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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769].

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"denn erhellet, daß, wenn ich den tragischen
"Charakter partikular nenne, ich blos sa-
"gen will, daß er die Art, zu welcher er gehö-
"ret, weniger vorstellig macht, als der komi-
"sche; nicht aber, daß das, was man von dem
"Charakter zu zeigen für gut befindet, es mag
"nun so wenig seyn, als es will, nicht nach
"dem Allgemeinen entworfen seyn sollte,
"als wovon ich das Gegentheil anderwärts be-
"hauptet und umständlich erläutert habe. (*)

"Was zweytens die Komödie anbelangt,
"so habe ich gesagt, daß sie generale Cha-
"raktere geben müsse, und habe zum Beyspiele
"den Geitzigen des Moliere angeführt, der
"mehr der Jdee des Geitzes, als eines wirk-
"lichen geitzigen Mannes entspricht. Doch
"auch hier muß man meine Worte nicht in aller
"ihrer Strenge nehmen. Moliere dünkt mich

"in
(*) Bey den Versen der Horazischen Dichtkunst:
Respicere exemplar vitae morumque ju-
bebo Doctum imitatorem, & veras hinc
ducere voces,
wo Hurd zeiget, daß die
Wahrheit, welche Horaz hier verlangt,
einen solchen Ausdruck bedeute, als der all-
gemeinen Natur der Dinge gemäß ist;
Falschheit hingegen das heisse, was zwar
dem vorhabenden besondern Falle angemes-
sen, aber nicht mit jener allgemeinen Natur
übereinstimmend sey.

„denn erhellet, daß, wenn ich den tragiſchen
„Charakter partikular nenne, ich blos ſa-
„gen will, daß er die Art, zu welcher er gehö-
„ret, weniger vorſtellig macht, als der komi-
„ſche; nicht aber, daß das, was man von dem
„Charakter zu zeigen für gut befindet, es mag
„nun ſo wenig ſeyn, als es will, nicht nach
„dem Allgemeinen entworfen ſeyn ſollte,
„als wovon ich das Gegentheil anderwärts be-
„hauptet und umſtändlich erläutert habe. (*)

„Was zweytens die Komödie anbelangt,
„ſo habe ich geſagt, daß ſie generale Cha-
„raktere geben müſſe, und habe zum Beyſpiele
„den Geitzigen des Moliere angeführt, der
„mehr der Jdee des Geitzes, als eines wirk-
„lichen geitzigen Mannes entſpricht. Doch
„auch hier muß man meine Worte nicht in aller
„ihrer Strenge nehmen. Moliere dünkt mich

„in
(*) Bey den Verſen der Horaziſchen Dichtkunſt:
Reſpicere exemplar vitæ morumque ju-
bebo Doctum imitatorem, & veras hinc
ducere voces,
wo Hurd zeiget, daß die
Wahrheit, welche Horaz hier verlangt,
einen ſolchen Ausdruck bedeute, als der all-
gemeinen Natur der Dinge gemäß iſt;
Falſchheit hingegen das heiſſe, was zwar
dem vorhabenden beſondern Falle angemeſ-
ſen, aber nicht mit jener allgemeinen Natur
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[318/0324] „denn erhellet, daß, wenn ich den tragiſchen „Charakter partikular nenne, ich blos ſa- „gen will, daß er die Art, zu welcher er gehö- „ret, weniger vorſtellig macht, als der komi- „ſche; nicht aber, daß das, was man von dem „Charakter zu zeigen für gut befindet, es mag „nun ſo wenig ſeyn, als es will, nicht nach „dem Allgemeinen entworfen ſeyn ſollte, „als wovon ich das Gegentheil anderwärts be- „hauptet und umſtändlich erläutert habe. (*) „Was zweytens die Komödie anbelangt, „ſo habe ich geſagt, daß ſie generale Cha- „raktere geben müſſe, und habe zum Beyſpiele „den Geitzigen des Moliere angeführt, der „mehr der Jdee des Geitzes, als eines wirk- „lichen geitzigen Mannes entſpricht. Doch „auch hier muß man meine Worte nicht in aller „ihrer Strenge nehmen. Moliere dünkt mich „in (*) Bey den Verſen der Horaziſchen Dichtkunſt: Reſpicere exemplar vitæ morumque ju- bebo Doctum imitatorem, & veras hinc ducere voces, wo Hurd zeiget, daß die Wahrheit, welche Horaz hier verlangt, einen ſolchen Ausdruck bedeute, als der all- gemeinen Natur der Dinge gemäß iſt; Falſchheit hingegen das heiſſe, was zwar dem vorhabenden beſondern Falle angemeſ- ſen, aber nicht mit jener allgemeinen Natur übereinſtimmend ſey.

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Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769], S. 318. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/324>, abgerufen am 22.11.2024.