Lehmann, Rudolf: Deutsche Poetik. München, 1908.
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ple_216.001 ple_216.004 ple_216.023 ple_216.036 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p> <hi rendition="#aq"><pb facs="#f0230" n="216"/><lb n="ple_216.001"/> Gefühle, bei welchem jedoch die positive Seite, das Gefallen, nicht nur vorherrscht, <lb n="ple_216.002"/> sondern auch in besonders kräftiger Weise zur Geltung kommt, weil es, wie alle Gefühle, <lb n="ple_216.003"/> durch den Kontrast gehoben wird.“ —</hi> </p> <p> <lb n="ple_216.004"/> <hi rendition="#aq">Schon der englische Philosoph <hi rendition="#g">Hobbes</hi> macht gelegentlich die Bemerkung, das <lb n="ple_216.005"/> Gefühl des Komischen entspringe „dem plötzlich auftauchenden Selbstgefallen, das sich <lb n="ple_216.006"/> ergeben aus der Vorstellung einer Überlegenheit unseres Selbst in Vergleich mit der Inferiorität <lb n="ple_216.007"/> anderer oder der Inferiorität, die wir selbst empfunden“. Eine eingehendere Lehre <lb n="ple_216.008"/> vom Komischen hat Karl <hi rendition="#g">Groos</hi> (Einleitung in die Ästhetik, Gießen 1892) auf die gleiche <lb n="ple_216.009"/> Auffassung begründet. Scharfsinnig unterscheidet er zwischen dem Komischen, soweit es <lb n="ple_216.010"/> außerhalb der Kunst uns entgegentritt, und dem ästhetisch Komischen. Das erstere führt <lb n="ple_216.011"/> er ganz und gar auf jenes Gefühl der Überlegenheit über etwas Verkehrtes zurück. „Wir <lb n="ple_216.012"/> haben bei jedem Komischen das behagliche Pharisäergefühl, daß wir nicht sind wie dieser <lb n="ple_216.013"/> Verkehrten einer.“ (S. 392.) Dieses Gefühl gilt uns selbst, insofern wir, um die Verkehrtheiten <lb n="ple_216.014"/> zu verstehen, genötigt waren, einen Augenblick an ihr teilzunehmen, in sie einzugehen. <lb n="ple_216.015"/> Dieses letztere Moment ist nun der Ursprung des ästhetisch Komischen. Denn <lb n="ple_216.016"/> das Wesen der ästhetischen Anschauung beruht „in der inneren Nachahmung“, und wenn <lb n="ple_216.017"/> diese in dem ganzen Prozeß eine herrschende Stellung einnimmt, so tritt „der feinere <lb n="ple_216.018"/> Genuß des ästhetischen Verhaltens ein“, „die gröbere außerästhetische Lust an der eigenen <lb n="ple_216.019"/> Überlegenheit wird zurückgedrängt“. (S. 406). „Die Erhöhung unseres Selbstgefühls wird <lb n="ple_216.020"/> nicht mehr der eigentliche Zweck sein, sondern nur noch die heitere Grundstimmung <lb n="ple_216.021"/> bilden, mit der wir spielend immer wieder in die innere Nachahmung des Verkehrten <lb n="ple_216.022"/> eingehen.“ —</hi> </p> <p> <lb n="ple_216.023"/> <hi rendition="#aq">„Das Lachen ist ein Affekt aus der plötzlichen Verwandlung einer gespannten Erwartung <lb n="ple_216.024"/> in nichts,“ so die bedeutsame Definition <hi rendition="#g">Kants</hi> in der Kritik der Urteilskraft § 54. <lb n="ple_216.025"/> „Wir lachen nicht, weil wir uns etwa klüger finden als ein Unwissender, oder sonst über <lb n="ple_216.026"/> etwas, was uns der Lust hierin Wohlgefälliges bemerken ließe.“ Auf dieser Grundanschauung <lb n="ple_216.027"/> baut <hi rendition="#g">Lipps</hi> (Komik und Humor. Eine psychologische ästhetische Untersuchung. <lb n="ple_216.028"/> Hamburg und Leipzig 1898) seine eingehende und scharfsinnige Theorie des Komischen <lb n="ple_216.029"/> auf, indem er sie mannigfach modifiziert und bereichert. „Das Gefühl der Komik entsteht, <lb n="ple_216.030"/> indem ein — gleichgültig ob an sich oder nur für uns — Bedeutungsvolles oder Eindrucksvolles <lb n="ple_216.031"/> für uns oder in uns seiner Bedeutung oder Eindrucksfähigkeit verlustig geht.“ <lb n="ple_216.032"/> Oder wie es an einer andern Stelle heißt: „Das Gefühl der Komik ensteht überall, indem <lb n="ple_216.033"/> der Inhalt einer Wahrnehmung, einer Vorstellung, eines Gedankens den Anspruch auf <lb n="ple_216.034"/> eine gewisse Erhabenheit macht oder zu machen scheint, und doch zugleich eben diesen <lb n="ple_216.035"/> Anspruch nicht machen kann oder nicht scheint machen zu können.“</hi> </p> <p> <lb n="ple_216.036"/> <hi rendition="#aq">In diese Reihe von Begriffsbestimmungen habe ich diejenigen nicht aufgenommen, <lb n="ple_216.037"/> die, wie es hauptsächlich bei den Romantikern und den von ihnen beeinflußten Philosophen <lb n="ple_216.038"/> geschehen ist, das Komische von einem metaphysischen oder ihm verwandten, allgemein <lb n="ple_216.039"/> ästhetischen Standpunkt aus zu erfassen suchen, und ebensowenig die rein psychologischen <lb n="ple_216.040"/> und physiologischen Theorien, denen es ausschließlich auf den Zustand des Subjekts, <lb n="ple_216.041"/> nicht auf das objektiv Komische, das uns hier allein interessiert, ankommt. Und doch <lb n="ple_216.042"/> sieht man beim ersten Blick, wie wenig den angeführten Lehren gemeinsam ist, wie gänzlich <lb n="ple_216.043"/> verschieden die Art, in der sie sich des Gegenstandes zu bemächtigen suchen. Freilich, <lb n="ple_216.044"/> auch das tritt schon bei kurzer Betrachtung hervor, daß unter den angeführten Definitionen <lb n="ple_216.045"/> einige offenbar zu weit, andere hingegen zu eng sind, und überdies den meisten etwas <lb n="ple_216.046"/> Schiefes anhaftet, das von dem eigentlichen Untersuchungsgebiet abführt. Zu weit ist, <lb n="ple_216.047"/> wie man auf den ersten Blick sieht, die Definition des <hi rendition="#g">Aristoteles. Baumgart,</hi> der <lb n="ple_216.048"/> konservativste unter den modernen Vertretern der Poetik, sieht freilich in dieser Definition <lb n="ple_216.049"/> immer noch die einzige stichhaltige Erklärung und sucht in einem längeren Abschnitt <lb n="ple_216.050"/> seines Werkes (Handbuch der Poetik, Stuttgart 1887) das Wesen der komischen <lb n="ple_216.051"/> Dichtung hieraus abzuleiten. Allein in Wahrheit gibt der griechische Denker nichts als ein </hi> </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [216/0230]
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Gefühle, bei welchem jedoch die positive Seite, das Gefallen, nicht nur vorherrscht, ple_216.002
sondern auch in besonders kräftiger Weise zur Geltung kommt, weil es, wie alle Gefühle, ple_216.003
durch den Kontrast gehoben wird.“ —
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Schon der englische Philosoph Hobbes macht gelegentlich die Bemerkung, das ple_216.005
Gefühl des Komischen entspringe „dem plötzlich auftauchenden Selbstgefallen, das sich ple_216.006
ergeben aus der Vorstellung einer Überlegenheit unseres Selbst in Vergleich mit der Inferiorität ple_216.007
anderer oder der Inferiorität, die wir selbst empfunden“. Eine eingehendere Lehre ple_216.008
vom Komischen hat Karl Groos (Einleitung in die Ästhetik, Gießen 1892) auf die gleiche ple_216.009
Auffassung begründet. Scharfsinnig unterscheidet er zwischen dem Komischen, soweit es ple_216.010
außerhalb der Kunst uns entgegentritt, und dem ästhetisch Komischen. Das erstere führt ple_216.011
er ganz und gar auf jenes Gefühl der Überlegenheit über etwas Verkehrtes zurück. „Wir ple_216.012
haben bei jedem Komischen das behagliche Pharisäergefühl, daß wir nicht sind wie dieser ple_216.013
Verkehrten einer.“ (S. 392.) Dieses Gefühl gilt uns selbst, insofern wir, um die Verkehrtheiten ple_216.014
zu verstehen, genötigt waren, einen Augenblick an ihr teilzunehmen, in sie einzugehen. ple_216.015
Dieses letztere Moment ist nun der Ursprung des ästhetisch Komischen. Denn ple_216.016
das Wesen der ästhetischen Anschauung beruht „in der inneren Nachahmung“, und wenn ple_216.017
diese in dem ganzen Prozeß eine herrschende Stellung einnimmt, so tritt „der feinere ple_216.018
Genuß des ästhetischen Verhaltens ein“, „die gröbere außerästhetische Lust an der eigenen ple_216.019
Überlegenheit wird zurückgedrängt“. (S. 406). „Die Erhöhung unseres Selbstgefühls wird ple_216.020
nicht mehr der eigentliche Zweck sein, sondern nur noch die heitere Grundstimmung ple_216.021
bilden, mit der wir spielend immer wieder in die innere Nachahmung des Verkehrten ple_216.022
eingehen.“ —
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„Das Lachen ist ein Affekt aus der plötzlichen Verwandlung einer gespannten Erwartung ple_216.024
in nichts,“ so die bedeutsame Definition Kants in der Kritik der Urteilskraft § 54. ple_216.025
„Wir lachen nicht, weil wir uns etwa klüger finden als ein Unwissender, oder sonst über ple_216.026
etwas, was uns der Lust hierin Wohlgefälliges bemerken ließe.“ Auf dieser Grundanschauung ple_216.027
baut Lipps (Komik und Humor. Eine psychologische ästhetische Untersuchung. ple_216.028
Hamburg und Leipzig 1898) seine eingehende und scharfsinnige Theorie des Komischen ple_216.029
auf, indem er sie mannigfach modifiziert und bereichert. „Das Gefühl der Komik entsteht, ple_216.030
indem ein — gleichgültig ob an sich oder nur für uns — Bedeutungsvolles oder Eindrucksvolles ple_216.031
für uns oder in uns seiner Bedeutung oder Eindrucksfähigkeit verlustig geht.“ ple_216.032
Oder wie es an einer andern Stelle heißt: „Das Gefühl der Komik ensteht überall, indem ple_216.033
der Inhalt einer Wahrnehmung, einer Vorstellung, eines Gedankens den Anspruch auf ple_216.034
eine gewisse Erhabenheit macht oder zu machen scheint, und doch zugleich eben diesen ple_216.035
Anspruch nicht machen kann oder nicht scheint machen zu können.“
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In diese Reihe von Begriffsbestimmungen habe ich diejenigen nicht aufgenommen, ple_216.037
die, wie es hauptsächlich bei den Romantikern und den von ihnen beeinflußten Philosophen ple_216.038
geschehen ist, das Komische von einem metaphysischen oder ihm verwandten, allgemein ple_216.039
ästhetischen Standpunkt aus zu erfassen suchen, und ebensowenig die rein psychologischen ple_216.040
und physiologischen Theorien, denen es ausschließlich auf den Zustand des Subjekts, ple_216.041
nicht auf das objektiv Komische, das uns hier allein interessiert, ankommt. Und doch ple_216.042
sieht man beim ersten Blick, wie wenig den angeführten Lehren gemeinsam ist, wie gänzlich ple_216.043
verschieden die Art, in der sie sich des Gegenstandes zu bemächtigen suchen. Freilich, ple_216.044
auch das tritt schon bei kurzer Betrachtung hervor, daß unter den angeführten Definitionen ple_216.045
einige offenbar zu weit, andere hingegen zu eng sind, und überdies den meisten etwas ple_216.046
Schiefes anhaftet, das von dem eigentlichen Untersuchungsgebiet abführt. Zu weit ist, ple_216.047
wie man auf den ersten Blick sieht, die Definition des Aristoteles. Baumgart, der ple_216.048
konservativste unter den modernen Vertretern der Poetik, sieht freilich in dieser Definition ple_216.049
immer noch die einzige stichhaltige Erklärung und sucht in einem längeren Abschnitt ple_216.050
seines Werkes (Handbuch der Poetik, Stuttgart 1887) das Wesen der komischen ple_216.051
Dichtung hieraus abzuleiten. Allein in Wahrheit gibt der griechische Denker nichts als ein
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