Lehmann, Rudolf: Deutsche Poetik. München, 1908.ple_230.001 ple_230.019 ple_230.033 20. Satire und Humor. Wenn der lächerliche Kontrast zwischen ple_230.034 ple_230.038 ple_230.001 ple_230.019 ple_230.033 20. Satire und Humor. Wenn der lächerliche Kontrast zwischen ple_230.034 ple_230.038 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0244" n="230"/><lb n="ple_230.001"/> psychologischen Ursprung und eine fortschreitende Entwicklung von primitiven <lb n="ple_230.002"/> zu höheren und künstlerischen Formen gekennzeichnet: wir konnten <lb n="ple_230.003"/> die beiden ersten als <hi rendition="#g">Wort- und Gedankenwitz</hi> und als <hi rendition="#g">Situationskomik</hi> <lb n="ple_230.004"/> bezeichnen; für die dritte fehlt ein gemeinsamer Name: wir wollen <lb n="ple_230.005"/> sie zusammenfassend <hi rendition="#g">Komik des charakteristischen Gegensatzes</hi> <lb n="ple_230.006"/> oder schlechthin <hi rendition="#g">Charakterkomik</hi> nennen. In ihren entwickelteren Formen <lb n="ple_230.007"/> beruhen sie alle drei auf einer Kontrastwirkung, sei es zwischen Wortlaut <lb n="ple_230.008"/> und Bedeutung, zwischen Verwandtschaft und Diskrepanz oder zwischen <lb n="ple_230.009"/> Unterlegenheit und Überlegenheit, Kleinheit und Größe. Aber dieses gemeinsame <lb n="ple_230.010"/> Kennzeichen ist rein formaler Art und dazu in den primitiven <lb n="ple_230.011"/> Formen des Komischen nicht einmal überall vorhanden. Auch die Überraschung <lb n="ple_230.012"/> ist, wie wir gesehen haben, für die meisten Arten komischer <lb n="ple_230.013"/> Wirkungen kein grundlegender, sondern nur ein verstärkender Bestandteil. <lb n="ple_230.014"/> Daher müssen wir vorläufig bei jenen drei Grundformen der Komik stehen <lb n="ple_230.015"/> bleiben, und es der psychologischen Ästhetik überlassen, nach einer gemeinsamen <lb n="ple_230.016"/> Grundtatsache des Seelenlebens zu suchen, die alle drei aus <lb n="ple_230.017"/> einem mehr als bloß formalen Prinzip abzuleiten und verständlich zu <lb n="ple_230.018"/> machen imstande ist.</p> <p><lb n="ple_230.019"/> Dagegen können wir feststellen, daß alle drei Kategorien sich <lb n="ple_230.020"/> wenigstens in den höheren Arten der komischen Dichtung nicht nur äußerlich <lb n="ple_230.021"/> zusammen finden, sondern einander verstärken und vertiefen. Witz <lb n="ple_230.022"/> und Situationskomik empfangen erst Bedeutsamkeit und tieferen Sinn, <lb n="ple_230.023"/> wenn sie Gegensätze des Werts oder der Charakteristik zum Ausdruck <lb n="ple_230.024"/> bringen: das Spiel mit Gedanken, namentlich aber mit Worten wird sonst <lb n="ple_230.025"/> gar zu leicht fad, und die Situationskomik allzu rasch schal, wenn sie <lb n="ple_230.026"/> nicht durch eine tiefere Gegensätzlichkeit von innen Leben empfängt. <lb n="ple_230.027"/> Die Charakterkomik andrerseits kann die komische Situation kaum entbehren, <lb n="ple_230.028"/> wenn sie wirklich Lachen erregen will, und auch der Witz wird <lb n="ple_230.029"/> ihr zu Hilfe kommen müssen. Ihre volle künstlerische Bedeutung freilich <lb n="ple_230.030"/> erhält sie erst, wenn die rein komische Wirkung zum Humor oder zur <lb n="ple_230.031"/> Satire vertieft wird. Diesen dichterischen Richtungen wollen wir uns nunmehr <lb n="ple_230.032"/> zuwenden.</p> </div> <div n="3"> <head> <lb n="ple_230.033"/> <hi rendition="#b">20. Satire und Humor.</hi> </head> <p> Wenn der lächerliche Kontrast zwischen <lb n="ple_230.034"/> Großem und Kleinem, Bedeutsamem und Nichtigem sittlichen Gehalt annimmt, <lb n="ple_230.035"/> so tritt der rein komische Charakter zurück, und es entstehen neue <lb n="ple_230.036"/> aus Ernst und Scherz, aus ästhetischen und ethischen Bestandteilen zusammengesetzte <lb n="ple_230.037"/> und verwickeltere Wirkungen.</p> <p><lb n="ple_230.038"/> Dies kann auf zweierlei Weise geschehen entsprechend der doppelten <lb n="ple_230.039"/> Möglichkeit des komischen Umschlagens, die uns vorhin entgegengetreten <lb n="ple_230.040"/> ist: vom Großen ins Kleine und vom Kleinen ins Große. Entweder das <lb n="ple_230.041"/> scheinbar Wertvolle, dasjenige, was allgemeine Anerkennung findet oder <lb n="ple_230.042"/> Ansprüche auf solche erhebt, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als <lb n="ple_230.043"/> wertlos und niedrig, oder umgekehrt: das Mißachtete, scheinbar Wertlose </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [230/0244]
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psychologischen Ursprung und eine fortschreitende Entwicklung von primitiven ple_230.002
zu höheren und künstlerischen Formen gekennzeichnet: wir konnten ple_230.003
die beiden ersten als Wort- und Gedankenwitz und als Situationskomik ple_230.004
bezeichnen; für die dritte fehlt ein gemeinsamer Name: wir wollen ple_230.005
sie zusammenfassend Komik des charakteristischen Gegensatzes ple_230.006
oder schlechthin Charakterkomik nennen. In ihren entwickelteren Formen ple_230.007
beruhen sie alle drei auf einer Kontrastwirkung, sei es zwischen Wortlaut ple_230.008
und Bedeutung, zwischen Verwandtschaft und Diskrepanz oder zwischen ple_230.009
Unterlegenheit und Überlegenheit, Kleinheit und Größe. Aber dieses gemeinsame ple_230.010
Kennzeichen ist rein formaler Art und dazu in den primitiven ple_230.011
Formen des Komischen nicht einmal überall vorhanden. Auch die Überraschung ple_230.012
ist, wie wir gesehen haben, für die meisten Arten komischer ple_230.013
Wirkungen kein grundlegender, sondern nur ein verstärkender Bestandteil. ple_230.014
Daher müssen wir vorläufig bei jenen drei Grundformen der Komik stehen ple_230.015
bleiben, und es der psychologischen Ästhetik überlassen, nach einer gemeinsamen ple_230.016
Grundtatsache des Seelenlebens zu suchen, die alle drei aus ple_230.017
einem mehr als bloß formalen Prinzip abzuleiten und verständlich zu ple_230.018
machen imstande ist.
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Dagegen können wir feststellen, daß alle drei Kategorien sich ple_230.020
wenigstens in den höheren Arten der komischen Dichtung nicht nur äußerlich ple_230.021
zusammen finden, sondern einander verstärken und vertiefen. Witz ple_230.022
und Situationskomik empfangen erst Bedeutsamkeit und tieferen Sinn, ple_230.023
wenn sie Gegensätze des Werts oder der Charakteristik zum Ausdruck ple_230.024
bringen: das Spiel mit Gedanken, namentlich aber mit Worten wird sonst ple_230.025
gar zu leicht fad, und die Situationskomik allzu rasch schal, wenn sie ple_230.026
nicht durch eine tiefere Gegensätzlichkeit von innen Leben empfängt. ple_230.027
Die Charakterkomik andrerseits kann die komische Situation kaum entbehren, ple_230.028
wenn sie wirklich Lachen erregen will, und auch der Witz wird ple_230.029
ihr zu Hilfe kommen müssen. Ihre volle künstlerische Bedeutung freilich ple_230.030
erhält sie erst, wenn die rein komische Wirkung zum Humor oder zur ple_230.031
Satire vertieft wird. Diesen dichterischen Richtungen wollen wir uns nunmehr ple_230.032
zuwenden.
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20. Satire und Humor. Wenn der lächerliche Kontrast zwischen ple_230.034
Großem und Kleinem, Bedeutsamem und Nichtigem sittlichen Gehalt annimmt, ple_230.035
so tritt der rein komische Charakter zurück, und es entstehen neue ple_230.036
aus Ernst und Scherz, aus ästhetischen und ethischen Bestandteilen zusammengesetzte ple_230.037
und verwickeltere Wirkungen.
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Dies kann auf zweierlei Weise geschehen entsprechend der doppelten ple_230.039
Möglichkeit des komischen Umschlagens, die uns vorhin entgegengetreten ple_230.040
ist: vom Großen ins Kleine und vom Kleinen ins Große. Entweder das ple_230.041
scheinbar Wertvolle, dasjenige, was allgemeine Anerkennung findet oder ple_230.042
Ansprüche auf solche erhebt, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als ple_230.043
wertlos und niedrig, oder umgekehrt: das Mißachtete, scheinbar Wertlose
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