Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769].

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>

Volk, dieses erste Volk in der Welt, wie es
sich selbst sehr bescheiden zu nennen pflegt, in
allem, was gut und schön und erhaben und an-
ständig ist, von dem gerechten Schicksale zu sei-
nem Antheile erhalten hat. --

Doch dieser Locus communis ist so abgedro-
schen, und die nähere Anwendung desselben
könnte leicht so bitter werden, daß ich lieber da-
von abbreche.

Jch war also genöthiget, anstatt der Schrit-
te, welche die Kunst des dramatischen Dichters
hier wirklich könnte gethan haben, mich bey de-
nen zu verweilen, die sie vorläufig thun müßte,
um sodann mit eins ihre Bahn mit desto schnel-
lern und größern zu durchlaufen. Es waren
die Schritte, welche ein Jrrender zurückgehen
muß, um wieder auf den rechten Weg zu gelan-
gen, und sein Ziel gerade in das Auge zu be-
kommen.

Seines Fleißes darf sich jedermann rühmen:
ich glaube, die dramatische Dichtkunst studiert
zu haben; sie mehr studiert zu haben, als zwan-
zig, die sie ausüben. Auch habe ich sie so weit
ausgeübet, als es nöthig ist, um mitsprechen zu
dürfen: denn ich weiß wohl, so wie der Mahler
sich von niemanden gern tadeln läßt, der den
Pinsel ganz und gar nicht zu führen weiß, so
auch der Dichter. Jch habe es wenigstens ver-
sucht, was er bewerkstelligen muß, und kann

von

Volk, dieſes erſte Volk in der Welt, wie es
ſich ſelbſt ſehr beſcheiden zu nennen pflegt, in
allem, was gut und ſchön und erhaben und an-
ſtändig iſt, von dem gerechten Schickſale zu ſei-
nem Antheile erhalten hat. —

Doch dieſer Locus communis iſt ſo abgedro-
ſchen, und die nähere Anwendung deſſelben
könnte leicht ſo bitter werden, daß ich lieber da-
von abbreche.

Jch war alſo genöthiget, anſtatt der Schrit-
te, welche die Kunſt des dramatiſchen Dichters
hier wirklich könnte gethan haben, mich bey de-
nen zu verweilen, die ſie vorläufig thun müßte,
um ſodann mit eins ihre Bahn mit deſto ſchnel-
lern und größern zu durchlaufen. Es waren
die Schritte, welche ein Jrrender zurückgehen
muß, um wieder auf den rechten Weg zu gelan-
gen, und ſein Ziel gerade in das Auge zu be-
kommen.

Seines Fleißes darf ſich jedermann rühmen:
ich glaube, die dramatiſche Dichtkunſt ſtudiert
zu haben; ſie mehr ſtudiert zu haben, als zwan-
zig, die ſie ausüben. Auch habe ich ſie ſo weit
ausgeübet, als es nöthig iſt, um mitſprechen zu
dürfen: denn ich weiß wohl, ſo wie der Mahler
ſich von niemanden gern tadeln läßt, der den
Pinſel ganz und gar nicht zu führen weiß, ſo
auch der Dichter. Jch habe es wenigſtens ver-
ſucht, was er bewerkſtelligen muß, und kann

von
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0401" n="395"/>
Volk, die&#x017F;es er&#x017F;te Volk in der Welt, wie es<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;ehr be&#x017F;cheiden zu nennen pflegt, in<lb/>
allem, was gut und &#x017F;chön und erhaben und an-<lb/>
&#x017F;tändig i&#x017F;t, von dem gerechten Schick&#x017F;ale zu &#x017F;ei-<lb/>
nem Antheile erhalten hat. &#x2014;</p><lb/>
        <p>Doch die&#x017F;er Locus communis i&#x017F;t &#x017F;o abgedro-<lb/>
&#x017F;chen, und die nähere Anwendung de&#x017F;&#x017F;elben<lb/>
könnte leicht &#x017F;o bitter werden, daß ich lieber da-<lb/>
von abbreche.</p><lb/>
        <p>Jch war al&#x017F;o genöthiget, an&#x017F;tatt der Schrit-<lb/>
te, welche die Kun&#x017F;t des dramati&#x017F;chen Dichters<lb/>
hier wirklich könnte gethan haben, mich bey de-<lb/>
nen zu verweilen, die &#x017F;ie vorläufig thun müßte,<lb/>
um &#x017F;odann mit eins ihre Bahn mit de&#x017F;to &#x017F;chnel-<lb/>
lern und größern zu durchlaufen. Es waren<lb/>
die Schritte, welche ein Jrrender zurückgehen<lb/>
muß, um wieder auf den rechten Weg zu gelan-<lb/>
gen, und &#x017F;ein Ziel gerade in das Auge zu be-<lb/>
kommen.</p><lb/>
        <p>Seines Fleißes darf &#x017F;ich jedermann rühmen:<lb/>
ich glaube, die dramati&#x017F;che Dichtkun&#x017F;t &#x017F;tudiert<lb/>
zu haben; &#x017F;ie mehr &#x017F;tudiert zu haben, als zwan-<lb/>
zig, die &#x017F;ie ausüben. Auch habe ich &#x017F;ie &#x017F;o weit<lb/>
ausgeübet, als es nöthig i&#x017F;t, um mit&#x017F;prechen zu<lb/>
dürfen: denn ich weiß wohl, &#x017F;o wie der Mahler<lb/>
&#x017F;ich von niemanden gern tadeln läßt, der den<lb/>
Pin&#x017F;el ganz und gar nicht zu führen weiß, &#x017F;o<lb/>
auch der Dichter. Jch habe es wenig&#x017F;tens ver-<lb/>
&#x017F;ucht, was er bewerk&#x017F;telligen muß, und kann<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">von</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[395/0401] Volk, dieſes erſte Volk in der Welt, wie es ſich ſelbſt ſehr beſcheiden zu nennen pflegt, in allem, was gut und ſchön und erhaben und an- ſtändig iſt, von dem gerechten Schickſale zu ſei- nem Antheile erhalten hat. — Doch dieſer Locus communis iſt ſo abgedro- ſchen, und die nähere Anwendung deſſelben könnte leicht ſo bitter werden, daß ich lieber da- von abbreche. Jch war alſo genöthiget, anſtatt der Schrit- te, welche die Kunſt des dramatiſchen Dichters hier wirklich könnte gethan haben, mich bey de- nen zu verweilen, die ſie vorläufig thun müßte, um ſodann mit eins ihre Bahn mit deſto ſchnel- lern und größern zu durchlaufen. Es waren die Schritte, welche ein Jrrender zurückgehen muß, um wieder auf den rechten Weg zu gelan- gen, und ſein Ziel gerade in das Auge zu be- kommen. Seines Fleißes darf ſich jedermann rühmen: ich glaube, die dramatiſche Dichtkunſt ſtudiert zu haben; ſie mehr ſtudiert zu haben, als zwan- zig, die ſie ausüben. Auch habe ich ſie ſo weit ausgeübet, als es nöthig iſt, um mitſprechen zu dürfen: denn ich weiß wohl, ſo wie der Mahler ſich von niemanden gern tadeln läßt, der den Pinſel ganz und gar nicht zu führen weiß, ſo auch der Dichter. Jch habe es wenigſtens ver- ſucht, was er bewerkſtelligen muß, und kann von

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/401
Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769], S. 395. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/401>, abgerufen am 18.12.2024.