Lessing, Gotthold Ephraim: Emilia Galotti. Berlin, 1772.Emilia Galotti. Odoardo. Wenn ich dir ihn nun gebe -- da! (giebt ihr ihn.) Emilia. Und da! (im Begriffe sich damit zu durch- stoßen, reißt der Vater ihr ihn wieder aus der Hand.) Odoardo. Sieh, wie rasch! -- Nein, das ist nicht für deine Hand. Emilia. Es ist wahr, mit einer Haarnadel soll ich. -- (sie fährt mit der Hand nach dem Haare, eine zu suchen, und bekommt die Rose zu fassen.) Du noch hier? -- Herunter mit dir! Du gehörest nicht in das Haar einer, -- wie mein Vater will, daß ich werden soll! Odoardo. O, meine Tochter! -- Emilia. O, mein Vater, wenn ich Sie er- riethe! Doch nein; das wollen Sie auch nicht. Warum zanderten Sie sonst? -- (in einem bittern Tone, während daß sie die Rose zerpflückt) Ehedem wohl gab es einen Vater, der seine Tochter von der Schande zu retten, ihr den ersten den besten Stahl in das Herz senkte -- ihr zum zweyten das Leben gab. Aber alle solche Thaten sind von ehedem! Solcher Väter giebt es keinen mehr! Odoardo. Doch, meine Tochter, doch! (in- dem er sie durchsticht.) -- Gott, was hab-- ich gethan! (sie will sinken und er faßt sie in seine Arme.) Emilia.
Emilia Galotti. Odoardo. Wenn ich dir ihn nun gebe — da! (giebt ihr ihn.) Emilia. Und da! (im Begriffe ſich damit zu durch- ſtoßen, reißt der Vater ihr ihn wieder aus der Hand.) Odoardo. Sieh, wie raſch! — Nein, das iſt nicht fuͤr deine Hand. Emilia. Es iſt wahr, mit einer Haarnadel ſoll ich. — (ſie faͤhrt mit der Hand nach dem Haare, eine zu ſuchen, und bekommt die Roſe zu faſſen.) Du noch hier? — Herunter mit dir! Du gehoͤreſt nicht in das Haar einer, — wie mein Vater will, daß ich werden ſoll! Odoardo. O, meine Tochter! — Emilia. O, mein Vater, wenn ich Sie er- riethe! Doch nein; das wollen Sie auch nicht. Warum zanderten Sie ſonſt? — (in einem bittern Tone, waͤhrend daß ſie die Roſe zerpfluͤckt) Ehedem wohl gab es einen Vater, der ſeine Tochter von der Schande zu retten, ihr den erſten den beſten Stahl in das Herz ſenkte — ihr zum zweyten das Leben gab. Aber alle ſolche Thaten ſind von ehedem! Solcher Vaͤter giebt es keinen mehr! Odoardo. Doch, meine Tochter, doch! (in- dem er ſie durchſticht.) — Gott, was hab— ich gethan! (ſie will ſinken und er faßt ſie in ſeine Arme.) Emilia.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0154" n="150"/> <fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Emilia Galotti</hi>.</fw><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <sp who="#ODO"> <speaker> <hi rendition="#fr">Odoardo.</hi> </speaker> <p>Wenn ich dir ihn nun gebe —<lb/> da!</p> <stage>(giebt ihr ihn.)</stage> </sp><lb/> <sp who="#EMI"> <speaker> <hi rendition="#fr">Emilia.</hi> </speaker> <p>Und da! <stage>(im Begriffe ſich damit zu durch-<lb/> ſtoßen, reißt der Vater ihr ihn wieder aus der Hand.)</stage></p> </sp><lb/> <sp who="#ODO"> <speaker> <hi rendition="#fr">Odoardo.</hi> </speaker> <p>Sieh, wie raſch! — Nein, das<lb/> iſt nicht fuͤr deine Hand.</p> </sp><lb/> <sp who="#EMI"> <speaker> <hi rendition="#fr">Emilia.</hi> </speaker> <p>Es iſt wahr, mit einer Haarnadel<lb/> ſoll ich. — <stage>(ſie faͤhrt mit der Hand nach dem Haare,<lb/> eine zu ſuchen, und bekommt die Roſe zu faſſen.)</stage> Du<lb/> noch hier? — Herunter mit dir! Du gehoͤreſt<lb/> nicht in das Haar einer, — wie mein Vater will,<lb/> daß ich werden ſoll!</p> </sp><lb/> <sp who="#ODO"> <speaker> <hi rendition="#fr">Odoardo.</hi> </speaker> <p>O, meine Tochter! —</p> </sp><lb/> <sp who="#EMI"> <speaker> <hi rendition="#fr">Emilia.</hi> </speaker> <p>O, mein Vater, wenn ich Sie er-<lb/> riethe! Doch nein; das wollen Sie auch nicht.<lb/> Warum zanderten Sie ſonſt? — <stage>(in einem bittern<lb/> Tone, waͤhrend daß ſie die Roſe zerpfluͤckt)</stage> Ehedem wohl<lb/> gab es einen Vater, der ſeine Tochter von der<lb/> Schande zu retten, ihr den erſten den beſten Stahl<lb/> in das Herz ſenkte — ihr zum zweyten das Leben<lb/> gab. Aber alle ſolche Thaten ſind von ehedem!<lb/> Solcher Vaͤter giebt es keinen mehr!</p> </sp><lb/> <sp who="#ODO"> <speaker> <hi rendition="#fr">Odoardo.</hi> </speaker> <p>Doch, meine Tochter, doch! <stage>(in-<lb/> dem er ſie durchſticht.)</stage> — Gott, was hab— ich gethan!</p><lb/> <stage>(ſie will ſinken und er faßt ſie in ſeine Arme.)</stage> </sp><lb/> <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#fr">Emilia.</hi> </fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [150/0154]
Emilia Galotti.
Odoardo. Wenn ich dir ihn nun gebe —
da! (giebt ihr ihn.)
Emilia. Und da! (im Begriffe ſich damit zu durch-
ſtoßen, reißt der Vater ihr ihn wieder aus der Hand.)
Odoardo. Sieh, wie raſch! — Nein, das
iſt nicht fuͤr deine Hand.
Emilia. Es iſt wahr, mit einer Haarnadel
ſoll ich. — (ſie faͤhrt mit der Hand nach dem Haare,
eine zu ſuchen, und bekommt die Roſe zu faſſen.) Du
noch hier? — Herunter mit dir! Du gehoͤreſt
nicht in das Haar einer, — wie mein Vater will,
daß ich werden ſoll!
Odoardo. O, meine Tochter! —
Emilia. O, mein Vater, wenn ich Sie er-
riethe! Doch nein; das wollen Sie auch nicht.
Warum zanderten Sie ſonſt? — (in einem bittern
Tone, waͤhrend daß ſie die Roſe zerpfluͤckt) Ehedem wohl
gab es einen Vater, der ſeine Tochter von der
Schande zu retten, ihr den erſten den beſten Stahl
in das Herz ſenkte — ihr zum zweyten das Leben
gab. Aber alle ſolche Thaten ſind von ehedem!
Solcher Vaͤter giebt es keinen mehr!
Odoardo. Doch, meine Tochter, doch! (in-
dem er ſie durchſticht.) — Gott, was hab— ich gethan!
(ſie will ſinken und er faßt ſie in ſeine Arme.)
Emilia.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |