Lehmann, Rudolf: Deutsche Poetik. München, 1908.ple_017.001 ple_017.008 ple_017.017 ple_017.042 ple_017.001 ple_017.008 ple_017.017 ple_017.042 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0031" n="17"/><lb n="ple_017.001"/> und der Steigerung auf allgemeine Eigentümlichkeiten des Bewußtseinsablaufs <lb n="ple_017.002"/> zurück, leitet ihre Bedeutung aus den Erscheinungen der <lb n="ple_017.003"/> Ermüdung, des Reizzuwachses u. s. w. ab. Beide Forscher haben das <lb n="ple_017.004"/> ästhetische Denken des letzten Menschenalters entscheidend bestimmt; sie <lb n="ple_017.005"/> haben daher auch die wissenschaftliche Behandlung der Poetik in neue <lb n="ple_017.006"/> Bahnen gelenkt, wiewohl auf unserem Sondergebiete dieser Einfluß erst <lb n="ple_017.007"/> nach längerer Zeit deutlich hervortrat.</p> <p><lb n="ple_017.008"/> In den beiden Jahren 1887–88 erschienen zwei Schriften, die, auch <lb n="ple_017.009"/> sonst in mannigfacher Berührung miteinander, die gemeinsame Tendenz <lb n="ple_017.010"/> zum Ausdruck brachten, die Poetik zu einer modernen Wissenschaft zu <lb n="ple_017.011"/> gestalten: Wilhelm <hi rendition="#g">Scherers Poetik</hi> und Wilhelm <hi rendition="#g">Diltheys</hi> bereits oben <lb n="ple_017.012"/> (S. 6) angeführte Abhandlung: „Die Einbildungskraft des Dichters. Bausteine <lb n="ple_017.013"/> für eine Poetik“. Beides nicht ausgeführte systematische Werke, sondern <lb n="ple_017.014"/> eingehende Entwürfe, wissenschaftliche Programme, nach Form und Inhalt <lb n="ple_017.015"/> fragmentarisch; aber höchst bedeutsam durch die Wendung, die sie bezeichnen.</p> <lb n="ple_017.016"/> <p><lb n="ple_017.017"/> Scherers „Poetik“ ist das posthum herausgegebene Konzept seiner <lb n="ple_017.018"/> nur einmal im Jahre 1885 gehaltenen Vorlesungen über den Gegenstand. <lb n="ple_017.019"/> Diesem Ursprung entspricht der Charakter des Werkes: es ist reich an <lb n="ple_017.020"/> Ideen, die aber noch wenig kritisch gesichtet sind; fruchtbare Gedanken <lb n="ple_017.021"/> und belanglose Einfälle, tiefe Blicke und unzulängliche Auffassungen stehen <lb n="ple_017.022"/> nebeneinander; es ist schwer, dem Wert und Unwert des Buches mit kurzen <lb n="ple_017.023"/> Worten gerecht zu werden. Soviel aber sieht man gleich: Scherers Arbeit <lb n="ple_017.024"/> ist getragen von dem Bewußtsein der neuen ästhetischen Epoche, ihrer <lb n="ple_017.025"/> höheren Ziele und tiefer eindringenden Methoden. „Diese philologische <lb n="ple_017.026"/> Poetik soll der früheren Betrachtungsweise gegenüberstehen, wie die historische <lb n="ple_017.027"/> und vergleichende Grammatik seit Jakob Grimm der gesetzgebenden <lb n="ple_017.028"/> Grammatik vor Jakob Grimm gegenübersteht“ (S. 66). Scherer knüpft <lb n="ple_017.029"/> viel enger, als es seine Darstellung erkennen läßt — doch mag das an <lb n="ple_017.030"/> der lückenhaften Form der Überlieferung liegen — an Herder und die <lb n="ple_017.031"/> historische Betrachtungsweise an. Auch seine Poetik verlangt in erster <lb n="ple_017.032"/> Linie eine umfassende Induktion der literarhistorischen Tatsachen und will, <lb n="ple_017.033"/> wie jener, die Poesie der Naturvölker und von da aus die Entwicklung <lb n="ple_017.034"/> der Poesie durch Zeiten und Völker in ihrem ganzen Umfang umspannen. <lb n="ple_017.035"/> Wie Herder wendet sich Scherer schroff gegen die Anmaßung, von allgemeinen <lb n="ple_017.036"/> Prinzipien aus die einzelnen dichterischen Erscheinungen und <lb n="ple_017.037"/> Schöpfungen werten zu wollen. „Die Aufgabe der früheren Poetik, die <lb n="ple_017.038"/> wahre Poesie (die wahre Lyrik, das wahre Drama u. s. w.) zu suchen, hat <lb n="ple_017.039"/> sich als unlösbar erwiesen. Die Ästhetik soll unparteiisch verfahren, nicht <lb n="ple_017.040"/> vorschnell von gut und schlecht reden, sondern nur von verschiedenen <lb n="ple_017.041"/> Wirkungen.“</p> <p><lb n="ple_017.042"/> Allein auch für Scherer ist, wie für Herder selbst und alle, die auf <lb n="ple_017.043"/> ihn gefolgt sind, die geschichtliche Betrachtung nicht das letzte Wort noch </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [17/0031]
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und der Steigerung auf allgemeine Eigentümlichkeiten des Bewußtseinsablaufs ple_017.002
zurück, leitet ihre Bedeutung aus den Erscheinungen der ple_017.003
Ermüdung, des Reizzuwachses u. s. w. ab. Beide Forscher haben das ple_017.004
ästhetische Denken des letzten Menschenalters entscheidend bestimmt; sie ple_017.005
haben daher auch die wissenschaftliche Behandlung der Poetik in neue ple_017.006
Bahnen gelenkt, wiewohl auf unserem Sondergebiete dieser Einfluß erst ple_017.007
nach längerer Zeit deutlich hervortrat.
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In den beiden Jahren 1887–88 erschienen zwei Schriften, die, auch ple_017.009
sonst in mannigfacher Berührung miteinander, die gemeinsame Tendenz ple_017.010
zum Ausdruck brachten, die Poetik zu einer modernen Wissenschaft zu ple_017.011
gestalten: Wilhelm Scherers Poetik und Wilhelm Diltheys bereits oben ple_017.012
(S. 6) angeführte Abhandlung: „Die Einbildungskraft des Dichters. Bausteine ple_017.013
für eine Poetik“. Beides nicht ausgeführte systematische Werke, sondern ple_017.014
eingehende Entwürfe, wissenschaftliche Programme, nach Form und Inhalt ple_017.015
fragmentarisch; aber höchst bedeutsam durch die Wendung, die sie bezeichnen.
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Scherers „Poetik“ ist das posthum herausgegebene Konzept seiner ple_017.018
nur einmal im Jahre 1885 gehaltenen Vorlesungen über den Gegenstand. ple_017.019
Diesem Ursprung entspricht der Charakter des Werkes: es ist reich an ple_017.020
Ideen, die aber noch wenig kritisch gesichtet sind; fruchtbare Gedanken ple_017.021
und belanglose Einfälle, tiefe Blicke und unzulängliche Auffassungen stehen ple_017.022
nebeneinander; es ist schwer, dem Wert und Unwert des Buches mit kurzen ple_017.023
Worten gerecht zu werden. Soviel aber sieht man gleich: Scherers Arbeit ple_017.024
ist getragen von dem Bewußtsein der neuen ästhetischen Epoche, ihrer ple_017.025
höheren Ziele und tiefer eindringenden Methoden. „Diese philologische ple_017.026
Poetik soll der früheren Betrachtungsweise gegenüberstehen, wie die historische ple_017.027
und vergleichende Grammatik seit Jakob Grimm der gesetzgebenden ple_017.028
Grammatik vor Jakob Grimm gegenübersteht“ (S. 66). Scherer knüpft ple_017.029
viel enger, als es seine Darstellung erkennen läßt — doch mag das an ple_017.030
der lückenhaften Form der Überlieferung liegen — an Herder und die ple_017.031
historische Betrachtungsweise an. Auch seine Poetik verlangt in erster ple_017.032
Linie eine umfassende Induktion der literarhistorischen Tatsachen und will, ple_017.033
wie jener, die Poesie der Naturvölker und von da aus die Entwicklung ple_017.034
der Poesie durch Zeiten und Völker in ihrem ganzen Umfang umspannen. ple_017.035
Wie Herder wendet sich Scherer schroff gegen die Anmaßung, von allgemeinen ple_017.036
Prinzipien aus die einzelnen dichterischen Erscheinungen und ple_017.037
Schöpfungen werten zu wollen. „Die Aufgabe der früheren Poetik, die ple_017.038
wahre Poesie (die wahre Lyrik, das wahre Drama u. s. w.) zu suchen, hat ple_017.039
sich als unlösbar erwiesen. Die Ästhetik soll unparteiisch verfahren, nicht ple_017.040
vorschnell von gut und schlecht reden, sondern nur von verschiedenen ple_017.041
Wirkungen.“
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Allein auch für Scherer ist, wie für Herder selbst und alle, die auf ple_017.043
ihn gefolgt sind, die geschichtliche Betrachtung nicht das letzte Wort noch
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