Lehmann, Rudolf: Deutsche Poetik. München, 1908.ple_245.001 ple_245.019 ple_245.031 1) ple_245.040 Hierüber siehe Volkelt, Ästhetik des Tragischen, 2. Aufl. S. 101 ff. und 150 ff. ple_245.041 und an anderen Stellen. 2) ple_245.042
Ästhetik des Tragischen S. 2962; vgl. desselben Verfassers System der Ästhetik, ple_245.043 Bd. I S. 352. ple_245.001 ple_245.019 ple_245.031 1) ple_245.040 Hierüber siehe Volkelt, Ästhetik des Tragischen, 2. Aufl. S. 101 ff. und 150 ff. ple_245.041 und an anderen Stellen. 2) ple_245.042
Ästhetik des Tragischen S. 2962; vgl. desselben Verfassers System der Ästhetik, ple_245.043 Bd. I S. 352. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0259" n="245"/><lb n="ple_245.001"/> die Tragödie bringe dem Zuschauer zum Bewußtsein, daß das Dasein <lb n="ple_245.002"/> Leiden und das Nichtsein vorzuziehen sei. Noch enger und daher noch <lb n="ple_245.003"/> verfehlter sind die meisten Deutungen, welche die von diesen originalen <lb n="ple_245.004"/> Denkern, besonders von Hegel, abhängige spätere deutsche Ästhetik aufgestellt <lb n="ple_245.005"/> hat, wie die einseitige Schuldtheorie Friedrich Vischers, Carrières <lb n="ple_245.006"/> u. a., auch Hebbels und Otto Ludwigs.<note xml:id="ple_245_1" place="foot" n="1)"><lb n="ple_245.040"/> Hierüber siehe <hi rendition="#k">Volkelt,</hi> Ästhetik des Tragischen, 2. Aufl. S. 101 ff. und 150 ff. <lb n="ple_245.041"/> und an anderen Stellen.</note> Auf keine dieser Theorien <lb n="ple_245.007"/> können wir hier näher eingehen; sie tragen weder ihren Methoden noch <lb n="ple_245.008"/> ihren Voraussetzungen nach wissenschaftlichen Charakter, so viel sie auch <lb n="ple_245.009"/> im einzelnen an geistvollen Ideen und tiefem Gefühl für die tragische <lb n="ple_245.010"/> Kunst zum Ausdruck bringen. Erst mit der psychologischen Wendung, <lb n="ple_245.011"/> welche die Ästhetik des letzten Menschenalters genommen hat, ist die Behandlung <lb n="ple_245.012"/> unseres Problems von metaphysischen und moralischen Elementen <lb n="ple_245.013"/> befreit und in das Gebiet der Erfahrungswissenschaft gerückt worden. <lb n="ple_245.014"/> Unter den Arbeiten, die ihm seither gewidmet sind, ist <hi rendition="#g">Volkelts</hi> „Ästhetik <lb n="ple_245.015"/> des Tragischen“ nicht nur die umfangreichste, sondern auch die vielseitigste <lb n="ple_245.016"/> und lehrreichste, während die kürzere Schrift von <hi rendition="#g">Lipps</hi> „Der Streit über <lb n="ple_245.017"/> die Tragödie“ zwar scharf gedacht und klar geschrieben, aber doch nach <lb n="ple_245.018"/> Auffassung und Darstellung einigermaßen dürr und einseitig ist. —</p> <p><lb n="ple_245.019"/> Wir kehren nach diesem geschichtlichen Überblick zu unserem Ausgangspunkt <lb n="ple_245.020"/> zurück und stellen aufs neue die Frage: wie ist es möglich, <lb n="ple_245.021"/> daß aus Mitleid und Furcht, aus Abneigung und Grauen, aus den tiefsten <lb n="ple_245.022"/> Unlustempfindungen der menschlichen Seele die höchste ästhetische Lust <lb n="ple_245.023"/> hervorgehen kann? Denn daß die Tragödie von allen Arten der Dichtung <lb n="ple_245.024"/> am meisten zugleich erschüttert und erhebt, darüber sind sich Ästhetiker <lb n="ple_245.025"/> wie Dichter fast durchweg einig. Sie läßt uns in Abgründe des menschlichen <lb n="ple_245.026"/> Herzens blicken, führt in die Tiefen des Leides, spannt uns in <lb n="ple_245.027"/> banger Erwartung auf einen Ausgang, der stets die Hoffnung täuscht und <lb n="ple_245.028"/> die bängsten Befürchtungen bestätigt. Und doch gewährt sie uns gerade <lb n="ple_245.029"/> hierdurch eine erhabene Verzückung, wie sie sonst nur noch die gewaltigsten <lb n="ple_245.030"/> Meisterwerke der Musik hervorzurufen vermögen.</p> <p><lb n="ple_245.031"/> Aber gerade in der Stärke und Tiefe dieser Gemütserregungen wird <lb n="ple_245.032"/> man vielleicht nicht mit Unrecht einen Grund des Vergnügens an tragischen <lb n="ple_245.033"/> Gegenständen finden. Schon Schiller und vor ihm Mendelssohn urteilten <lb n="ple_245.034"/> so, und in jüngster Zeit erst hat Volkelt die „Lust der Gefühlslebendigkeit“, <lb n="ple_245.035"/> das Wohlgefühl, das durch „starke Erregung, Erschütterung, Durchschüttelung, <lb n="ple_245.036"/> Aufwühlung“ hervorgerufen werde, als eine Quelle des tragischen <lb n="ple_245.037"/> Genusses bezeichnet.<note xml:id="ple_245_2" place="foot" n="2)"><lb n="ple_245.042"/> Ästhetik des Tragischen S. 296<hi rendition="#sup">2</hi>; vgl. desselben Verfassers System der Ästhetik, <lb n="ple_245.043"/> Bd. I S. 352.</note> Hierin liegt zweifellos etwas Richtiges und Wesentliches. <lb n="ple_245.038"/> Alles was zu Phantasie und Gemüt spricht, jedes Kunstwerk, das <lb n="ple_245.039"/> uns innerlich bewegt, steigert unsere Lebensgefühle; das Herz merkt nach </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [245/0259]
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die Tragödie bringe dem Zuschauer zum Bewußtsein, daß das Dasein ple_245.002
Leiden und das Nichtsein vorzuziehen sei. Noch enger und daher noch ple_245.003
verfehlter sind die meisten Deutungen, welche die von diesen originalen ple_245.004
Denkern, besonders von Hegel, abhängige spätere deutsche Ästhetik aufgestellt ple_245.005
hat, wie die einseitige Schuldtheorie Friedrich Vischers, Carrières ple_245.006
u. a., auch Hebbels und Otto Ludwigs. 1) Auf keine dieser Theorien ple_245.007
können wir hier näher eingehen; sie tragen weder ihren Methoden noch ple_245.008
ihren Voraussetzungen nach wissenschaftlichen Charakter, so viel sie auch ple_245.009
im einzelnen an geistvollen Ideen und tiefem Gefühl für die tragische ple_245.010
Kunst zum Ausdruck bringen. Erst mit der psychologischen Wendung, ple_245.011
welche die Ästhetik des letzten Menschenalters genommen hat, ist die Behandlung ple_245.012
unseres Problems von metaphysischen und moralischen Elementen ple_245.013
befreit und in das Gebiet der Erfahrungswissenschaft gerückt worden. ple_245.014
Unter den Arbeiten, die ihm seither gewidmet sind, ist Volkelts „Ästhetik ple_245.015
des Tragischen“ nicht nur die umfangreichste, sondern auch die vielseitigste ple_245.016
und lehrreichste, während die kürzere Schrift von Lipps „Der Streit über ple_245.017
die Tragödie“ zwar scharf gedacht und klar geschrieben, aber doch nach ple_245.018
Auffassung und Darstellung einigermaßen dürr und einseitig ist. —
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Wir kehren nach diesem geschichtlichen Überblick zu unserem Ausgangspunkt ple_245.020
zurück und stellen aufs neue die Frage: wie ist es möglich, ple_245.021
daß aus Mitleid und Furcht, aus Abneigung und Grauen, aus den tiefsten ple_245.022
Unlustempfindungen der menschlichen Seele die höchste ästhetische Lust ple_245.023
hervorgehen kann? Denn daß die Tragödie von allen Arten der Dichtung ple_245.024
am meisten zugleich erschüttert und erhebt, darüber sind sich Ästhetiker ple_245.025
wie Dichter fast durchweg einig. Sie läßt uns in Abgründe des menschlichen ple_245.026
Herzens blicken, führt in die Tiefen des Leides, spannt uns in ple_245.027
banger Erwartung auf einen Ausgang, der stets die Hoffnung täuscht und ple_245.028
die bängsten Befürchtungen bestätigt. Und doch gewährt sie uns gerade ple_245.029
hierdurch eine erhabene Verzückung, wie sie sonst nur noch die gewaltigsten ple_245.030
Meisterwerke der Musik hervorzurufen vermögen.
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Aber gerade in der Stärke und Tiefe dieser Gemütserregungen wird ple_245.032
man vielleicht nicht mit Unrecht einen Grund des Vergnügens an tragischen ple_245.033
Gegenständen finden. Schon Schiller und vor ihm Mendelssohn urteilten ple_245.034
so, und in jüngster Zeit erst hat Volkelt die „Lust der Gefühlslebendigkeit“, ple_245.035
das Wohlgefühl, das durch „starke Erregung, Erschütterung, Durchschüttelung, ple_245.036
Aufwühlung“ hervorgerufen werde, als eine Quelle des tragischen ple_245.037
Genusses bezeichnet. 2) Hierin liegt zweifellos etwas Richtiges und Wesentliches. ple_245.038
Alles was zu Phantasie und Gemüt spricht, jedes Kunstwerk, das ple_245.039
uns innerlich bewegt, steigert unsere Lebensgefühle; das Herz merkt nach
1) ple_245.040
Hierüber siehe Volkelt, Ästhetik des Tragischen, 2. Aufl. S. 101 ff. und 150 ff. ple_245.041
und an anderen Stellen.
2) ple_245.042
Ästhetik des Tragischen S. 2962; vgl. desselben Verfassers System der Ästhetik, ple_245.043
Bd. I S. 352.
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