gen, und schreyen: Da bohre mir durch! da pflege ich durchzubohren! -- Gleichwohl schreyen die französischen Kunstrichter alle so; besonders wenn sie auf die dramatischen Stücke der Eng- länder kommen. Was für ein Aufhebens ma- chen sie von der Regelmäßigkeit, die sie sich so unendlich erleichtert haben! -- Doch mir eckelt, mich bey diesen Elementen länger aufzuhalten.
Möchten meinetwegen Voltairens und Maf- feis Merope acht Tage dauern, und an sieben Orten in Griechenland spielen! Möchten sie aber auch nur die Schönheiten haben, die mich diese Pedanterieen vergessen machen!
Die strengste Regelmäßigkeit kann den klein- sten Fehler in den Charakteren nicht aufwiegen. Wie abgeschmackt Polyphont bey dem Maffei öfters spricht und handelt, ist Lindellen nicht entgangen. Er hat Recht über die heillosen Maximen zu spotten, die Maffei seinem Tyran- nen in den Mund legt. Die Edelsten und Be- sten des Staats aus dem Wege zu räumen; das Volk in alle die Wollüste zu versenken, die es entkräften und weibisch machen können; die größ- ten Verbrechen, unter dem Scheine des Mit- leids und der Gnade, ungestraft zu lassen u. s. w. wenn es einen Tyrannen giebt, der diesen un- sinnigen Weg zu regieren einschlägt, wird er
sich
gen, und ſchreyen: Da bohre mir durch! da pflege ich durchzubohren! — Gleichwohl ſchreyen die franzoͤſiſchen Kunſtrichter alle ſo; beſonders wenn ſie auf die dramatiſchen Stuͤcke der Eng- laͤnder kommen. Was fuͤr ein Aufhebens ma- chen ſie von der Regelmaͤßigkeit, die ſie ſich ſo unendlich erleichtert haben! — Doch mir eckelt, mich bey dieſen Elementen laͤnger aufzuhalten.
Moͤchten meinetwegen Voltairens und Maf- feis Merope acht Tage dauern, und an ſieben Orten in Griechenland ſpielen! Moͤchten ſie aber auch nur die Schoͤnheiten haben, die mich dieſe Pedanterieen vergeſſen machen!
Die ſtrengſte Regelmaͤßigkeit kann den klein- ſten Fehler in den Charakteren nicht aufwiegen. Wie abgeſchmackt Polyphont bey dem Maffei oͤfters ſpricht und handelt, iſt Lindellen nicht entgangen. Er hat Recht uͤber die heilloſen Maximen zu ſpotten, die Maffei ſeinem Tyran- nen in den Mund legt. Die Edelſten und Be- ſten des Staats aus dem Wege zu raͤumen; das Volk in alle die Wolluͤſte zu verſenken, die es entkraͤften und weibiſch machen koͤnnen; die groͤß- ten Verbrechen, unter dem Scheine des Mit- leids und der Gnade, ungeſtraft zu laſſen u. ſ. w. wenn es einen Tyrannen giebt, der dieſen un- ſinnigen Weg zu regieren einſchlaͤgt, wird er
ſich
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gen, und ſchreyen: Da bohre mir durch! da
pflege ich durchzubohren! — Gleichwohl ſchreyen
die franzoͤſiſchen Kunſtrichter alle ſo; beſonders
wenn ſie auf die dramatiſchen Stuͤcke der Eng-
laͤnder kommen. Was fuͤr ein Aufhebens ma-
chen ſie von der Regelmaͤßigkeit, die ſie ſich ſo
unendlich erleichtert haben! — Doch mir eckelt,
mich bey dieſen Elementen laͤnger aufzuhalten.
Moͤchten meinetwegen Voltairens und Maf-
feis Merope acht Tage dauern, und an ſieben
Orten in Griechenland ſpielen! Moͤchten ſie aber
auch nur die Schoͤnheiten haben, die mich dieſe
Pedanterieen vergeſſen machen!
Die ſtrengſte Regelmaͤßigkeit kann den klein-
ſten Fehler in den Charakteren nicht aufwiegen.
Wie abgeſchmackt Polyphont bey dem Maffei
oͤfters ſpricht und handelt, iſt Lindellen nicht
entgangen. Er hat Recht uͤber die heilloſen
Maximen zu ſpotten, die Maffei ſeinem Tyran-
nen in den Mund legt. Die Edelſten und Be-
ſten des Staats aus dem Wege zu raͤumen; das
Volk in alle die Wolluͤſte zu verſenken, die es
entkraͤften und weibiſch machen koͤnnen; die groͤß-
ten Verbrechen, unter dem Scheine des Mit-
leids und der Gnade, ungeſtraft zu laſſen u. ſ. w.
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ſinnigen Weg zu regieren einſchlaͤgt, wird er
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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 364. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/378>, abgerufen am 22.11.2024.
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