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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769].

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tere Exposition, und die große Kunst, die Auf-
tritte unter einander so zu verbinden, daß die
Scene niemals leer bleibt, und keine Person we-
der ohne Ursache kömmt noch abgehet, lernen
können. Von uns, sagt er, hätten sie lernen
können, wie Nebenbuhler und Nebenbuhlerin-
nen, in witzigen Antithesen, mit einander spre-
chen; wie der Dichter, mit einer Menge erhabner,
glänzender Gedanken, blenden und in Er-
staunen setzen müsse. Von uns hätten sie lernen
können -- O freylich; was ist von den Franzosen
nicht alles zu lernen! Hier und da möchte zwar
ein Ausländer, der die Alten auch ein wenig
gelesen hat, demüthig um Erlaubniß bitten,
anderer Meinung seyn zu dürfen. Er möchte
vielleicht einwenden, daß alle diese Vorzüge der
Franzosen auf das Wesentliche des Trauerspiels
eben keinen großen Einfluß hätten; daß es
Schönheiten wären, welche die einfältige Größe
der Alten verachtet habe. Doch was hilft es,
dem Herrn von Voltaire etwas einzuwenden?
Er spricht und man glaubt. Ein einziges ver-
mißte er bey seiner Bühne; daß die großen Mei-
sterstücke derselben nicht mit der Pracht aufge-
führet würden, deren doch die Griechen die klei-
nen Versuche einer erst sich bildenden Kunst ge-
würdiget hätten. Das Theater in Paris, ein
altes Ballhaus, mit Verzierungen von dem
schlechtesten Geschmacke, wo sich in einem schmutzi-

gen

tere Expoſition, und die große Kunſt, die Auf-
tritte unter einander ſo zu verbinden, daß die
Scene niemals leer bleibt, und keine Perſon we-
der ohne Urſache koͤmmt noch abgehet, lernen
koͤnnen. Von uns, ſagt er, haͤtten ſie lernen
koͤnnen, wie Nebenbuhler und Nebenbuhlerin-
nen, in witzigen Antitheſen, mit einander ſpre-
chen; wie der Dichter, mit einer Menge erhabner,
glaͤnzender Gedanken, blenden und in Er-
ſtaunen ſetzen muͤſſe. Von uns haͤtten ſie lernen
koͤnnen — O freylich; was iſt von den Franzoſen
nicht alles zu lernen! Hier und da moͤchte zwar
ein Auslaͤnder, der die Alten auch ein wenig
geleſen hat, demuͤthig um Erlaubniß bitten,
anderer Meinung ſeyn zu duͤrfen. Er moͤchte
vielleicht einwenden, daß alle dieſe Vorzuͤge der
Franzoſen auf das Weſentliche des Trauerſpiels
eben keinen großen Einfluß haͤtten; daß es
Schoͤnheiten waͤren, welche die einfaͤltige Groͤße
der Alten verachtet habe. Doch was hilft es,
dem Herrn von Voltaire etwas einzuwenden?
Er ſpricht und man glaubt. Ein einziges ver-
mißte er bey ſeiner Buͤhne; daß die großen Mei-
ſterſtuͤcke derſelben nicht mit der Pracht aufge-
fuͤhret wuͤrden, deren doch die Griechen die klei-
nen Verſuche einer erſt ſich bildenden Kunſt ge-
wuͤrdiget haͤtten. Das Theater in Paris, ein
altes Ballhaus, mit Verzierungen von dem
ſchlechteſten Geſchmacke, wo ſich in einem ſchmutzi-

gen
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[78/0092] tere Expoſition, und die große Kunſt, die Auf- tritte unter einander ſo zu verbinden, daß die Scene niemals leer bleibt, und keine Perſon we- der ohne Urſache koͤmmt noch abgehet, lernen koͤnnen. Von uns, ſagt er, haͤtten ſie lernen koͤnnen, wie Nebenbuhler und Nebenbuhlerin- nen, in witzigen Antitheſen, mit einander ſpre- chen; wie der Dichter, mit einer Menge erhabner, glaͤnzender Gedanken, blenden und in Er- ſtaunen ſetzen muͤſſe. Von uns haͤtten ſie lernen koͤnnen — O freylich; was iſt von den Franzoſen nicht alles zu lernen! Hier und da moͤchte zwar ein Auslaͤnder, der die Alten auch ein wenig geleſen hat, demuͤthig um Erlaubniß bitten, anderer Meinung ſeyn zu duͤrfen. Er moͤchte vielleicht einwenden, daß alle dieſe Vorzuͤge der Franzoſen auf das Weſentliche des Trauerſpiels eben keinen großen Einfluß haͤtten; daß es Schoͤnheiten waͤren, welche die einfaͤltige Groͤße der Alten verachtet habe. Doch was hilft es, dem Herrn von Voltaire etwas einzuwenden? Er ſpricht und man glaubt. Ein einziges ver- mißte er bey ſeiner Buͤhne; daß die großen Mei- ſterſtuͤcke derſelben nicht mit der Pracht aufge- fuͤhret wuͤrden, deren doch die Griechen die klei- nen Verſuche einer erſt ſich bildenden Kunſt ge- wuͤrdiget haͤtten. Das Theater in Paris, ein altes Ballhaus, mit Verzierungen von dem ſchlechteſten Geſchmacke, wo ſich in einem ſchmutzi- gen

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Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/92>, abgerufen am 21.11.2024.