einmal über das andere; itzt war sie fast ent- schlossen, ihn dem Tode zu überliefern; den Au- genblick darauf erwachte ihre Zärtlichkeit aufs neue, und er sollte leben. Die Feinde des Grafen ließen sie nicht aus den Augen; sie stell- ten ihr vor, daß er selbst den Tod wünsche, daß er selbst erkläret habe, wie sie doch anders keine Ruhe vor ihm haben würde. Wahrscheinlicher Weise that diese Aeußerung von Reue und Ach- tung für die Sicherheit der Königinn, die der Graf sonach lieber durch seinen Tod befestigen wollte, eine ganz andere Wirkung, als sich seine Feinde davon versprochen hatten. Sie fachte das Feuer einer alten Leidenschaft, die sie so lange für den unglücklichen Gefangnen genähret hatte, wieder an. Was aber dennoch ihr Herz gegen ihn verhärtete, war die vermeintliche Hals- starrigkeit, durchaus nicht um Gnade zu bitten. Sie versahe sich dieses Schrittes von ihm alle Stunden, und nur aus Verdruß, daß er nicht erfolgen wollte, ließ sie dem Rechte endlich sei- nen Lauf."
Warum sollte Elisabeth nicht noch in ihrem acht und sechzigsten Jahre geliebt haben, sie, die sich so gern lieben ließ? Sie, der es so sehr schmeichelte, wenn man ihre Schönheit rühmte? Sie, die es so wohl aufnahm, wenn man ihre Kette zu tragen schien? Die Welt muß in diesem
Stücke
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einmal uͤber das andere; itzt war ſie faſt ent- ſchloſſen, ihn dem Tode zu uͤberliefern; den Au- genblick darauf erwachte ihre Zaͤrtlichkeit aufs neue, und er ſollte leben. Die Feinde des Grafen ließen ſie nicht aus den Augen; ſie ſtell- ten ihr vor, daß er ſelbſt den Tod wuͤnſche, daß er ſelbſt erklaͤret habe, wie ſie doch anders keine Ruhe vor ihm haben wuͤrde. Wahrſcheinlicher Weiſe that dieſe Aeußerung von Reue und Ach- tung fuͤr die Sicherheit der Koͤniginn, die der Graf ſonach lieber durch ſeinen Tod befeſtigen wollte, eine ganz andere Wirkung, als ſich ſeine Feinde davon verſprochen hatten. Sie fachte das Feuer einer alten Leidenſchaft, die ſie ſo lange fuͤr den ungluͤcklichen Gefangnen genaͤhret hatte, wieder an. Was aber dennoch ihr Herz gegen ihn verhaͤrtete, war die vermeintliche Hals- ſtarrigkeit, durchaus nicht um Gnade zu bitten. Sie verſahe ſich dieſes Schrittes von ihm alle Stunden, und nur aus Verdruß, daß er nicht erfolgen wollte, ließ ſie dem Rechte endlich ſei- nen Lauf.〟
Warum ſollte Eliſabeth nicht noch in ihrem acht und ſechzigſten Jahre geliebt haben, ſie, die ſich ſo gern lieben ließ? Sie, der es ſo ſehr ſchmeichelte, wenn man ihre Schoͤnheit ruͤhmte? Sie, die es ſo wohl aufnahm, wenn man ihre Kette zu tragen ſchien? Die Welt muß in dieſem
Stuͤcke
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einmal uͤber das andere; itzt war ſie faſt ent-
ſchloſſen, ihn dem Tode zu uͤberliefern; den Au-
genblick darauf erwachte ihre Zaͤrtlichkeit aufs
neue, und er ſollte leben. Die Feinde des
Grafen ließen ſie nicht aus den Augen; ſie ſtell-
ten ihr vor, daß er ſelbſt den Tod wuͤnſche, daß
er ſelbſt erklaͤret habe, wie ſie doch anders keine
Ruhe vor ihm haben wuͤrde. Wahrſcheinlicher
Weiſe that dieſe Aeußerung von Reue und Ach-
tung fuͤr die Sicherheit der Koͤniginn, die der
Graf ſonach lieber durch ſeinen Tod befeſtigen
wollte, eine ganz andere Wirkung, als ſich ſeine
Feinde davon verſprochen hatten. Sie fachte
das Feuer einer alten Leidenſchaft, die ſie ſo
lange fuͤr den ungluͤcklichen Gefangnen genaͤhret
hatte, wieder an. Was aber dennoch ihr Herz
gegen ihn verhaͤrtete, war die vermeintliche Hals-
ſtarrigkeit, durchaus nicht um Gnade zu bitten.
Sie verſahe ſich dieſes Schrittes von ihm alle
Stunden, und nur aus Verdruß, daß er nicht
erfolgen wollte, ließ ſie dem Rechte endlich ſei-
nen Lauf.〟
Warum ſollte Eliſabeth nicht noch in ihrem
acht und ſechzigſten Jahre geliebt haben, ſie,
die ſich ſo gern lieben ließ? Sie, der es ſo ſehr
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Sie, die es ſo wohl aufnahm, wenn man ihre
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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/193>, abgerufen am 21.11.2024.
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