Lehmann, Rudolf: Deutsche Poetik. München, 1908.ple_010.001 ple_010.018 ple_010.023 1) ple_010.041 Gesammelte Schriften. Herausgegeben von der Kgl. Preuß. Akademie der Wissenschaften ple_010.042 Bd. II S. 140 u. 260. 2) ple_010.043
Vgl. R. Haym, Die romantische Schule, Berlin 1876, S. 252. ple_010.001 ple_010.018 ple_010.023 1) ple_010.041 Gesammelte Schriften. Herausgegeben von der Kgl. Preuß. Akademie der Wissenschaften ple_010.042 Bd. II S. 140 u. 260. 2) ple_010.043
Vgl. R. Haym, Die romantische Schule, Berlin 1876, S. 252. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0024" n="10"/><lb n="ple_010.001"/> der Schranken ihrer Gattung. Nicht anders der Dichter.“ So sagt Wilhelm <lb n="ple_010.002"/> von <hi rendition="#g">Humboldt,</hi> der auf dem Höhepunkt der Epoche einige ihrer ästhetischen <lb n="ple_010.003"/> Grundanschauungen in seiner Abhandlung über Goethes Hermann und <lb n="ple_010.004"/> Dorothea zu klassischem Ausdruck gebracht hat; und in charakteristischer <lb n="ple_010.005"/> Weise lehnt er es ab, ein klassisches Gedicht „zu einer bloßen Mittelgattung <lb n="ple_010.006"/> herabzuwürdigen.“<note xml:id="ple_010_1" place="foot" n="1)"><lb n="ple_010.041"/> Gesammelte Schriften. Herausgegeben von der Kgl. Preuß. Akademie der Wissenschaften <lb n="ple_010.042"/> Bd. II S. 140 u. 260.</note> In dem gleichen Sinne verfuhr Lessing in der <lb n="ple_010.007"/> Dramaturgie, wenn er dem Theater der Franzosen den tragischen Charakter <lb n="ple_010.008"/> absprach, weil ihre Dramen dem aristotelischen Begriffe der Tragödie nicht <lb n="ple_010.009"/> genügten. Wenn diese Art zu urteilen nicht in ein ödes Schablonisieren <lb n="ple_010.010"/> auslief, so war der Grund der, daß in den Gattungsbestimmungen von <lb n="ple_010.011"/> vorneherein inhaltliche Beziehungen zu jener einheitlichen Weltanschauung <lb n="ple_010.012"/> und ihren Idealen, somit eigenartig bestimmte Werte mitgedacht wurden, <lb n="ple_010.013"/> welche durch die Dichtungen verwirklicht werden sollten. Besonders deutlich <lb n="ple_010.014"/> wird dies etwa durch Schillers Bestimmung des Tragischen (Pathetischen) <lb n="ple_010.015"/> in der Abhandlung vom Erhabenen, aber auch in der Art wie <lb n="ple_010.016"/> Friedrich Schlegel und die Seinigen den Roman als höchste Kunstform <lb n="ple_010.017"/> bestimmt und gewertet haben.<note xml:id="ple_010_2" place="foot" n="2)"><lb n="ple_010.043"/><hi rendition="#et"> Vgl. <hi rendition="#k">R. Haym,</hi> Die romantische Schule, Berlin 1876, S. 252.</hi></note> </p> <p><lb n="ple_010.018"/> Kurz, die Poetik, wie sie durch Schiller und Goethe ausgebildet wurde, <lb n="ple_010.019"/> ist in Wahrheit keine allgemein gültige Kunstlehre, sondern das Programm <lb n="ple_010.020"/> einer bestimmten künstlerischen Richtung. Sie verkündet den Idealstil als <lb n="ple_010.021"/> Ausdruck einer neuen Weltanschauung und wendet sich von allem ab, <lb n="ple_010.022"/> was diesem Stil widerspricht.</p> <p><lb n="ple_010.023"/> Damit aber mußte sich diese Poetik der Wirklichkeit gegenüber notwendig <lb n="ple_010.024"/> als zu eng erweisen: war sie doch von vornherein nur zustande <lb n="ple_010.025"/> gekommen im Gegensatz zu der eigenen freieren Jugendrichtung der beiden <lb n="ple_010.026"/> Dichter. Der Überschwang der jungen Kraftgenies, das nationale und volkstümliche <lb n="ple_010.027"/> Streben, der Naturalismus der siebziger Jahre: alles das, was <lb n="ple_010.028"/> die Dichtung der Sturm- und Drangperiode entfesselt und erfüllt hatte, war <lb n="ple_010.029"/> nicht ins Leben getreten, ohne daß eine entsprechende theoretische Anschauungsweise <lb n="ple_010.030"/> die Bahn geöffnet hätte. <hi rendition="#g">Herder</hi> war es, der sie zum <lb n="ple_010.031"/> Ausdruck gebracht, ja der sie aus einer Anzahl vorhandener Anregungen <lb n="ple_010.032"/> und Ansätze recht eigentlich erst geschaffen hat. Dieser geniale Anreger <lb n="ple_010.033"/> war unter den künstlerischen Geistern des 18. Jahrhunderts der erste, dessen <lb n="ple_010.034"/> Blick über das klassische Ideal hinausging und der jener einseitigen Wertung <lb n="ple_010.035"/> des Griechentums die Würdigung und das Verständnis anderer Kultur- und <lb n="ple_010.036"/> Literaturformen gegenüberstellte. Selbst von Begeisterung für griechische <lb n="ple_010.037"/> Kunst und Dichtung erfüllt, ist ihm doch Auge und Herz offen für das, <lb n="ple_010.038"/> was andere Völker Schönes und Großes hervorgebracht haben. Sein Ideal <lb n="ple_010.039"/> der Literaturwissenschaft umfaßt die Erkenntnis alles dessen, was die Menschheit <lb n="ple_010.040"/> in ihren verschiedenen Epochen und Nationen an Dichtungen geschaffen </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [10/0024]
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der Schranken ihrer Gattung. Nicht anders der Dichter.“ So sagt Wilhelm ple_010.002
von Humboldt, der auf dem Höhepunkt der Epoche einige ihrer ästhetischen ple_010.003
Grundanschauungen in seiner Abhandlung über Goethes Hermann und ple_010.004
Dorothea zu klassischem Ausdruck gebracht hat; und in charakteristischer ple_010.005
Weise lehnt er es ab, ein klassisches Gedicht „zu einer bloßen Mittelgattung ple_010.006
herabzuwürdigen.“ 1) In dem gleichen Sinne verfuhr Lessing in der ple_010.007
Dramaturgie, wenn er dem Theater der Franzosen den tragischen Charakter ple_010.008
absprach, weil ihre Dramen dem aristotelischen Begriffe der Tragödie nicht ple_010.009
genügten. Wenn diese Art zu urteilen nicht in ein ödes Schablonisieren ple_010.010
auslief, so war der Grund der, daß in den Gattungsbestimmungen von ple_010.011
vorneherein inhaltliche Beziehungen zu jener einheitlichen Weltanschauung ple_010.012
und ihren Idealen, somit eigenartig bestimmte Werte mitgedacht wurden, ple_010.013
welche durch die Dichtungen verwirklicht werden sollten. Besonders deutlich ple_010.014
wird dies etwa durch Schillers Bestimmung des Tragischen (Pathetischen) ple_010.015
in der Abhandlung vom Erhabenen, aber auch in der Art wie ple_010.016
Friedrich Schlegel und die Seinigen den Roman als höchste Kunstform ple_010.017
bestimmt und gewertet haben. 2)
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Kurz, die Poetik, wie sie durch Schiller und Goethe ausgebildet wurde, ple_010.019
ist in Wahrheit keine allgemein gültige Kunstlehre, sondern das Programm ple_010.020
einer bestimmten künstlerischen Richtung. Sie verkündet den Idealstil als ple_010.021
Ausdruck einer neuen Weltanschauung und wendet sich von allem ab, ple_010.022
was diesem Stil widerspricht.
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Damit aber mußte sich diese Poetik der Wirklichkeit gegenüber notwendig ple_010.024
als zu eng erweisen: war sie doch von vornherein nur zustande ple_010.025
gekommen im Gegensatz zu der eigenen freieren Jugendrichtung der beiden ple_010.026
Dichter. Der Überschwang der jungen Kraftgenies, das nationale und volkstümliche ple_010.027
Streben, der Naturalismus der siebziger Jahre: alles das, was ple_010.028
die Dichtung der Sturm- und Drangperiode entfesselt und erfüllt hatte, war ple_010.029
nicht ins Leben getreten, ohne daß eine entsprechende theoretische Anschauungsweise ple_010.030
die Bahn geöffnet hätte. Herder war es, der sie zum ple_010.031
Ausdruck gebracht, ja der sie aus einer Anzahl vorhandener Anregungen ple_010.032
und Ansätze recht eigentlich erst geschaffen hat. Dieser geniale Anreger ple_010.033
war unter den künstlerischen Geistern des 18. Jahrhunderts der erste, dessen ple_010.034
Blick über das klassische Ideal hinausging und der jener einseitigen Wertung ple_010.035
des Griechentums die Würdigung und das Verständnis anderer Kultur- und ple_010.036
Literaturformen gegenüberstellte. Selbst von Begeisterung für griechische ple_010.037
Kunst und Dichtung erfüllt, ist ihm doch Auge und Herz offen für das, ple_010.038
was andere Völker Schönes und Großes hervorgebracht haben. Sein Ideal ple_010.039
der Literaturwissenschaft umfaßt die Erkenntnis alles dessen, was die Menschheit ple_010.040
in ihren verschiedenen Epochen und Nationen an Dichtungen geschaffen
1) ple_010.041
Gesammelte Schriften. Herausgegeben von der Kgl. Preuß. Akademie der Wissenschaften ple_010.042
Bd. II S. 140 u. 260.
2) ple_010.043
Vgl. R. Haym, Die romantische Schule, Berlin 1876, S. 252.
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