Lehmann, Rudolf: Deutsche Poetik. München, 1908.ple_014.001 1) ple_014.042
Poetik, Rhetorik und Stilistik. Akademische Vorlesungen von Wilhelm Wacker- ple_014.043 nagel. Herausgegeben von Ludwig Sieber. Halle 1873. ple_014.001 1) ple_014.042
Poetik, Rhetorik und Stilistik. Akademische Vorlesungen von Wilhelm Wacker- ple_014.043 nagel. Herausgegeben von Ludwig Sieber. Halle 1873. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0028" n="14"/><lb n="ple_014.001"/> Schöpfer gleichwohl zuletzt selbst an der Berechtigung seines Gedankenbaues <lb n="ple_014.002"/> irre wurde. Aber nicht weniger charakteristisch ist ein minder <lb n="ple_014.003"/> umfangreiches Buch, welches das besondere Gebiet der Poesie behandelt <lb n="ple_014.004"/> und bis heute eines der am meisten genannten und benutzten Bearbeitungen <lb n="ple_014.005"/> dieses Gegenstandes ist, Wilhelm <hi rendition="#g">Wackernagels Poetik.</hi> Sie ist freilich <lb n="ple_014.006"/> erst 1873 im Druck erschienen; allein die Vorlesungen, aus denen das <lb n="ple_014.007"/> posthume Buch entstanden ist, sind schon im Jahre 1836 gehalten worden.<note xml:id="ple_014_1" place="foot" n="1)"><lb n="ple_014.042"/> Poetik, Rhetorik und Stilistik. Akademische Vorlesungen von <hi rendition="#k">Wilhelm Wacker- <lb n="ple_014.043"/> nagel.</hi> Herausgegeben von Ludwig Sieber. Halle 1873.</note> <lb n="ple_014.008"/> Das Werk ist, wie der Name seines Verfassers bezeugt, nicht aus der Hegelschen <lb n="ple_014.009"/> Schule hervorgegangen, sondern von einem Fachmanne geschrieben, <lb n="ple_014.010"/> der, stark von der Romantik beeinflußt, über ein reiches literargeschichtliches <lb n="ple_014.011"/> Wissen und über gründliche philologische Schulung verfügte. Gleichwohl <lb n="ple_014.012"/> zeigt es deutlich jenen Zwittercharakter. Die Betrachtung geht von <lb n="ple_014.013"/> den Eigenschaften Gottes aus, um das Wesen des Schönen und der Kunst <lb n="ple_014.014"/> zu bestimmen. Der Germanist teilt das enge und ausschließende Schönheitsprinzip <lb n="ple_014.015"/> mit dem Klassizismus: „Kunst ist überall, wo eine schöne Anschauung <lb n="ple_014.016"/> schön objektiviert wird; sie ist nicht mehr vorhanden, wo entweder das, <lb n="ple_014.017"/> was man darstellt, oder die Art, wie man es darstellt, den Anforderungen <lb n="ple_014.018"/> des Schönheitsgesetzes nicht entsprechen.“ „Bei der Poesie wird von der <lb n="ple_014.019"/> sprachlichen Darstellung vor allem Schönheit, bei der Prosa vor allem <lb n="ple_014.020"/> Verständlichkeit verlangt.“ (S. 10, 11.) Und doch „soll die Poetik als Naturgeschichte <lb n="ple_014.021"/> in der Poesie ein mehr historisch entwickelndes Verfahren beobachten <lb n="ple_014.022"/> und mehr sich bestreben, Gesetze zu finden als Regeln aufzustellen“. <lb n="ple_014.023"/> So geht Wackernagel denn auch, nach einer allgemeinen Erörterung <lb n="ple_014.024"/> des Wesens und des Ursprungs der Poesie, innerhalb der einzelnen <lb n="ple_014.025"/> Gattungen historisch vorwärts. Sein Interesse gilt vorwiegend den ältern <lb n="ple_014.026"/> Epochen und der Volksdichtung. Der Hauptwert seiner Arbeit liegt in <lb n="ple_014.027"/> diesen Betrachtungen, vor allem in der Behandlung des Volksepos, wiewohl <lb n="ple_014.028"/> er mit den Brüdern Grimm und den übrigen Begründern der deutschen <lb n="ple_014.029"/> Philologie die psychologische Unklarheit über die Entstehung der Volkspoesie <lb n="ple_014.030"/> und ihr Verhältnis zur „Volksseele“ teilt. Ist nun hierin der Einfluß <lb n="ple_014.031"/> der romantischen Anschauungs- und Wertungsweise deutlich erkennbar, so <lb n="ple_014.032"/> widerspricht es derselben andrerseits aufs schärfste, wenn Wackernagel die <lb n="ple_014.033"/> Gattung des Romans, die von jenen als die höchste in der Poesie angesehen <lb n="ple_014.034"/> worden war, gänzlich aus dem Bereiche der Dichtkunst überhaupt <lb n="ple_014.035"/> hinausweist und nicht in der Poetik, sondern in der Rhetorik behandelt: <lb n="ple_014.036"/> nach seiner Meinung gibt es Poesie nur in gebundener Sprache, „so daß <lb n="ple_014.037"/> man hier die unkünstlerische Form der Rede wohl eine Ungehörigkeit nennen <lb n="ple_014.038"/> darf“, wie ihm denn der Roman überhaupt im wesentlichen „den Untergang <lb n="ple_014.039"/> des Epos“ bedeutet (S. 81). Diese und ähnliche Urteile zeigen die Unzulänglichkeit <lb n="ple_014.040"/> seines Standpunkts. Überhaupt aber wird er der Kunstpoesie und <lb n="ple_014.041"/> zumal der der neueren Zeit nur wenig gerecht. Seine Auffassung greift, </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [14/0028]
ple_014.001
Schöpfer gleichwohl zuletzt selbst an der Berechtigung seines Gedankenbaues ple_014.002
irre wurde. Aber nicht weniger charakteristisch ist ein minder ple_014.003
umfangreiches Buch, welches das besondere Gebiet der Poesie behandelt ple_014.004
und bis heute eines der am meisten genannten und benutzten Bearbeitungen ple_014.005
dieses Gegenstandes ist, Wilhelm Wackernagels Poetik. Sie ist freilich ple_014.006
erst 1873 im Druck erschienen; allein die Vorlesungen, aus denen das ple_014.007
posthume Buch entstanden ist, sind schon im Jahre 1836 gehalten worden. 1) ple_014.008
Das Werk ist, wie der Name seines Verfassers bezeugt, nicht aus der Hegelschen ple_014.009
Schule hervorgegangen, sondern von einem Fachmanne geschrieben, ple_014.010
der, stark von der Romantik beeinflußt, über ein reiches literargeschichtliches ple_014.011
Wissen und über gründliche philologische Schulung verfügte. Gleichwohl ple_014.012
zeigt es deutlich jenen Zwittercharakter. Die Betrachtung geht von ple_014.013
den Eigenschaften Gottes aus, um das Wesen des Schönen und der Kunst ple_014.014
zu bestimmen. Der Germanist teilt das enge und ausschließende Schönheitsprinzip ple_014.015
mit dem Klassizismus: „Kunst ist überall, wo eine schöne Anschauung ple_014.016
schön objektiviert wird; sie ist nicht mehr vorhanden, wo entweder das, ple_014.017
was man darstellt, oder die Art, wie man es darstellt, den Anforderungen ple_014.018
des Schönheitsgesetzes nicht entsprechen.“ „Bei der Poesie wird von der ple_014.019
sprachlichen Darstellung vor allem Schönheit, bei der Prosa vor allem ple_014.020
Verständlichkeit verlangt.“ (S. 10, 11.) Und doch „soll die Poetik als Naturgeschichte ple_014.021
in der Poesie ein mehr historisch entwickelndes Verfahren beobachten ple_014.022
und mehr sich bestreben, Gesetze zu finden als Regeln aufzustellen“. ple_014.023
So geht Wackernagel denn auch, nach einer allgemeinen Erörterung ple_014.024
des Wesens und des Ursprungs der Poesie, innerhalb der einzelnen ple_014.025
Gattungen historisch vorwärts. Sein Interesse gilt vorwiegend den ältern ple_014.026
Epochen und der Volksdichtung. Der Hauptwert seiner Arbeit liegt in ple_014.027
diesen Betrachtungen, vor allem in der Behandlung des Volksepos, wiewohl ple_014.028
er mit den Brüdern Grimm und den übrigen Begründern der deutschen ple_014.029
Philologie die psychologische Unklarheit über die Entstehung der Volkspoesie ple_014.030
und ihr Verhältnis zur „Volksseele“ teilt. Ist nun hierin der Einfluß ple_014.031
der romantischen Anschauungs- und Wertungsweise deutlich erkennbar, so ple_014.032
widerspricht es derselben andrerseits aufs schärfste, wenn Wackernagel die ple_014.033
Gattung des Romans, die von jenen als die höchste in der Poesie angesehen ple_014.034
worden war, gänzlich aus dem Bereiche der Dichtkunst überhaupt ple_014.035
hinausweist und nicht in der Poetik, sondern in der Rhetorik behandelt: ple_014.036
nach seiner Meinung gibt es Poesie nur in gebundener Sprache, „so daß ple_014.037
man hier die unkünstlerische Form der Rede wohl eine Ungehörigkeit nennen ple_014.038
darf“, wie ihm denn der Roman überhaupt im wesentlichen „den Untergang ple_014.039
des Epos“ bedeutet (S. 81). Diese und ähnliche Urteile zeigen die Unzulänglichkeit ple_014.040
seines Standpunkts. Überhaupt aber wird er der Kunstpoesie und ple_014.041
zumal der der neueren Zeit nur wenig gerecht. Seine Auffassung greift,
1) ple_014.042
Poetik, Rhetorik und Stilistik. Akademische Vorlesungen von Wilhelm Wacker- ple_014.043
nagel. Herausgegeben von Ludwig Sieber. Halle 1873.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Sandra Richter: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |