dem einmal ein desto gemächlicheres Leben zu versichern, den er itzt gezwungen, ein so unge- mächliches zu ergreifen. Was ist hierinn, was nicht hundert Väter thun würden? Meint aber Diderot, daß das Eigene und Seltsame darinn bestehe, daß Menedemus selbst hackt, selbst gräbt, selbst ackert: so hat er wohl in der Eil mehr an unsere neuere, als an die alten Sitten gedacht. Ein reicher Vater itziger Zeit, würde das freylich nicht so leicht thun: denn die wenig- sten würden es zu thun verstehen. Aber die wohlhabensten, vornehmsten Römer und Grie- chen waren mit allen ländlichen Arbeiten be- kannter, und schämten sich nicht, selbst Hand anzulegen.
Doch alles sey, vollkommen wie es Diderot sagt! Der Charakter des Selbstpeinigers sey wegen des allzu Eigenthümlichen, wegen dieser ihm fast nur allein zukommenden Falte, zu ei- nem komischen Charakter so ungeschickt, als er nur will. Wäre Diderot nicht in eben den Fehler gefallen? Denn was kann eigenthümli- cher seyn, als der Charakter seines Dorval? Welcher Charakter kann mehr eine Falte haben, die ihm nur allein zukömmt, als der Charakter dieses natürlichen Sohnes? "Gleich nach mei- "ner Geburt, läßt er ihn von sich selbst sagen, "ward ich an einen Ort verschleidert, der die "Grenze zwischen Einöde und Gesellschaft heis-
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dem einmal ein deſto gemächlicheres Leben zu verſichern, den er itzt gezwungen, ein ſo unge- mächliches zu ergreifen. Was iſt hierinn, was nicht hundert Väter thun würden? Meint aber Diderot, daß das Eigene und Seltſame darinn beſtehe, daß Menedemus ſelbſt hackt, ſelbſt gräbt, ſelbſt ackert: ſo hat er wohl in der Eil mehr an unſere neuere, als an die alten Sitten gedacht. Ein reicher Vater itziger Zeit, würde das freylich nicht ſo leicht thun: denn die wenig- ſten würden es zu thun verſtehen. Aber die wohlhabenſten, vornehmſten Römer und Grie- chen waren mit allen ländlichen Arbeiten be- kannter, und ſchämten ſich nicht, ſelbſt Hand anzulegen.
Doch alles ſey, vollkommen wie es Diderot ſagt! Der Charakter des Selbſtpeinigers ſey wegen des allzu Eigenthümlichen, wegen dieſer ihm faſt nur allein zukommenden Falte, zu ei- nem komiſchen Charakter ſo ungeſchickt, als er nur will. Wäre Diderot nicht in eben den Fehler gefallen? Denn was kann eigenthümli- cher ſeyn, als der Charakter ſeines Dorval? Welcher Charakter kann mehr eine Falte haben, die ihm nur allein zukömmt, als der Charakter dieſes natürlichen Sohnes? „Gleich nach mei- „ner Geburt, läßt er ihn von ſich ſelbſt ſagen, „ward ich an einen Ort verſchleidert, der die „Grenze zwiſchen Einöde und Geſellſchaft heiſ-
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dem einmal ein deſto gemächlicheres Leben zu
verſichern, den er itzt gezwungen, ein ſo unge-
mächliches zu ergreifen. Was iſt hierinn, was
nicht hundert Väter thun würden? Meint aber
Diderot, daß das Eigene und Seltſame darinn
beſtehe, daß Menedemus ſelbſt hackt, ſelbſt
gräbt, ſelbſt ackert: ſo hat er wohl in der Eil
mehr an unſere neuere, als an die alten Sitten
gedacht. Ein reicher Vater itziger Zeit, würde
das freylich nicht ſo leicht thun: denn die wenig-
ſten würden es zu thun verſtehen. Aber die
wohlhabenſten, vornehmſten Römer und Grie-
chen waren mit allen ländlichen Arbeiten be-
kannter, und ſchämten ſich nicht, ſelbſt Hand
anzulegen.
Doch alles ſey, vollkommen wie es Diderot
ſagt! Der Charakter des Selbſtpeinigers ſey
wegen des allzu Eigenthümlichen, wegen dieſer
ihm faſt nur allein zukommenden Falte, zu ei-
nem komiſchen Charakter ſo ungeſchickt, als er
nur will. Wäre Diderot nicht in eben den
Fehler gefallen? Denn was kann eigenthümli-
cher ſeyn, als der Charakter ſeines Dorval?
Welcher Charakter kann mehr eine Falte haben,
die ihm nur allein zukömmt, als der Charakter
dieſes natürlichen Sohnes? „Gleich nach mei-
„ner Geburt, läßt er ihn von ſich ſelbſt ſagen,
„ward ich an einen Ort verſchleidert, der die
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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769], S. 285. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/291>, abgerufen am 21.11.2024.
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