anzuschwärzen suchen, ist viel zu ungeduldig, sich zu rechtfertigen, und kömmt, nachdem er den Tyrone zu Niederlegung der Waffen ver- mocht, des ausdrücklichen Verbots der Königinn ungeachtet, nach England über. Dieser unbe- dachtsame Schritt macht seinen Feinden eben so viel Vergnügen, als seinen Freunden Unruhe; besonders zittert die Gräfinn von Rutland, mit welcher er insgeheim verheyrathet ist, vor den Fol- gen. Am meisten aber betrübt sich die Königinn, da sie sieht, daß ihr durch dieses rasche Betra- gen aller Vorwand benommen ist, ihn zu ver- treten, wenn sie nicht eine Zärtlichkeit verrathen will, die sie gern vor der ganzen Welt verbergen möchte. Die Erwägung ihrer Würde, zu wel- cher ihr natürlicher Stolz kömmt, und die heim- liche Liebe, die sie zu ihm trägt, erregen in ihrer Brust den grausamsten Kampf. Sie streitet lange mit sich selbst, ob sie den verwegnen Mann nach dem Tower schicken, oder den geliebten Verbrecher vor sich lassen und ihm erlauben soll, sich gegen sie selbst zu rechtfertigen. Endlich entschließt sie sich zu dem letztern, doch nicht ohne alle Einschränkung; sie will ihn sehen, aber sie will ihn auf eine Art empfangen, daß er die Hoffnung wohl verlieren soll, für seine Verge- hungen so bald Vergebung zu erhalten. Bur- leigh, Raleigh und Nottingham sind bey dieser Zusammenkunft gegenwärtig. Die Königinn
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anzuſchwärzen ſuchen, iſt viel zu ungeduldig, ſich zu rechtfertigen, und kömmt, nachdem er den Tyrone zu Niederlegung der Waffen ver- mocht, des ausdrücklichen Verbots der Königinn ungeachtet, nach England über. Dieſer unbe- dachtſame Schritt macht ſeinen Feinden eben ſo viel Vergnügen, als ſeinen Freunden Unruhe; beſonders zittert die Gräfinn von Rutland, mit welcher er insgeheim verheyrathet iſt, vor den Fol- gen. Am meiſten aber betrübt ſich die Königinn, da ſie ſieht, daß ihr durch dieſes raſche Betra- gen aller Vorwand benommen iſt, ihn zu ver- treten, wenn ſie nicht eine Zärtlichkeit verrathen will, die ſie gern vor der ganzen Welt verbergen möchte. Die Erwägung ihrer Würde, zu wel- cher ihr natürlicher Stolz kömmt, und die heim- liche Liebe, die ſie zu ihm trägt, erregen in ihrer Bruſt den grauſamſten Kampf. Sie ſtreitet lange mit ſich ſelbſt, ob ſie den verwegnen Mann nach dem Tower ſchicken, oder den geliebten Verbrecher vor ſich laſſen und ihm erlauben ſoll, ſich gegen ſie ſelbſt zu rechtfertigen. Endlich entſchließt ſie ſich zu dem letztern, doch nicht ohne alle Einſchränkung; ſie will ihn ſehen, aber ſie will ihn auf eine Art empfangen, daß er die Hoffnung wohl verlieren ſoll, für ſeine Verge- hungen ſo bald Vergebung zu erhalten. Bur- leigh, Raleigh und Nottingham ſind bey dieſer Zuſammenkunft gegenwärtig. Die Königinn
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anzuſchwärzen ſuchen, iſt viel zu ungeduldig,
ſich zu rechtfertigen, und kömmt, nachdem er
den Tyrone zu Niederlegung der Waffen ver-
mocht, des ausdrücklichen Verbots der Königinn
ungeachtet, nach England über. Dieſer unbe-
dachtſame Schritt macht ſeinen Feinden eben ſo
viel Vergnügen, als ſeinen Freunden Unruhe;
beſonders zittert die Gräfinn von Rutland, mit
welcher er insgeheim verheyrathet iſt, vor den Fol-
gen. Am meiſten aber betrübt ſich die Königinn,
da ſie ſieht, daß ihr durch dieſes raſche Betra-
gen aller Vorwand benommen iſt, ihn zu ver-
treten, wenn ſie nicht eine Zärtlichkeit verrathen
will, die ſie gern vor der ganzen Welt verbergen
möchte. Die Erwägung ihrer Würde, zu wel-
cher ihr natürlicher Stolz kömmt, und die heim-
liche Liebe, die ſie zu ihm trägt, erregen in ihrer
Bruſt den grauſamſten Kampf. Sie ſtreitet
lange mit ſich ſelbſt, ob ſie den verwegnen Mann
nach dem Tower ſchicken, oder den geliebten
Verbrecher vor ſich laſſen und ihm erlauben ſoll,
ſich gegen ſie ſelbſt zu rechtfertigen. Endlich
entſchließt ſie ſich zu dem letztern, doch nicht ohne
alle Einſchränkung; ſie will ihn ſehen, aber ſie
will ihn auf eine Art empfangen, daß er die
Hoffnung wohl verlieren ſoll, für ſeine Verge-
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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769], S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/19>, abgerufen am 21.11.2024.
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