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Lessing, Gotthold Ephraim: Fabeln. Berlin, 1759.

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müßte man es anfangen, daß die itztberührten Un-
bequemlichkeiten dieser Länge wegfielen? Wie müßte
unser Reinicke Fuchs aussehen, wenn ihm der
Name eines aesopischen Heldengedichts zukommen
sollte? Mein Einfall war dieser: Vors erste müßte
nur ein einziger moralischer Satz in dem Ganzen
zum Grunde liegen; vors zweyte müßten die vie-
len und mannigfaltigen Theile dieses Ganzen, unter
gewisse Haupttheile gebracht werden, damit man sie
wenigstens in diesen Haupttheilen auf einmal über-
sehen könnte; vors dritte müßte jeder dieser Haupt-
theile ein besonders Ganze, eine für sich bestehende
Fabel seyn können, damit das grosse Ganze aus
gleichartigen Theilen bestünde. Es müßte, um alles
zusammenzunehmen, der allgemeine moralische Satz
in seine einzelne Begriffe aufgelöset werden; jeder
von diesen einzelnen Begriffen müßte in einer beson-
dern Fabel zur Intuition gebracht werden, und alle
diese besondern Fabeln müßten zusammen nur eine
einzige Fabel ausmachen. Wie wenig hat der Rei-
nicke Fuchs
von diesen Requisitis! Am besten also,
ich mache selbst die Probe, ob sich mein Einfall auch

wirklich

müßte man es anfangen, daß die itztberührten Un-
bequemlichkeiten dieſer Länge wegfielen? Wie müßte
unſer Reinicke Fuchs ausſehen, wenn ihm der
Name eines aeſopiſchen Heldengedichts zukommen
ſollte? Mein Einfall war dieſer: Vors erſte müßte
nur ein einziger moraliſcher Satz in dem Ganzen
zum Grunde liegen; vors zweyte müßten die vie-
len und mannigfaltigen Theile dieſes Ganzen, unter
gewiſſe Haupttheile gebracht werden, damit man ſie
wenigſtens in dieſen Haupttheilen auf einmal über-
ſehen könnte; vors dritte müßte jeder dieſer Haupt-
theile ein beſonders Ganze, eine für ſich beſtehende
Fabel ſeyn können, damit das groſſe Ganze aus
gleichartigen Theilen beſtünde. Es müßte, um alles
zuſammenzunehmen, der allgemeine moraliſche Satz
in ſeine einzelne Begriffe aufgelöſet werden; jeder
von dieſen einzelnen Begriffen müßte in einer beſon-
dern Fabel zur Intuition gebracht werden, und alle
dieſe beſondern Fabeln müßten zuſammen nur eine
einzige Fabel ausmachen. Wie wenig hat der Rei-
nicke Fuchs
von dieſen Requiſitis! Am beſten alſo,
ich mache ſelbſt die Probe, ob ſich mein Einfall auch

wirklich
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[214/0234] müßte man es anfangen, daß die itztberührten Un- bequemlichkeiten dieſer Länge wegfielen? Wie müßte unſer Reinicke Fuchs ausſehen, wenn ihm der Name eines aeſopiſchen Heldengedichts zukommen ſollte? Mein Einfall war dieſer: Vors erſte müßte nur ein einziger moraliſcher Satz in dem Ganzen zum Grunde liegen; vors zweyte müßten die vie- len und mannigfaltigen Theile dieſes Ganzen, unter gewiſſe Haupttheile gebracht werden, damit man ſie wenigſtens in dieſen Haupttheilen auf einmal über- ſehen könnte; vors dritte müßte jeder dieſer Haupt- theile ein beſonders Ganze, eine für ſich beſtehende Fabel ſeyn können, damit das groſſe Ganze aus gleichartigen Theilen beſtünde. Es müßte, um alles zuſammenzunehmen, der allgemeine moraliſche Satz in ſeine einzelne Begriffe aufgelöſet werden; jeder von dieſen einzelnen Begriffen müßte in einer beſon- dern Fabel zur Intuition gebracht werden, und alle dieſe beſondern Fabeln müßten zuſammen nur eine einzige Fabel ausmachen. Wie wenig hat der Rei- nicke Fuchs von dieſen Requiſitis! Am beſten alſo, ich mache ſelbſt die Probe, ob ſich mein Einfall auch wirklich

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Zitationshilfe: Lessing, Gotthold Ephraim: Fabeln. Berlin, 1759, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_fabeln_1759/234>, abgerufen am 24.11.2024.