derungen selbst, die er mit seiner Urschrift ge- macht, nicht näher einlassen; aber Personen von Geschmack, welchen diese nicht unbekannt war, wünschten, daß er die Nachbarinn, anstatt des Vaters, beybehalten hätte. -- Die Rolle der Agnese spielte Mademoiselle Felbrich, ein jun- ges Frauenzimmer, das eine vortrefliche Ak- trice verspricht, und daher die beste Aufmunte- rung verdienet. Alter, Figur, Mine, Stim- me, alles kömmt ihr hier zu statten; und ob sich, bey diesen Naturgaben, in einer solchen Rolle schon vieles von selbst spielet: so muß man ihr doch auch eine Menge Feinheiten zugestehen, die Vorbedacht und Kunst, aber gerade nicht mehr und nicht weniger verriethen, als sich an einer Agnese verrathen darf.
Den sechsten Abend (Mittwochs, den 29sten April) ward die Semiramis des Hrn. von Vol- taire aufgeführet.
Dieses Trauerspiel ward im Jahre 1748 auf die französische Bühne gebracht, erhielt großen Beyfall, und macht, in der Geschichte dieser Bühne, gewissermaaßen Epoche. -- Nachdem der Hr. von Voltaire seine Zayre und Alzire, seinen Brutus und Cäsar geliefert hatte, ward er in der Meinung bestärkt, daß die tragischen Dichter seiner Nation die alten Griechen in vie- len Stücken weit überträfen. Von uns Fran- zosen, sagt er, hätten die Griechen eine geschick-
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derungen ſelbſt, die er mit ſeiner Urſchrift ge- macht, nicht naͤher einlaſſen; aber Perſonen von Geſchmack, welchen dieſe nicht unbekannt war, wuͤnſchten, daß er die Nachbarinn, anſtatt des Vaters, beybehalten haͤtte. — Die Rolle der Agneſe ſpielte Mademoiſelle Felbrich, ein jun- ges Frauenzimmer, das eine vortrefliche Ak- trice verſpricht, und daher die beſte Aufmunte- rung verdienet. Alter, Figur, Mine, Stim- me, alles koͤmmt ihr hier zu ſtatten; und ob ſich, bey dieſen Naturgaben, in einer ſolchen Rolle ſchon vieles von ſelbſt ſpielet: ſo muß man ihr doch auch eine Menge Feinheiten zugeſtehen, die Vorbedacht und Kunſt, aber gerade nicht mehr und nicht weniger verriethen, als ſich an einer Agneſe verrathen darf.
Den ſechſten Abend (Mittwochs, den 29ſten April) ward die Semiramis des Hrn. von Vol- taire aufgefuͤhret.
Dieſes Trauerſpiel ward im Jahre 1748 auf die franzoͤſiſche Buͤhne gebracht, erhielt großen Beyfall, und macht, in der Geſchichte dieſer Buͤhne, gewiſſermaaßen Epoche. — Nachdem der Hr. von Voltaire ſeine Zayre und Alzire, ſeinen Brutus und Caͤſar geliefert hatte, ward er in der Meinung beſtaͤrkt, daß die tragiſchen Dichter ſeiner Nation die alten Griechen in vie- len Stuͤcken weit uͤbertraͤfen. Von uns Fran- zoſen, ſagt er, haͤtten die Griechen eine geſchick-
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derungen ſelbſt, die er mit ſeiner Urſchrift ge-
macht, nicht naͤher einlaſſen; aber Perſonen von
Geſchmack, welchen dieſe nicht unbekannt war,
wuͤnſchten, daß er die Nachbarinn, anſtatt des
Vaters, beybehalten haͤtte. — Die Rolle der
Agneſe ſpielte Mademoiſelle Felbrich, ein jun-
ges Frauenzimmer, das eine vortrefliche Ak-
trice verſpricht, und daher die beſte Aufmunte-
rung verdienet. Alter, Figur, Mine, Stim-
me, alles koͤmmt ihr hier zu ſtatten; und ob
ſich, bey dieſen Naturgaben, in einer ſolchen
Rolle ſchon vieles von ſelbſt ſpielet: ſo muß man
ihr doch auch eine Menge Feinheiten zugeſtehen,
die Vorbedacht und Kunſt, aber gerade nicht
mehr und nicht weniger verriethen, als ſich an
einer Agneſe verrathen darf.
Den ſechſten Abend (Mittwochs, den 29ſten
April) ward die Semiramis des Hrn. von Vol-
taire aufgefuͤhret.
Dieſes Trauerſpiel ward im Jahre 1748 auf
die franzoͤſiſche Buͤhne gebracht, erhielt großen
Beyfall, und macht, in der Geſchichte dieſer
Buͤhne, gewiſſermaaßen Epoche. — Nachdem
der Hr. von Voltaire ſeine Zayre und Alzire,
ſeinen Brutus und Caͤſar geliefert hatte, ward
er in der Meinung beſtaͤrkt, daß die tragiſchen
Dichter ſeiner Nation die alten Griechen in vie-
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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/91>, abgerufen am 24.11.2024.
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