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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769].

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ches der beste Glückswechsel, welches die beste
Erkennung, welches die beste Behandlung des
Leidens sey: so findet sich in Ansehung des er-
stern, daß derjenige Glückswechsel der beste,
das ist, der fähigste, Schrecken und Mitleid
zu erwecken und zu befördern, sey, welcher aus
dem Bessern in das Schlimmere geschieht; und
in Ansehung der letztern, daß diejenige Behand-
lung des Leidens die beste in dem nehmlichen Ver-
stande sey, wenn die Personen, unter welchen
das Leiden bevorstehet, einander nicht kennen,
aber in eben dem Augenblicke, da dieses Leiden
zur Wirklichkeit gelangen soll, einander kennen
lernen, so daß es dadurch unterbleibt.

Und dieses soll sich widersprechen? Ich ver-
stehe nicht, wo man die Gedanken haben muß,
wenn man hier den geringsten Widerspruch fin-
det. Der Philosoph redet von verschiedenen
Theilen: warum soll denn das, was er von die-
sem Theile behauptet, auch von jenem gelten
müssen? Ist denn die möglichste Vollkommen-
heit des einen, nothwendig auch die Vollkom-
menheit des andern? Oder ist die Vollkommen-
heit eines Theils auch die Vollkommenheit des
Ganzen? Wenn der Glückswechsel und das,
was Aristoteles unter dem Worte Leiden be-
greift, zwey verschiedene Dinge sind, wie sie es
sind, warum soll sich nicht ganz etwas Verschie-
denes von ihnen sagen lassen? Oder ist es unmög-

lich,
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ches der beſte Gluͤckswechſel, welches die beſte
Erkennung, welches die beſte Behandlung des
Leidens ſey: ſo findet ſich in Anſehung des er-
ſtern, daß derjenige Gluͤckswechſel der beſte,
das iſt, der faͤhigſte, Schrecken und Mitleid
zu erwecken und zu befoͤrdern, ſey, welcher aus
dem Beſſern in das Schlimmere geſchieht; und
in Anſehung der letztern, daß diejenige Behand-
lung des Leidens die beſte in dem nehmlichen Ver-
ſtande ſey, wenn die Perſonen, unter welchen
das Leiden bevorſtehet, einander nicht kennen,
aber in eben dem Augenblicke, da dieſes Leiden
zur Wirklichkeit gelangen ſoll, einander kennen
lernen, ſo daß es dadurch unterbleibt.

Und dieſes ſoll ſich widerſprechen? Ich ver-
ſtehe nicht, wo man die Gedanken haben muß,
wenn man hier den geringſten Widerſpruch fin-
det. Der Philoſoph redet von verſchiedenen
Theilen: warum ſoll denn das, was er von die-
ſem Theile behauptet, auch von jenem gelten
muͤſſen? Iſt denn die moͤglichſte Vollkommen-
heit des einen, nothwendig auch die Vollkom-
menheit des andern? Oder iſt die Vollkommen-
heit eines Theils auch die Vollkommenheit des
Ganzen? Wenn der Gluͤckswechſel und das,
was Ariſtoteles unter dem Worte Leiden be-
greift, zwey verſchiedene Dinge ſind, wie ſie es
ſind, warum ſoll ſich nicht ganz etwas Verſchie-
denes von ihnen ſagen laſſen? Oder iſt es unmoͤg-

lich,
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[301/0315] ches der beſte Gluͤckswechſel, welches die beſte Erkennung, welches die beſte Behandlung des Leidens ſey: ſo findet ſich in Anſehung des er- ſtern, daß derjenige Gluͤckswechſel der beſte, das iſt, der faͤhigſte, Schrecken und Mitleid zu erwecken und zu befoͤrdern, ſey, welcher aus dem Beſſern in das Schlimmere geſchieht; und in Anſehung der letztern, daß diejenige Behand- lung des Leidens die beſte in dem nehmlichen Ver- ſtande ſey, wenn die Perſonen, unter welchen das Leiden bevorſtehet, einander nicht kennen, aber in eben dem Augenblicke, da dieſes Leiden zur Wirklichkeit gelangen ſoll, einander kennen lernen, ſo daß es dadurch unterbleibt. Und dieſes ſoll ſich widerſprechen? Ich ver- ſtehe nicht, wo man die Gedanken haben muß, wenn man hier den geringſten Widerſpruch fin- det. Der Philoſoph redet von verſchiedenen Theilen: warum ſoll denn das, was er von die- ſem Theile behauptet, auch von jenem gelten muͤſſen? Iſt denn die moͤglichſte Vollkommen- heit des einen, nothwendig auch die Vollkom- menheit des andern? Oder iſt die Vollkommen- heit eines Theils auch die Vollkommenheit des Ganzen? Wenn der Gluͤckswechſel und das, was Ariſtoteles unter dem Worte Leiden be- greift, zwey verſchiedene Dinge ſind, wie ſie es ſind, warum ſoll ſich nicht ganz etwas Verſchie- denes von ihnen ſagen laſſen? Oder iſt es unmoͤg- lich, P p 3

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Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 301. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/315>, abgerufen am 22.11.2024.