Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769].

Bild:
<< vorherige Seite

mit dem Degen in der Hand, gegen den Grafen
von Notthingham, unter dem er kommandirt
hatte, gegen seinen Sohn, gegen jeden von sei-
nen Anverwandten, zu beweisen, daß sie ihm
allein zugehöre.

Corneille läßt den Grafen von seinen Feinden,
namentlich vom Raleigh, vom Cecil, vom
Cobhan, sehr verächtlich sprechen. Auch das
will Voltaire nicht gut heissen. Es ist nicht er-
laubt, sagt er, eine so neue Geschichte so gröb-
lich zu verfälschen, und Männer von so vorneh-
mer Geburt, von so großen Verdiensten, so
unwürdig zu mißhandeln. Aber hier kömmt es
ja gar nicht darauf an, was diese Männer
waren, sondern wofür sie Essex hielt; und Essex
war auf seine eigene Verdienste stolz genug, um
ihnen ganz und gar keine einzuräumen.

Wenn Corneille den Essex sagen läßt, daß es
nur an seinem Willen gemangelt, den Thron
selbst zu besteigen, so läßt er ihn freylich etwas
sagen, was noch weit von der Wahrheit entfernt
war. Aber Voltaire hätte darum doch nicht
ausrufen müssen: "Wie? Essex auf dem Thro-
ne? mit was für Recht? unter was für Vor-
wande? wie wäre das möglich gewesen?"

Denn Voltaire hätte sich erinnern sollen, daß
Essex von mütterlicher Seite aus dem Königli-

chen
Z 3

mit dem Degen in der Hand, gegen den Grafen
von Notthingham, unter dem er kommandirt
hatte, gegen ſeinen Sohn, gegen jeden von ſei-
nen Anverwandten, zu beweiſen, daß ſie ihm
allein zugehoͤre.

Corneille laͤßt den Grafen von ſeinen Feinden,
namentlich vom Raleigh, vom Cecil, vom
Cobhan, ſehr veraͤchtlich ſprechen. Auch das
will Voltaire nicht gut heiſſen. Es iſt nicht er-
laubt, ſagt er, eine ſo neue Geſchichte ſo groͤb-
lich zu verfaͤlſchen, und Maͤnner von ſo vorneh-
mer Geburt, von ſo großen Verdienſten, ſo
unwuͤrdig zu mißhandeln. Aber hier koͤmmt es
ja gar nicht darauf an, was dieſe Maͤnner
waren, ſondern wofuͤr ſie Eſſex hielt; und Eſſex
war auf ſeine eigene Verdienſte ſtolz genug, um
ihnen ganz und gar keine einzuraͤumen.

Wenn Corneille den Eſſex ſagen laͤßt, daß es
nur an ſeinem Willen gemangelt, den Thron
ſelbſt zu beſteigen, ſo laͤßt er ihn freylich etwas
ſagen, was noch weit von der Wahrheit entfernt
war. Aber Voltaire haͤtte darum doch nicht
ausrufen muͤſſen: 〟Wie? Eſſex auf dem Thro-
ne? mit was fuͤr Recht? unter was fuͤr Vor-
wande? wie waͤre das moͤglich geweſen?〟

Denn Voltaire haͤtte ſich erinnern ſollen, daß
Eſſex von muͤtterlicher Seite aus dem Koͤnigli-

chen
Z 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0195" n="181"/>
mit dem Degen in der Hand, gegen den Grafen<lb/>
von Notthingham, unter dem er kommandirt<lb/>
hatte, gegen &#x017F;einen Sohn, gegen jeden von &#x017F;ei-<lb/>
nen Anverwandten, zu bewei&#x017F;en, daß &#x017F;ie ihm<lb/>
allein zugeho&#x0364;re.</p><lb/>
        <p>Corneille la&#x0364;ßt den Grafen von &#x017F;einen Feinden,<lb/>
namentlich vom Raleigh, vom Cecil, vom<lb/>
Cobhan, &#x017F;ehr vera&#x0364;chtlich &#x017F;prechen. Auch das<lb/>
will Voltaire nicht gut hei&#x017F;&#x017F;en. Es i&#x017F;t nicht er-<lb/>
laubt, &#x017F;agt er, eine &#x017F;o neue Ge&#x017F;chichte &#x017F;o gro&#x0364;b-<lb/>
lich zu verfa&#x0364;l&#x017F;chen, und Ma&#x0364;nner von &#x017F;o vorneh-<lb/>
mer Geburt, von &#x017F;o großen Verdien&#x017F;ten, &#x017F;o<lb/>
unwu&#x0364;rdig zu mißhandeln. Aber hier ko&#x0364;mmt es<lb/>
ja gar nicht darauf an, was die&#x017F;e Ma&#x0364;nner<lb/>
waren, &#x017F;ondern wofu&#x0364;r &#x017F;ie E&#x017F;&#x017F;ex hielt; und E&#x017F;&#x017F;ex<lb/>
war auf &#x017F;eine eigene Verdien&#x017F;te &#x017F;tolz genug, um<lb/>
ihnen ganz und gar keine einzura&#x0364;umen.</p><lb/>
        <p>Wenn Corneille den E&#x017F;&#x017F;ex &#x017F;agen la&#x0364;ßt, daß es<lb/>
nur an &#x017F;einem Willen gemangelt, den Thron<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t zu be&#x017F;teigen, &#x017F;o la&#x0364;ßt er ihn freylich etwas<lb/>
&#x017F;agen, was noch weit von der Wahrheit entfernt<lb/>
war. Aber Voltaire ha&#x0364;tte darum doch nicht<lb/>
ausrufen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en: <cit><quote>&#x301F;Wie? E&#x017F;&#x017F;ex auf dem Thro-<lb/>
ne? mit was fu&#x0364;r Recht? unter was fu&#x0364;r Vor-<lb/>
wande? wie wa&#x0364;re das mo&#x0364;glich gewe&#x017F;en?&#x301F;</quote></cit><lb/>
Denn Voltaire ha&#x0364;tte &#x017F;ich erinnern &#x017F;ollen, daß<lb/>
E&#x017F;&#x017F;ex von mu&#x0364;tterlicher Seite aus dem Ko&#x0364;nigli-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Z 3</fw><fw place="bottom" type="catch">chen</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[181/0195] mit dem Degen in der Hand, gegen den Grafen von Notthingham, unter dem er kommandirt hatte, gegen ſeinen Sohn, gegen jeden von ſei- nen Anverwandten, zu beweiſen, daß ſie ihm allein zugehoͤre. Corneille laͤßt den Grafen von ſeinen Feinden, namentlich vom Raleigh, vom Cecil, vom Cobhan, ſehr veraͤchtlich ſprechen. Auch das will Voltaire nicht gut heiſſen. Es iſt nicht er- laubt, ſagt er, eine ſo neue Geſchichte ſo groͤb- lich zu verfaͤlſchen, und Maͤnner von ſo vorneh- mer Geburt, von ſo großen Verdienſten, ſo unwuͤrdig zu mißhandeln. Aber hier koͤmmt es ja gar nicht darauf an, was dieſe Maͤnner waren, ſondern wofuͤr ſie Eſſex hielt; und Eſſex war auf ſeine eigene Verdienſte ſtolz genug, um ihnen ganz und gar keine einzuraͤumen. Wenn Corneille den Eſſex ſagen laͤßt, daß es nur an ſeinem Willen gemangelt, den Thron ſelbſt zu beſteigen, ſo laͤßt er ihn freylich etwas ſagen, was noch weit von der Wahrheit entfernt war. Aber Voltaire haͤtte darum doch nicht ausrufen muͤſſen: 〟Wie? Eſſex auf dem Thro- ne? mit was fuͤr Recht? unter was fuͤr Vor- wande? wie waͤre das moͤglich geweſen?〟 Denn Voltaire haͤtte ſich erinnern ſollen, daß Eſſex von muͤtterlicher Seite aus dem Koͤnigli- chen Z 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/195
Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/195>, abgerufen am 27.05.2024.