Lehmann, Rudolf: Deutsche Poetik. München, 1908.ple_231.001 ple_231.003 ple_231.018 1) ple_231.040
Mit Recht sagt Lipps, Komik und Humor S. 163: "Die Komik erhält höhere Bedeutung ple_231.041 erst, wenn Werte, die auch außerhalb der Komik bestehen, in sie eingehen." Er ple_231.042 meint eben sittliche Werte, wendet aber den Gegensatz in dem Folgenden nur zur Erklärung ple_231.043 des Humors an, während ihm die parallele Stellung der Satire entgeht. ple_231.001 ple_231.003 ple_231.018 1) ple_231.040
Mit Recht sagt Lipps, Komik und Humor S. 163: „Die Komik erhält höhere Bedeutung ple_231.041 erst, wenn Werte, die auch außerhalb der Komik bestehen, in sie eingehen.“ Er ple_231.042 meint eben sittliche Werte, wendet aber den Gegensatz in dem Folgenden nur zur Erklärung ple_231.043 des Humors an, während ihm die parallele Stellung der Satire entgeht. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0245" n="231"/><lb n="ple_231.001"/> enthüllt sich dem schärferen Blick als wertvoll und bedeutsam. Im ersteren <lb n="ple_231.002"/> Falle entsteht die <hi rendition="#g">Satire,</hi> im zweiten der <hi rendition="#g">Humor.</hi><note xml:id="ple_231_1" place="foot" n="1)"><lb n="ple_231.040"/> Mit Recht sagt Lipps, Komik und Humor S. 163: „Die Komik erhält höhere Bedeutung <lb n="ple_231.041"/> erst, wenn Werte, die auch außerhalb der Komik bestehen, in sie eingehen.“ Er <lb n="ple_231.042"/> meint eben sittliche Werte, wendet aber den Gegensatz in dem Folgenden nur zur Erklärung <lb n="ple_231.043"/> des Humors an, während ihm die parallele Stellung der Satire entgeht.</note> </p> <p><lb n="ple_231.003"/> Ethisches Empfinden als solches kann niemals lächerlich sein oder <lb n="ple_231.004"/> erheiternd wirken. Je stärker mithin in beiden Gattungen das sittliche <lb n="ple_231.005"/> Gefühl durch den Inhalt oder die Art der Darstellung erregt wird, desto <lb n="ple_231.006"/> weniger bleibt von der komischen Wirkung übrig. Der sittliche Affekt <lb n="ple_231.007"/> tilgt bisweilen das Gefühl des Komischen so völlig aus, daß nur geringe <lb n="ple_231.008"/> Reste davon bemerkbar sind; nicht selten aber ist er verhältnismäßig <lb n="ple_231.009"/> schwach, so daß er die komische Kontrastwirkung als solche nicht stört. <lb n="ple_231.010"/> Hier liegt der Unterschied zwischen der <hi rendition="#g">ernsthaften</hi> (pathetischen) und <lb n="ple_231.011"/> der <hi rendition="#g">scherzenden</hi> Satire, zwischen dem <hi rendition="#g">scherzhaften</hi> und dem <lb n="ple_231.012"/> <hi rendition="#g">rührenden</hi> Humor. Nach dem Gesagten ist es klar, daß diese Unterschiede <lb n="ple_231.013"/> graduell, nicht, wie Schiller meinte, absolut sind. Jede Art von <lb n="ple_231.014"/> Humor enthält, wenn auch in ungleichen Mischungen, beide Elemente, <lb n="ple_231.015"/> und zwischen der Satire, die über die moralischen Gebrechen der Menschen <lb n="ple_231.016"/> lächelnd spottet, und derjenigen, die sie mit Skorpionen züchtigt, liegt <lb n="ple_231.017"/> wenigstens eine große Reihe vermittelnder Zwischenstufen.</p> <p><lb n="ple_231.018"/> Die Ästhetiker pflegen zwischen subjektiver und objektiver Komik zu <lb n="ple_231.019"/> scheiden, je nachdem das Lächerliche als beabsichtigte Wirkung, mithin <lb n="ple_231.020"/> als <hi rendition="#g">Witz,</hi> oder als ein unbeabsichtigtes Verhalten des Objektes erscheint. <lb n="ple_231.021"/> Allein einen wesentlichen Unterschied macht das nicht, wenigstens für die <lb n="ple_231.022"/> ästhetische Betrachtung nicht, und wir konnten daher diesen Gesichtspunkt <lb n="ple_231.023"/> im vorigen Abschnitt einfach übergehen. Die Situationen, die der Lustspieldichter <lb n="ple_231.024"/> schafft, erscheinen objektiv komisch, während sie doch seiner subjektiven <lb n="ple_231.025"/> Absicht entspringen; er <hi rendition="#g">braucht</hi> nicht, aber er <hi rendition="#g">kann</hi> zugleich <lb n="ple_231.026"/> witzige Personen einführen, die das subjektiv Komische als solches vertreten. <lb n="ple_231.027"/> Bedeutsamer ist dieser Unterschied der Methode für den Humoristen <lb n="ple_231.028"/> und den Satiriker. Die Wertung, von der beide ausgehen, gehört <lb n="ple_231.029"/> stets dem Subjekt des Dichters an, sie muß ihm feststehen, bevor er <lb n="ple_231.030"/> seine Dichtung schafft. Aber es ist ein wesentlicher Unterschied der <lb n="ple_231.031"/> künstlerischen Methode, ob ein Dichter es vermag, diese Wertunterschiede <lb n="ple_231.032"/> sich selbst objektiv darstellen und voneinander abheben zu lassen, oder <lb n="ple_231.033"/> ob er es für nötig hält, persönlich hervorzutreten und mit seinen eigenen <lb n="ple_231.034"/> Worten oder auch durch Reden, die er offensichtlich zu diesem Zweck den <lb n="ple_231.035"/> Personen in den Mund legt, sein Werturteil zu verkünden. Viele Humoristen, <lb n="ple_231.036"/> wie selbst Jean Paul und Wilhelm Raabe, neigen zu dem letzteren <lb n="ple_231.037"/> Verfahren, das bequemer ist. Künstlerisch höher aber steht und <lb n="ple_231.038"/> zwingender wirkt die objektive Art, wie sie Dickens und auch Fritz Reuter <lb n="ple_231.039"/> eignet. Denn was uns die Betrachtung der epischen Poesie im allgemeinen </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [231/0245]
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enthüllt sich dem schärferen Blick als wertvoll und bedeutsam. Im ersteren ple_231.002
Falle entsteht die Satire, im zweiten der Humor. 1)
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Ethisches Empfinden als solches kann niemals lächerlich sein oder ple_231.004
erheiternd wirken. Je stärker mithin in beiden Gattungen das sittliche ple_231.005
Gefühl durch den Inhalt oder die Art der Darstellung erregt wird, desto ple_231.006
weniger bleibt von der komischen Wirkung übrig. Der sittliche Affekt ple_231.007
tilgt bisweilen das Gefühl des Komischen so völlig aus, daß nur geringe ple_231.008
Reste davon bemerkbar sind; nicht selten aber ist er verhältnismäßig ple_231.009
schwach, so daß er die komische Kontrastwirkung als solche nicht stört. ple_231.010
Hier liegt der Unterschied zwischen der ernsthaften (pathetischen) und ple_231.011
der scherzenden Satire, zwischen dem scherzhaften und dem ple_231.012
rührenden Humor. Nach dem Gesagten ist es klar, daß diese Unterschiede ple_231.013
graduell, nicht, wie Schiller meinte, absolut sind. Jede Art von ple_231.014
Humor enthält, wenn auch in ungleichen Mischungen, beide Elemente, ple_231.015
und zwischen der Satire, die über die moralischen Gebrechen der Menschen ple_231.016
lächelnd spottet, und derjenigen, die sie mit Skorpionen züchtigt, liegt ple_231.017
wenigstens eine große Reihe vermittelnder Zwischenstufen.
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Die Ästhetiker pflegen zwischen subjektiver und objektiver Komik zu ple_231.019
scheiden, je nachdem das Lächerliche als beabsichtigte Wirkung, mithin ple_231.020
als Witz, oder als ein unbeabsichtigtes Verhalten des Objektes erscheint. ple_231.021
Allein einen wesentlichen Unterschied macht das nicht, wenigstens für die ple_231.022
ästhetische Betrachtung nicht, und wir konnten daher diesen Gesichtspunkt ple_231.023
im vorigen Abschnitt einfach übergehen. Die Situationen, die der Lustspieldichter ple_231.024
schafft, erscheinen objektiv komisch, während sie doch seiner subjektiven ple_231.025
Absicht entspringen; er braucht nicht, aber er kann zugleich ple_231.026
witzige Personen einführen, die das subjektiv Komische als solches vertreten. ple_231.027
Bedeutsamer ist dieser Unterschied der Methode für den Humoristen ple_231.028
und den Satiriker. Die Wertung, von der beide ausgehen, gehört ple_231.029
stets dem Subjekt des Dichters an, sie muß ihm feststehen, bevor er ple_231.030
seine Dichtung schafft. Aber es ist ein wesentlicher Unterschied der ple_231.031
künstlerischen Methode, ob ein Dichter es vermag, diese Wertunterschiede ple_231.032
sich selbst objektiv darstellen und voneinander abheben zu lassen, oder ple_231.033
ob er es für nötig hält, persönlich hervorzutreten und mit seinen eigenen ple_231.034
Worten oder auch durch Reden, die er offensichtlich zu diesem Zweck den ple_231.035
Personen in den Mund legt, sein Werturteil zu verkünden. Viele Humoristen, ple_231.036
wie selbst Jean Paul und Wilhelm Raabe, neigen zu dem letzteren ple_231.037
Verfahren, das bequemer ist. Künstlerisch höher aber steht und ple_231.038
zwingender wirkt die objektive Art, wie sie Dickens und auch Fritz Reuter ple_231.039
eignet. Denn was uns die Betrachtung der epischen Poesie im allgemeinen
1) ple_231.040
Mit Recht sagt Lipps, Komik und Humor S. 163: „Die Komik erhält höhere Bedeutung ple_231.041
erst, wenn Werte, die auch außerhalb der Komik bestehen, in sie eingehen.“ Er ple_231.042
meint eben sittliche Werte, wendet aber den Gegensatz in dem Folgenden nur zur Erklärung ple_231.043
des Humors an, während ihm die parallele Stellung der Satire entgeht.
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