"fähig sind. Jst sie es, so kann die Ursache "keine andere seyn, als die ich angenommen: "daß nehmlich Sophokles seine Cha- "raktere so geschildert, als er, unzäh- "ligen von ihm beobachteten Beyspie- "len der nehmlichen Gattung zu Fol- "ge, glaubte, daß sie seyn sollten; Eu- "ripides aber so, als er in der enge- "ren Sphäre seiner Beobachtungen "erkannt hatte, daß sie wirklich wä- "ren. --
Vortrefflich! Auch unangesehen der Absicht, in welcher ich diese langen Stellen des Hurd angeführet habe, enthalten sie unstreitig so viel feine Bemerkungen, daß es mir der Leser wohl erlassen wird, mich wegen Einschaltung derselben zu entschuldigen. Jch besorge nur, daß er meine Absicht selbst darüber aus den Augen ver- loren. Sie war aber diese: zu zeigen, daß auch Hurd, so wie Diderot, der Tragödie besondere, und nur der Komödie allgemeine Charaktere zutheile, und dem ohngeachtet dem Aristoteles nicht widersprechen wolle, welcher das Allgemeine von allen poetischen Charakteren, und folglich auch von den tragischen verlanget. Hurd erklärt sich nehmlich so: der tragische Charakter müsse zwar partikular oder weniger allgemein seyn, als der komische, d. i. er müsse die Art, zu welcher er gehöre, weniger vorstel-
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„fähig ſind. Jſt ſie es, ſo kann die Urſache „keine andere ſeyn, als die ich angenommen: „daß nehmlich Sophokles ſeine Cha- „raktere ſo geſchildert, als er, unzäh- „ligen von ihm beobachteten Beyſpie- „len der nehmlichen Gattung zu Fol- „ge, glaubte, daß ſie ſeyn ſollten; Eu- „ripides aber ſo, als er in der enge- „ren Sphäre ſeiner Beobachtungen „erkannt hatte, daß ſie wirklich wä- „ren. —
Vortrefflich! Auch unangeſehen der Abſicht, in welcher ich dieſe langen Stellen des Hurd angeführet habe, enthalten ſie unſtreitig ſo viel feine Bemerkungen, daß es mir der Leſer wohl erlaſſen wird, mich wegen Einſchaltung derſelben zu entſchuldigen. Jch beſorge nur, daß er meine Abſicht ſelbſt darüber aus den Augen ver- loren. Sie war aber dieſe: zu zeigen, daß auch Hurd, ſo wie Diderot, der Tragödie beſondere, und nur der Komödie allgemeine Charaktere zutheile, und dem ohngeachtet dem Ariſtoteles nicht widerſprechen wolle, welcher das Allgemeine von allen poetiſchen Charakteren, und folglich auch von den tragiſchen verlanget. Hurd erklärt ſich nehmlich ſo: der tragiſche Charakter müſſe zwar partikular oder weniger allgemein ſeyn, als der komiſche, d. i. er müſſe die Art, zu welcher er gehöre, weniger vorſtel-
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„fähig ſind. Jſt ſie es, ſo kann die Urſache
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„daß nehmlich Sophokles ſeine Cha-
„raktere ſo geſchildert, als er, unzäh-
„ligen von ihm beobachteten Beyſpie-
„len der nehmlichen Gattung zu Fol-
„ge, glaubte, daß ſie ſeyn ſollten; Eu-
„ripides aber ſo, als er in der enge-
„ren Sphäre ſeiner Beobachtungen
„erkannt hatte, daß ſie wirklich wä-
„ren. —
Vortrefflich! Auch unangeſehen der Abſicht,
in welcher ich dieſe langen Stellen des Hurd
angeführet habe, enthalten ſie unſtreitig ſo viel
feine Bemerkungen, daß es mir der Leſer wohl
erlaſſen wird, mich wegen Einſchaltung derſelben
zu entſchuldigen. Jch beſorge nur, daß er
meine Abſicht ſelbſt darüber aus den Augen ver-
loren. Sie war aber dieſe: zu zeigen, daß
auch Hurd, ſo wie Diderot, der Tragödie
beſondere, und nur der Komödie allgemeine
Charaktere zutheile, und dem ohngeachtet dem
Ariſtoteles nicht widerſprechen wolle, welcher
das Allgemeine von allen poetiſchen Charakteren,
und folglich auch von den tragiſchen verlanget.
Hurd erklärt ſich nehmlich ſo: der tragiſche
Charakter müſſe zwar partikular oder weniger
allgemein ſeyn, als der komiſche, d. i. er müſſe
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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769], S. 341. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/347>, abgerufen am 22.11.2024.
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