ple_187.010"/> hohen Stils von Konrad Ferd. Meyer in einer Reihe von Gedichten ersten <lb n="ple_187.011"/> Ranges durch neue Töne bereichert worden (Die Parze, die Ketzerin, das <lb n="ple_187.012"/> Geisterross u. a.).</p> <p><lb n="ple_187.013"/> Ist es notwendig noch ein Wort über die sogenannte <hi rendition="#g">didaktische <lb n="ple_187.014"/> Poesie</hi> anzufügen, oder dürfen wir diesen Pseudogattungsbegriff, von <lb n="ple_187.015"/> dem schon Goethe nichts wissen wollte, nun endlich begraben sein lassen? <lb n="ple_187.016"/> Man begegnet ihm freilich noch heute nicht selten, und sogar Viehoff <lb n="ple_187.017"/> und Bruchmann<note xml:id="ple_187_1" place="foot" n="1)"><lb n="ple_187.041"/> Viehoff, Poetik S. 463 f. Bruchmann, Poetik S. 98 f.</note> halten ihn aufrecht. Allein Viehoff gibt selbst zu, daß <lb n="ple_187.018"/> „Zweck des didaktischen Gedichts nicht zu <hi rendition="#g">belehren,</hi> sondern durch Verstandes- <lb n="ple_187.019"/> und Vernunftvorstellungen zu <hi rendition="#g">erheben,</hi> zu <hi rendition="#g">begeistern,</hi> ästhetische <lb n="ple_187.020"/> Lustgefühle zu erregen“ sei. Und damit ist der Begriff der belehrenden <lb n="ple_187.021"/> Dichtung als solcher offenbar gerichtet. Er ist aus einem logischen Fehler <lb n="ple_187.022"/> in der Einteilung hervorgegangen, wie man mit Recht hervorgehoben hat, <lb n="ple_187.023"/> da er den drei Formengattungen als eine inhaltliche Kategorie zur Seite <lb n="ple_187.024"/> tritt. Entscheidender jedoch ist, daß es eine Poesie, die durch einen lehrhaften <lb n="ple_187.025"/> Zweck bestimmt wird, nicht geben kann. Belehrung in metrischer <lb n="ple_187.026"/> Form und dichterischem Ausdruck ist so wenig Poesie, wie farbige Illustrationen <lb n="ple_187.027"/> zu medizinischen und physikalischen Büchern Malerei sind. Der <lb n="ple_187.028"/> Irrtum ist, wie man gerade aus Viehoff deutlich ersieht, nur durch Verwechslung <lb n="ple_187.029"/> mit der Gedankenlyrik aufrecht erhalten. Allein wir wissen aus <lb n="ple_187.030"/> dem elften Abschnitt, daß diese Dichtung nicht lehren, sondern veranschaulichen <lb n="ple_187.031"/> und durch die Anschauung aufs Gefühl wirken will. Selbst <lb n="ple_187.032"/> die gnomische Poesie, die den lehrhaften Charakter am meisten trägt, verliert, <lb n="ple_187.033"/> wenn sie die Gefühlswirkung aufgibt und rein verstandesmäßig wirken <lb n="ple_187.034"/> will, den dichterischen Charakter. Auch die <hi rendition="#g">Fabel,</hi> auf die man sich gleichfalls <lb n="ple_187.035"/> beruft, ist nicht deshalb Poesie, weil sie moralische Wahrheiten überliefert, <lb n="ple_187.036"/> sondern nur deshalb, weil sie diesen Wahrheiten symbolisch anschauliche <lb n="ple_187.037"/> Gestalt verleiht. Diese Gestaltung kann an sich so poetisch <lb n="ple_187.038"/> sein, daß man die moralische Bedeutung darüber fast vergißt, wie das <lb n="ple_187.039"/> z. B. in den Lafontaineschen Fabeln der Fall ist; sie kann andrerseits <lb n="ple_187.040"/> durch die Kunst des Aufbaus und der Zuspitzung wirken, wie in der eigentlichen </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [187/0201]
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Gedichte hebt sich scharf ab von dem volkstümlich schlichten ple_187.002
in „der Wirtin Töchterlein“, dem „Weißen Hirsch“ oder dem „Schifflein“. ple_187.003
Im ganzen wahrt die Ballade der Romantiker mehr die volkstümliche ple_187.004
Richtung, so, um einige der besten zu nennen, Heines Wallfahrt nach ple_187.005
Kevlaar und sein weniger bekannter, aber dichterisch fast ebenso hoch ple_187.006
stehender Ritter Olaf. Fontanes beste Balladen, wie Archibald Douglas und ple_187.007
der James Monmouth, entfernen sich nicht durch ihren Ton, wohl aber durch ple_187.008
die stark ausgeprägten Beziehungen auf die englische Geschichte vom volkstümlich ple_187.009
Deutschen. In den letzten Jahrzehnten ist die Balladendichtung ple_187.010
hohen Stils von Konrad Ferd. Meyer in einer Reihe von Gedichten ersten ple_187.011
Ranges durch neue Töne bereichert worden (Die Parze, die Ketzerin, das ple_187.012
Geisterross u. a.).
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Ist es notwendig noch ein Wort über die sogenannte didaktische ple_187.014
Poesie anzufügen, oder dürfen wir diesen Pseudogattungsbegriff, von ple_187.015
dem schon Goethe nichts wissen wollte, nun endlich begraben sein lassen? ple_187.016
Man begegnet ihm freilich noch heute nicht selten, und sogar Viehoff ple_187.017
und Bruchmann 1) halten ihn aufrecht. Allein Viehoff gibt selbst zu, daß ple_187.018
„Zweck des didaktischen Gedichts nicht zu belehren, sondern durch Verstandes- ple_187.019
und Vernunftvorstellungen zu erheben, zu begeistern, ästhetische ple_187.020
Lustgefühle zu erregen“ sei. Und damit ist der Begriff der belehrenden ple_187.021
Dichtung als solcher offenbar gerichtet. Er ist aus einem logischen Fehler ple_187.022
in der Einteilung hervorgegangen, wie man mit Recht hervorgehoben hat, ple_187.023
da er den drei Formengattungen als eine inhaltliche Kategorie zur Seite ple_187.024
tritt. Entscheidender jedoch ist, daß es eine Poesie, die durch einen lehrhaften ple_187.025
Zweck bestimmt wird, nicht geben kann. Belehrung in metrischer ple_187.026
Form und dichterischem Ausdruck ist so wenig Poesie, wie farbige Illustrationen ple_187.027
zu medizinischen und physikalischen Büchern Malerei sind. Der ple_187.028
Irrtum ist, wie man gerade aus Viehoff deutlich ersieht, nur durch Verwechslung ple_187.029
mit der Gedankenlyrik aufrecht erhalten. Allein wir wissen aus ple_187.030
dem elften Abschnitt, daß diese Dichtung nicht lehren, sondern veranschaulichen ple_187.031
und durch die Anschauung aufs Gefühl wirken will. Selbst ple_187.032
die gnomische Poesie, die den lehrhaften Charakter am meisten trägt, verliert, ple_187.033
wenn sie die Gefühlswirkung aufgibt und rein verstandesmäßig wirken ple_187.034
will, den dichterischen Charakter. Auch die Fabel, auf die man sich gleichfalls ple_187.035
beruft, ist nicht deshalb Poesie, weil sie moralische Wahrheiten überliefert, ple_187.036
sondern nur deshalb, weil sie diesen Wahrheiten symbolisch anschauliche ple_187.037
Gestalt verleiht. Diese Gestaltung kann an sich so poetisch ple_187.038
sein, daß man die moralische Bedeutung darüber fast vergißt, wie das ple_187.039
z. B. in den Lafontaineschen Fabeln der Fall ist; sie kann andrerseits ple_187.040
durch die Kunst des Aufbaus und der Zuspitzung wirken, wie in der eigentlichen
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Viehoff, Poetik S. 463 f. Bruchmann, Poetik S. 98 f.
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