das minder Natürliche. Die Cleopatra des Corneille, die so eine Frau ist, die, ihren Ehr- geitz, ihren beleidigten Stolz zu befriedigen, sich alle Verbrechen erlaubet, die mit nichts als mit machiavellischen Maximen um sich wirft, ist ein Ungeheuer ihres Geschlechts, und Medea ist gegen ihr tugendhaft und liebenswürdig. Denn alle die Grausamkeiten, welche Medea begeht, begeht sie aus Eifersucht. Einer zärtlichen, eifersüchtigen Frau, will ich noch alles vergeben; sie ist das, was sie seyn soll, nur zu heftig. Aber gegen eine Frau, die aus kaltem Stolze, aus überlegtem Ehrgeitze, Frevelthaten verübet, em- pört sich das ganze Herz; und alle Kunst des Dichters kann sie uns nicht interessant machen. Wir staunen sie an, wie wir ein Monstrum an- staunen; und wenn wir unsere Neugierde gesät- tiget haben, so danken wir dem Himmel, daß sich die Natur nur alle tausend Jahre einmal so verirret, und ärgern uns über den Dichter, der uns dergleichen Mißgeschöpfe für Menschen verkaufen will, deren Kenntniß uns ersprieß- lich seyn könnte. Man gehe die ganze Geschichte durch; unter funfzig Frauen, die ihre Männer vom Throne gestürzet und ermordet haben, ist kaum eine, von der man nicht beweisen könnte, daß nur beleidigte Liebe sie zu diesem Schritte bewogen. Aus bloßem Regierungsneide, aus bloßem Stolze das Scepter selbst zu führen,
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das minder Natuͤrliche. Die Cleopatra des Corneille, die ſo eine Frau iſt, die, ihren Ehr- geitz, ihren beleidigten Stolz zu befriedigen, ſich alle Verbrechen erlaubet, die mit nichts als mit machiavelliſchen Maximen um ſich wirft, iſt ein Ungeheuer ihres Geſchlechts, und Medea iſt gegen ihr tugendhaft und liebenswuͤrdig. Denn alle die Grauſamkeiten, welche Medea begeht, begeht ſie aus Eiferſucht. Einer zaͤrtlichen, eiferſuͤchtigen Frau, will ich noch alles vergeben; ſie iſt das, was ſie ſeyn ſoll, nur zu heftig. Aber gegen eine Frau, die aus kaltem Stolze, aus uͤberlegtem Ehrgeitze, Frevelthaten veruͤbet, em- poͤrt ſich das ganze Herz; und alle Kunſt des Dichters kann ſie uns nicht intereſſant machen. Wir ſtaunen ſie an, wie wir ein Monſtrum an- ſtaunen; und wenn wir unſere Neugierde geſaͤt- tiget haben, ſo danken wir dem Himmel, daß ſich die Natur nur alle tauſend Jahre einmal ſo verirret, und aͤrgern uns uͤber den Dichter, der uns dergleichen Mißgeſchoͤpfe fuͤr Menſchen verkaufen will, deren Kenntniß uns erſprieß- lich ſeyn koͤnnte. Man gehe die ganze Geſchichte durch; unter funfzig Frauen, die ihre Maͤnner vom Throne geſtuͤrzet und ermordet haben, iſt kaum eine, von der man nicht beweiſen koͤnnte, daß nur beleidigte Liebe ſie zu dieſem Schritte bewogen. Aus bloßem Regierungsneide, aus bloßem Stolze das Scepter ſelbſt zu fuͤhren,
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das minder Natuͤrliche. Die Cleopatra des
Corneille, die ſo eine Frau iſt, die, ihren Ehr-
geitz, ihren beleidigten Stolz zu befriedigen, ſich
alle Verbrechen erlaubet, die mit nichts als mit
machiavelliſchen Maximen um ſich wirft, iſt ein
Ungeheuer ihres Geſchlechts, und Medea iſt
gegen ihr tugendhaft und liebenswuͤrdig. Denn
alle die Grauſamkeiten, welche Medea begeht,
begeht ſie aus Eiferſucht. Einer zaͤrtlichen,
eiferſuͤchtigen Frau, will ich noch alles vergeben;
ſie iſt das, was ſie ſeyn ſoll, nur zu heftig. Aber
gegen eine Frau, die aus kaltem Stolze, aus
uͤberlegtem Ehrgeitze, Frevelthaten veruͤbet, em-
poͤrt ſich das ganze Herz; und alle Kunſt des
Dichters kann ſie uns nicht intereſſant machen.
Wir ſtaunen ſie an, wie wir ein Monſtrum an-
ſtaunen; und wenn wir unſere Neugierde geſaͤt-
tiget haben, ſo danken wir dem Himmel, daß
ſich die Natur nur alle tauſend Jahre einmal ſo
verirret, und aͤrgern uns uͤber den Dichter,
der uns dergleichen Mißgeſchoͤpfe fuͤr Menſchen
verkaufen will, deren Kenntniß uns erſprieß-
lich ſeyn koͤnnte. Man gehe die ganze Geſchichte
durch; unter funfzig Frauen, die ihre Maͤnner
vom Throne geſtuͤrzet und ermordet haben, iſt
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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/252>, abgerufen am 22.11.2024.
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