Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769].

Bild:
<< vorherige Seite

dem einmal ein desto gemächlicheres Leben zu
versichern, den er itzt gezwungen, ein so unge-
mächliches zu ergreifen. Was ist hierinn, was
nicht hundert Väter thun würden? Meint aber
Diderot, daß das Eigene und Seltsame darinn
bestehe, daß Menedemus selbst hackt, selbst
gräbt, selbst ackert: so hat er wohl in der Eil
mehr an unsere neuere, als an die alten Sitten
gedacht. Ein reicher Vater itziger Zeit, würde
das freylich nicht so leicht thun: denn die wenig-
sten würden es zu thun verstehen. Aber die
wohlhabensten, vornehmsten Römer und Grie-
chen waren mit allen ländlichen Arbeiten be-
kannter, und schämten sich nicht, selbst Hand
anzulegen.

Doch alles sey, vollkommen wie es Diderot
sagt! Der Charakter des Selbstpeinigers sey
wegen des allzu Eigenthümlichen, wegen dieser
ihm fast nur allein zukommenden Falte, zu ei-
nem komischen Charakter so ungeschickt, als er
nur will. Wäre Diderot nicht in eben den
Fehler gefallen? Denn was kann eigenthümli-
cher seyn, als der Charakter seines Dorval?
Welcher Charakter kann mehr eine Falte haben,
die ihm nur allein zukömmt, als der Charakter
dieses natürlichen Sohnes? "Gleich nach mei-
"ner Geburt, läßt er ihn von sich selbst sagen,
"ward ich an einen Ort verschleidert, der die
"Grenze zwischen Einöde und Gesellschaft heis-

"sen
N n 3

dem einmal ein deſto gemächlicheres Leben zu
verſichern, den er itzt gezwungen, ein ſo unge-
mächliches zu ergreifen. Was iſt hierinn, was
nicht hundert Väter thun würden? Meint aber
Diderot, daß das Eigene und Seltſame darinn
beſtehe, daß Menedemus ſelbſt hackt, ſelbſt
gräbt, ſelbſt ackert: ſo hat er wohl in der Eil
mehr an unſere neuere, als an die alten Sitten
gedacht. Ein reicher Vater itziger Zeit, würde
das freylich nicht ſo leicht thun: denn die wenig-
ſten würden es zu thun verſtehen. Aber die
wohlhabenſten, vornehmſten Römer und Grie-
chen waren mit allen ländlichen Arbeiten be-
kannter, und ſchämten ſich nicht, ſelbſt Hand
anzulegen.

Doch alles ſey, vollkommen wie es Diderot
ſagt! Der Charakter des Selbſtpeinigers ſey
wegen des allzu Eigenthümlichen, wegen dieſer
ihm faſt nur allein zukommenden Falte, zu ei-
nem komiſchen Charakter ſo ungeſchickt, als er
nur will. Wäre Diderot nicht in eben den
Fehler gefallen? Denn was kann eigenthümli-
cher ſeyn, als der Charakter ſeines Dorval?
Welcher Charakter kann mehr eine Falte haben,
die ihm nur allein zukömmt, als der Charakter
dieſes natürlichen Sohnes? „Gleich nach mei-
„ner Geburt, läßt er ihn von ſich ſelbſt ſagen,
„ward ich an einen Ort verſchleidert, der die
„Grenze zwiſchen Einöde und Geſellſchaft heiſ-

„ſen
N n 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0291" n="285"/>
dem einmal ein de&#x017F;to gemächlicheres Leben zu<lb/>
ver&#x017F;ichern, den er itzt gezwungen, ein &#x017F;o unge-<lb/>
mächliches zu ergreifen. Was i&#x017F;t hierinn, was<lb/>
nicht hundert Väter thun würden? Meint aber<lb/>
Diderot, daß das Eigene und Selt&#x017F;ame darinn<lb/>
be&#x017F;tehe, daß Menedemus &#x017F;elb&#x017F;t hackt, &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
gräbt, &#x017F;elb&#x017F;t ackert: &#x017F;o hat er wohl in der Eil<lb/>
mehr an un&#x017F;ere neuere, als an die alten Sitten<lb/>
gedacht. Ein reicher Vater itziger Zeit, würde<lb/>
das freylich nicht &#x017F;o leicht thun: denn die wenig-<lb/>
&#x017F;ten würden es zu thun ver&#x017F;tehen. Aber die<lb/>
wohlhaben&#x017F;ten, vornehm&#x017F;ten Römer und Grie-<lb/>
chen waren mit allen ländlichen Arbeiten be-<lb/>
kannter, und &#x017F;chämten &#x017F;ich nicht, &#x017F;elb&#x017F;t Hand<lb/>
anzulegen.</p><lb/>
        <p>Doch alles &#x017F;ey, vollkommen wie es Diderot<lb/>
&#x017F;agt! Der Charakter des Selb&#x017F;tpeinigers &#x017F;ey<lb/>
wegen des allzu Eigenthümlichen, wegen die&#x017F;er<lb/>
ihm fa&#x017F;t nur allein zukommenden Falte, zu ei-<lb/>
nem komi&#x017F;chen Charakter &#x017F;o unge&#x017F;chickt, als er<lb/>
nur will. Wäre Diderot nicht in eben den<lb/>
Fehler gefallen? Denn was kann eigenthümli-<lb/>
cher &#x017F;eyn, als der Charakter &#x017F;eines Dorval?<lb/>
Welcher Charakter kann mehr eine Falte haben,<lb/>
die ihm nur allein zukömmt, als der Charakter<lb/>
die&#x017F;es natürlichen Sohnes? &#x201E;Gleich nach mei-<lb/>
&#x201E;ner Geburt, läßt er ihn von &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;agen,<lb/>
&#x201E;ward ich an einen Ort ver&#x017F;chleidert, der die<lb/>
&#x201E;Grenze zwi&#x017F;chen Einöde und Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft hei&#x017F;-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">N n 3</fw><fw place="bottom" type="catch">&#x201E;&#x017F;en</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[285/0291] dem einmal ein deſto gemächlicheres Leben zu verſichern, den er itzt gezwungen, ein ſo unge- mächliches zu ergreifen. Was iſt hierinn, was nicht hundert Väter thun würden? Meint aber Diderot, daß das Eigene und Seltſame darinn beſtehe, daß Menedemus ſelbſt hackt, ſelbſt gräbt, ſelbſt ackert: ſo hat er wohl in der Eil mehr an unſere neuere, als an die alten Sitten gedacht. Ein reicher Vater itziger Zeit, würde das freylich nicht ſo leicht thun: denn die wenig- ſten würden es zu thun verſtehen. Aber die wohlhabenſten, vornehmſten Römer und Grie- chen waren mit allen ländlichen Arbeiten be- kannter, und ſchämten ſich nicht, ſelbſt Hand anzulegen. Doch alles ſey, vollkommen wie es Diderot ſagt! Der Charakter des Selbſtpeinigers ſey wegen des allzu Eigenthümlichen, wegen dieſer ihm faſt nur allein zukommenden Falte, zu ei- nem komiſchen Charakter ſo ungeſchickt, als er nur will. Wäre Diderot nicht in eben den Fehler gefallen? Denn was kann eigenthümli- cher ſeyn, als der Charakter ſeines Dorval? Welcher Charakter kann mehr eine Falte haben, die ihm nur allein zukömmt, als der Charakter dieſes natürlichen Sohnes? „Gleich nach mei- „ner Geburt, läßt er ihn von ſich ſelbſt ſagen, „ward ich an einen Ort verſchleidert, der die „Grenze zwiſchen Einöde und Geſellſchaft heiſ- „ſen N n 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/291
Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769], S. 285. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/291>, abgerufen am 21.11.2024.