Lewald, Fanny: Für und wider die Frauen. Berlin, 1870.um damit jeden Schein der Selbständigkeit, die an und für sich als eine Anmaßung angesehen wurde, von uns abzulehnen. Dabei war es aber auffallend genug, daß alle diese Anforderungen an eine besondere Weiblichkeit sich nur auf die Töchter und Frauen der wohlhabenden und der mehr oder weniger gebildeten Stände bezogen. Man gab damit entweder ohne Weiteres die weiblichen Tugenden der armen und nichtunterrichteten Frauen Preis, was eben nicht besonders christlich, sondern grausam war; oder man nahm an, daß die armen und ununterrichteten Frauen ihre Weiblichkeit in der Berührung mit dem Leben besser zu behaupten verständen, als die Gebildeten. Denn unsere ärmeren Mitschwestern durften und mußten auf unseren Befehl uns unbegleitet nachkommen, wenn wir ihrer Dienste auf der Reise irgendwo benöthigt waren; sie mußten bei Tag und Nacht die Straße unbeschützt betreten, wenn wir es ihnen geboten; sie mußten in die Häuser gehen, in die wir sie schickten; sie mußten an dem Krankenbette von Männern die nothwendigen Hülfsleistungen übernehmen, und die Frauen der arbeitenden Stände waren von jeher sammt und sonders in der Lage, auf ihren Broderwerb zu denken; ihnen standen, weil die Nothwendigkeit dies forderte, keine wesentlichen Hindernisse oder Vorurtheile dabei im Wege. Sie waren Näherinnen, Wäscherinnen, Putzmacherinnen, Krankenwärterinnen, Hebeammen; sie trieben allerlei Kleinkram und um damit jeden Schein der Selbständigkeit, die an und für sich als eine Anmaßung angesehen wurde, von uns abzulehnen. Dabei war es aber auffallend genug, daß alle diese Anforderungen an eine besondere Weiblichkeit sich nur auf die Töchter und Frauen der wohlhabenden und der mehr oder weniger gebildeten Stände bezogen. Man gab damit entweder ohne Weiteres die weiblichen Tugenden der armen und nichtunterrichteten Frauen Preis, was eben nicht besonders christlich, sondern grausam war; oder man nahm an, daß die armen und ununterrichteten Frauen ihre Weiblichkeit in der Berührung mit dem Leben besser zu behaupten verständen, als die Gebildeten. Denn unsere ärmeren Mitschwestern durften und mußten auf unseren Befehl uns unbegleitet nachkommen, wenn wir ihrer Dienste auf der Reise irgendwo benöthigt waren; sie mußten bei Tag und Nacht die Straße unbeschützt betreten, wenn wir es ihnen geboten; sie mußten in die Häuser gehen, in die wir sie schickten; sie mußten an dem Krankenbette von Männern die nothwendigen Hülfsleistungen übernehmen, und die Frauen der arbeitenden Stände waren von jeher sammt und sonders in der Lage, auf ihren Broderwerb zu denken; ihnen standen, weil die Nothwendigkeit dies forderte, keine wesentlichen Hindernisse oder Vorurtheile dabei im Wege. Sie waren Näherinnen, Wäscherinnen, Putzmacherinnen, Krankenwärterinnen, Hebeammen; sie trieben allerlei Kleinkram und <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0108" n="98"/> um damit jeden Schein der Selbständigkeit, die an und für sich als eine Anmaßung angesehen wurde, von uns abzulehnen.</p> <p>Dabei war es aber auffallend genug, daß alle diese Anforderungen an eine besondere Weiblichkeit sich nur auf die Töchter und Frauen der wohlhabenden und der mehr oder weniger gebildeten Stände bezogen. Man gab damit entweder ohne Weiteres die weiblichen Tugenden der armen und nichtunterrichteten Frauen Preis, was eben nicht besonders christlich, sondern grausam war; oder man nahm an, daß die armen und ununterrichteten Frauen ihre Weiblichkeit in der Berührung mit dem Leben besser zu behaupten verständen, als die Gebildeten. Denn unsere ärmeren Mitschwestern durften und mußten auf unseren Befehl uns unbegleitet nachkommen, wenn wir ihrer Dienste auf der Reise irgendwo benöthigt waren; sie mußten bei Tag und Nacht die Straße unbeschützt betreten, wenn wir es ihnen geboten; sie mußten in die Häuser gehen, in die wir sie schickten; sie mußten an dem Krankenbette von Männern die nothwendigen Hülfsleistungen übernehmen, und die Frauen der arbeitenden Stände waren von jeher sammt und sonders in der Lage, auf ihren Broderwerb zu denken; ihnen standen, weil die Nothwendigkeit dies forderte, keine wesentlichen Hindernisse oder Vorurtheile dabei im Wege. Sie waren Näherinnen, Wäscherinnen, Putzmacherinnen, Krankenwärterinnen, Hebeammen; sie trieben allerlei Kleinkram und </p> </div> </body> </text> </TEI> [98/0108]
um damit jeden Schein der Selbständigkeit, die an und für sich als eine Anmaßung angesehen wurde, von uns abzulehnen.
Dabei war es aber auffallend genug, daß alle diese Anforderungen an eine besondere Weiblichkeit sich nur auf die Töchter und Frauen der wohlhabenden und der mehr oder weniger gebildeten Stände bezogen. Man gab damit entweder ohne Weiteres die weiblichen Tugenden der armen und nichtunterrichteten Frauen Preis, was eben nicht besonders christlich, sondern grausam war; oder man nahm an, daß die armen und ununterrichteten Frauen ihre Weiblichkeit in der Berührung mit dem Leben besser zu behaupten verständen, als die Gebildeten. Denn unsere ärmeren Mitschwestern durften und mußten auf unseren Befehl uns unbegleitet nachkommen, wenn wir ihrer Dienste auf der Reise irgendwo benöthigt waren; sie mußten bei Tag und Nacht die Straße unbeschützt betreten, wenn wir es ihnen geboten; sie mußten in die Häuser gehen, in die wir sie schickten; sie mußten an dem Krankenbette von Männern die nothwendigen Hülfsleistungen übernehmen, und die Frauen der arbeitenden Stände waren von jeher sammt und sonders in der Lage, auf ihren Broderwerb zu denken; ihnen standen, weil die Nothwendigkeit dies forderte, keine wesentlichen Hindernisse oder Vorurtheile dabei im Wege. Sie waren Näherinnen, Wäscherinnen, Putzmacherinnen, Krankenwärterinnen, Hebeammen; sie trieben allerlei Kleinkram und
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