Lehmann, Rudolf: Deutsche Poetik. München, 1908.ple_036.001 ple_036.008 ple_036.018 1) ple_036.041
euphuous e poietike estin \e manikou? touton gar o\i men euplastoi o\i de exetastikoi ple_036.042 eisin. ple_036.001 ple_036.008 ple_036.018 1) ple_036.041
εὐφυοῦς ἡ ποιητική ἐστιν \̓η μανικοῦ; τούτων γὰρ ο\̔ι μὲν εὔπλαστοι ο\̔ι δὲ ἐξεταστικοί ple_036.042 εἰσιν. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0050" n="36"/><lb n="ple_036.001"/> dichterischer Begeisterung als einen <hi rendition="#g">Traumzustand:</hi> ,Es bereitet sich in <lb n="ple_036.002"/> des Dichters Seele vor, was er selber nicht weiß'“. Daher die bekannten <lb n="ple_036.003"/> Schillerschen Verse: <lb n="ple_036.004"/> <hi rendition="#aq"><lg><l>„Wie in den Lüften der Sturmwind saust,</l><lb n="ple_036.005"/><l>Man weiß nicht von wannen er kommt und braust,</l><lb n="ple_036.006"/><l>Wie der Quell aus verborgenen Tiefen,</l><lb n="ple_036.007"/><l>So des Sängers Lied aus dem Inneren schallt.“</l></lg></hi></p> <p><lb n="ple_036.008"/> Das ist auch ein Selbstzeugnis, noch dazu eines stark reflektierenden <lb n="ple_036.009"/> Dichters. Aber Schiller hat das, was er hier nur allgemein und in einem <lb n="ple_036.010"/> dichterischen Bilde ausdrückt, in einem inhaltvollen Briefe an Goethe <lb n="ple_036.011"/> (27. März 1801), auf den wir noch öfter zurückkommen müssen, mit verstandesmäßiger <lb n="ple_036.012"/> Schärfe ausgesprochen. „Ohne eine dunkle, aber mächtige <lb n="ple_036.013"/> Totalidee, die allem Technischen vorgeht, kann kein poetisches Werk entstehen, <lb n="ple_036.014"/> und die Poesie, deucht mir, besteht eben darin, jenes Bewußtlose <lb n="ple_036.015"/> aussprechen und mitteilen zu können, d. h. es in ein Objekt zu übertragen. <lb n="ple_036.016"/> — Das Bewußtlose mit dem Besonnenen vereinigt macht den poetischen <lb n="ple_036.017"/> Künstler aus.“</p> <p><lb n="ple_036.018"/> Was den Ursprung der Konzeption charakterisiert, das zeigt sich <lb n="ple_036.019"/> nicht minder charakteristisch in der künstlerischen Arbeit, die ihrer Verwirklichung <lb n="ple_036.020"/> dient. Diese Arbeit scheint zwar eine völlig verstandesmäßige <lb n="ple_036.021"/> zu sein. Sie beruht auf einer fortgesetzten Auswahl des Zweckdienlichen; <lb n="ple_036.022"/> aus einer Reihe von Möglichkeiten, die ihm seine Phantasie und seine <lb n="ple_036.023"/> Darstellungsmittel gewähren, greift der Dichter diejenigen heraus, die geeignet <lb n="ple_036.024"/> sind, seine Intention in anschauliche Wirklichkeit umzusetzen. Hiernach <lb n="ple_036.025"/> wählt er Worte, Stimmungen und Situationen; und die Rücksicht auf <lb n="ple_036.026"/> das Publikum, auf die beabsichtigte Wirkung, ist, wie wir schon oben <lb n="ple_036.027"/> sahen, stets mitbestimmend, nicht selten ausschlaggebend für seine Auswahl. <lb n="ple_036.028"/> Aber das ist nun das Wunderbare: diese sichtende und suchende <lb n="ple_036.029"/> Verstandestätigkeit kommt ihm zum großen Teil gar nicht zum Bewußtsein; <lb n="ple_036.030"/> zumal die Rücksicht auf das Publikum bleibt bei dem echten <lb n="ple_036.031"/> Künstler zumeist ganz unterhalb der Schwelle. Kurz, das rätselhafte Phänomen <lb n="ple_036.032"/> einer <hi rendition="#g">unbewußten Auswahl</hi> ist das eigentliche Wesen der künstlerischen <lb n="ple_036.033"/> Tätigkeit. Allerdings tritt uns hier ein unverkennbarer Unterschied <lb n="ple_036.034"/> zwischen den Dichterindividualitäten entgegen. Schon Aristoteles <lb n="ple_036.035"/> sagt in der Poetik (c. 17), ein Dichter müsse entweder aus leidenschaftlicher <lb n="ple_036.036"/> Begeisterung oder aus einem überlegenen Künstlerverstand heraus <lb n="ple_036.037"/> schaffen;<note xml:id="ple_036_1" place="foot" n="1)"><lb n="ple_036.041"/> εὐφυοῦς ἡ ποιητική ἐστιν \̓η μανικοῦ; τούτων γὰρ ο\̔ι μὲν εὔπλαστοι ο\̔ι δὲ ἐξεταστικοί <lb n="ple_036.042"/> εἰσιν.</note> und wir brauchen nur etwa den Götz des jungen Goethe neben <lb n="ple_036.038"/> Lessings Emilia Galotti zu stellen, um zu sehen, was er meint und daß er <lb n="ple_036.039"/> recht hat. Aber doch ist der Unterschied nur ein relativer. Auch der <lb n="ple_036.040"/> junge Goethe sichtete, wie uns die Entstehungsgeschichte des Götz zeigt, </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [36/0050]
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dichterischer Begeisterung als einen Traumzustand: ,Es bereitet sich in ple_036.002
des Dichters Seele vor, was er selber nicht weiß'“. Daher die bekannten ple_036.003
Schillerschen Verse: ple_036.004
„Wie in den Lüften der Sturmwind saust, ple_036.005
Man weiß nicht von wannen er kommt und braust, ple_036.006
Wie der Quell aus verborgenen Tiefen, ple_036.007
So des Sängers Lied aus dem Inneren schallt.“
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Das ist auch ein Selbstzeugnis, noch dazu eines stark reflektierenden ple_036.009
Dichters. Aber Schiller hat das, was er hier nur allgemein und in einem ple_036.010
dichterischen Bilde ausdrückt, in einem inhaltvollen Briefe an Goethe ple_036.011
(27. März 1801), auf den wir noch öfter zurückkommen müssen, mit verstandesmäßiger ple_036.012
Schärfe ausgesprochen. „Ohne eine dunkle, aber mächtige ple_036.013
Totalidee, die allem Technischen vorgeht, kann kein poetisches Werk entstehen, ple_036.014
und die Poesie, deucht mir, besteht eben darin, jenes Bewußtlose ple_036.015
aussprechen und mitteilen zu können, d. h. es in ein Objekt zu übertragen. ple_036.016
— Das Bewußtlose mit dem Besonnenen vereinigt macht den poetischen ple_036.017
Künstler aus.“
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Was den Ursprung der Konzeption charakterisiert, das zeigt sich ple_036.019
nicht minder charakteristisch in der künstlerischen Arbeit, die ihrer Verwirklichung ple_036.020
dient. Diese Arbeit scheint zwar eine völlig verstandesmäßige ple_036.021
zu sein. Sie beruht auf einer fortgesetzten Auswahl des Zweckdienlichen; ple_036.022
aus einer Reihe von Möglichkeiten, die ihm seine Phantasie und seine ple_036.023
Darstellungsmittel gewähren, greift der Dichter diejenigen heraus, die geeignet ple_036.024
sind, seine Intention in anschauliche Wirklichkeit umzusetzen. Hiernach ple_036.025
wählt er Worte, Stimmungen und Situationen; und die Rücksicht auf ple_036.026
das Publikum, auf die beabsichtigte Wirkung, ist, wie wir schon oben ple_036.027
sahen, stets mitbestimmend, nicht selten ausschlaggebend für seine Auswahl. ple_036.028
Aber das ist nun das Wunderbare: diese sichtende und suchende ple_036.029
Verstandestätigkeit kommt ihm zum großen Teil gar nicht zum Bewußtsein; ple_036.030
zumal die Rücksicht auf das Publikum bleibt bei dem echten ple_036.031
Künstler zumeist ganz unterhalb der Schwelle. Kurz, das rätselhafte Phänomen ple_036.032
einer unbewußten Auswahl ist das eigentliche Wesen der künstlerischen ple_036.033
Tätigkeit. Allerdings tritt uns hier ein unverkennbarer Unterschied ple_036.034
zwischen den Dichterindividualitäten entgegen. Schon Aristoteles ple_036.035
sagt in der Poetik (c. 17), ein Dichter müsse entweder aus leidenschaftlicher ple_036.036
Begeisterung oder aus einem überlegenen Künstlerverstand heraus ple_036.037
schaffen; 1) und wir brauchen nur etwa den Götz des jungen Goethe neben ple_036.038
Lessings Emilia Galotti zu stellen, um zu sehen, was er meint und daß er ple_036.039
recht hat. Aber doch ist der Unterschied nur ein relativer. Auch der ple_036.040
junge Goethe sichtete, wie uns die Entstehungsgeschichte des Götz zeigt,
1) ple_036.041
εὐφυοῦς ἡ ποιητική ἐστιν \̓η μανικοῦ; τούτων γὰρ ο\̔ι μὲν εὔπλαστοι ο\̔ι δὲ ἐξεταστικοί ple_036.042
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