hauptet. So viel hat mir die Historie an die Hand gegeben. Wenn man mir aber zur Last legt, daß ich sie in einem wichtigen Stücke ver- fälscht hätte, weil ich mich des Vorfalles mit dem Ringe nicht bedienet, den die Königinn dem Grafen zum Unterpfande ihrer unfehlbaren Be- gnadigung, falls er sich jemals eines Staatsver- brechens schuldig machen sollte, gegeben habe: so muß mich dieses sehr befremden. Ich bin versichert, daß dieser Ring eine Erfindung des Calprenede ist, wenigstens habe ich in keinem Geschichtschreiben das geringste davon gelesen."
Allerdings stand es Corneillen frey, diesen Um- stand mit dem Ringe zu nutzen, oder nicht zu nutzen; aber darinn ging er zu weit, daß er ihn für eine poetische Erfindung erklärte. Seine historische Richtigkeit ist neuerlich fast außer Zweifel gesetzt worden; und die bedächtlichsten, skeptischsten Geschichtschreiber, Hume und Ro- bertson, haben ihn in ihre Werke aufgenom- men.
Wenn Robertson in seiner Geschichte von Schottland von der Schwermuth redet, in wel- che Elisabeth vor ihrem Tode verfiel, so sagt er:
"Die gemeinste Meinung damaliger Zeit, und vielleicht die wahrscheinlichste, war diese, daß dieses Uebel aus einer betrübten Reue wegen des Grafen von Esser entstanden sey. Sie hatte eine ganz ausserordentliche Achtung für das An-
denken
hauptet. So viel hat mir die Hiſtorie an die Hand gegeben. Wenn man mir aber zur Laſt legt, daß ich ſie in einem wichtigen Stuͤcke ver- faͤlſcht haͤtte, weil ich mich des Vorfalles mit dem Ringe nicht bedienet, den die Koͤniginn dem Grafen zum Unterpfande ihrer unfehlbaren Be- gnadigung, falls er ſich jemals eines Staatsver- brechens ſchuldig machen ſollte, gegeben habe: ſo muß mich dieſes ſehr befremden. Ich bin verſichert, daß dieſer Ring eine Erfindung des Calprenede iſt, wenigſtens habe ich in keinem Geſchichtſchreiben das geringſte davon geleſen.〟
Allerdings ſtand es Corneillen frey, dieſen Um- ſtand mit dem Ringe zu nutzen, oder nicht zu nutzen; aber darinn ging er zu weit, daß er ihn fuͤr eine poetiſche Erfindung erklaͤrte. Seine hiſtoriſche Richtigkeit iſt neuerlich faſt außer Zweifel geſetzt worden; und die bedaͤchtlichſten, ſkeptiſchſten Geſchichtſchreiber, Hume und Ro- bertſon, haben ihn in ihre Werke aufgenom- men.
Wenn Robertſon in ſeiner Geſchichte von Schottland von der Schwermuth redet, in wel- che Eliſabeth vor ihrem Tode verfiel, ſo ſagt er:
〟Die gemeinſte Meinung damaliger Zeit, und vielleicht die wahrſcheinlichſte, war dieſe, daß dieſes Uebel aus einer betruͤbten Reue wegen des Grafen von Eſſer entſtanden ſey. Sie hatte eine ganz auſſerordentliche Achtung fuͤr das An-
denken
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hauptet. So viel hat mir die Hiſtorie an die
Hand gegeben. Wenn man mir aber zur Laſt
legt, daß ich ſie in einem wichtigen Stuͤcke ver-
faͤlſcht haͤtte, weil ich mich des Vorfalles mit
dem Ringe nicht bedienet, den die Koͤniginn dem
Grafen zum Unterpfande ihrer unfehlbaren Be-
gnadigung, falls er ſich jemals eines Staatsver-
brechens ſchuldig machen ſollte, gegeben habe:
ſo muß mich dieſes ſehr befremden. Ich bin
verſichert, daß dieſer Ring eine Erfindung des
Calprenede iſt, wenigſtens habe ich in keinem
Geſchichtſchreiben das geringſte davon geleſen.〟
Allerdings ſtand es Corneillen frey, dieſen Um-
ſtand mit dem Ringe zu nutzen, oder nicht zu
nutzen; aber darinn ging er zu weit, daß er ihn
fuͤr eine poetiſche Erfindung erklaͤrte. Seine
hiſtoriſche Richtigkeit iſt neuerlich faſt außer
Zweifel geſetzt worden; und die bedaͤchtlichſten,
ſkeptiſchſten Geſchichtſchreiber, Hume und Ro-
bertſon, haben ihn in ihre Werke aufgenom-
men.
Wenn Robertſon in ſeiner Geſchichte von
Schottland von der Schwermuth redet, in wel-
che Eliſabeth vor ihrem Tode verfiel, ſo ſagt er:
〟Die gemeinſte Meinung damaliger Zeit, und
vielleicht die wahrſcheinlichſte, war dieſe, daß
dieſes Uebel aus einer betruͤbten Reue wegen des
Grafen von Eſſer entſtanden ſey. Sie hatte
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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/188>, abgerufen am 24.11.2024.
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