ich hier eintrat, und mir so wohl und behaglich wurde in unserm Hause, wie selig die Arme sein könnte, in einem Kreise, wie dieser?"
"Und wer ist die Arme mit dem schönen Herzen?" fragte Jenny schnell.
"Ein Mädchen, das diese indiscrete Frage niemals gemacht hätte", antwortete Eduard, und fuhr dann fort: "In den Jahren, die ich hier prakticire, ist es mir aufgefallen, wie die glücklichsten Ehen, die höchste Sorgfalt der El- tern für ihre Kinder bei den Juden viel ge- wöhnlicher sind, als in den Christenfamilien. Auch steht die Zahl der Scheidungen, wie mir ein Jurist sagte, bei den beiden Confessionen in gar keinem Verhältniß, da eine Scheidung der Ehe bei den Juden fast zu den Seltenheiten gehört."
"Das ist allerdings merkwürdig", meinte Jenny, "denn bei den Juden ist die Heirath doch oft nur eine Familienverabredung, von der
ich hier eintrat, und mir ſo wohl und behaglich wurde in unſerm Hauſe, wie ſelig die Arme ſein könnte, in einem Kreiſe, wie dieſer?“
„Und wer iſt die Arme mit dem ſchönen Herzen?“ fragte Jenny ſchnell.
„Ein Mädchen, das dieſe indiscrete Frage niemals gemacht hätte“, antwortete Eduard, und fuhr dann fort: „In den Jahren, die ich hier prakticire, iſt es mir aufgefallen, wie die glücklichſten Ehen, die höchſte Sorgfalt der El- tern für ihre Kinder bei den Juden viel ge- wöhnlicher ſind, als in den Chriſtenfamilien. Auch ſteht die Zahl der Scheidungen, wie mir ein Juriſt ſagte, bei den beiden Confeſſionen in gar keinem Verhältniß, da eine Scheidung der Ehe bei den Juden faſt zu den Seltenheiten gehört.“
„Das iſt allerdings merkwürdig“, meinte Jenny, „denn bei den Juden iſt die Heirath doch oft nur eine Familienverabredung, von der
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0147"n="135"/>
ich hier eintrat, und mir ſo wohl und behaglich<lb/>
wurde in unſerm Hauſe, wie ſelig die Arme<lb/>ſein könnte, in einem Kreiſe, wie dieſer?“</p><lb/><p>„Und wer iſt die Arme mit dem ſchönen<lb/>
Herzen?“ fragte Jenny ſchnell.</p><lb/><p>„Ein Mädchen, das dieſe indiscrete Frage<lb/>
niemals gemacht hätte“, antwortete Eduard,<lb/>
und fuhr dann fort: „In den Jahren, die ich<lb/>
hier prakticire, iſt es mir aufgefallen, wie die<lb/>
glücklichſten Ehen, die höchſte Sorgfalt der El-<lb/>
tern für ihre Kinder bei den Juden viel ge-<lb/>
wöhnlicher ſind, als in den Chriſtenfamilien.<lb/>
Auch ſteht die Zahl der Scheidungen, wie mir<lb/>
ein Juriſt ſagte, bei den beiden Confeſſionen<lb/>
in gar keinem Verhältniß, da eine Scheidung<lb/>
der Ehe bei den Juden faſt zu den Seltenheiten<lb/>
gehört.“</p><lb/><p>„Das iſt allerdings merkwürdig“, meinte<lb/>
Jenny, „denn bei den Juden iſt die Heirath<lb/>
doch oft nur eine Familienverabredung, von der<lb/></p></div></body></text></TEI>
[135/0147]
ich hier eintrat, und mir ſo wohl und behaglich
wurde in unſerm Hauſe, wie ſelig die Arme
ſein könnte, in einem Kreiſe, wie dieſer?“
„Und wer iſt die Arme mit dem ſchönen
Herzen?“ fragte Jenny ſchnell.
„Ein Mädchen, das dieſe indiscrete Frage
niemals gemacht hätte“, antwortete Eduard,
und fuhr dann fort: „In den Jahren, die ich
hier prakticire, iſt es mir aufgefallen, wie die
glücklichſten Ehen, die höchſte Sorgfalt der El-
tern für ihre Kinder bei den Juden viel ge-
wöhnlicher ſind, als in den Chriſtenfamilien.
Auch ſteht die Zahl der Scheidungen, wie mir
ein Juriſt ſagte, bei den beiden Confeſſionen
in gar keinem Verhältniß, da eine Scheidung
der Ehe bei den Juden faſt zu den Seltenheiten
gehört.“
„Das iſt allerdings merkwürdig“, meinte
Jenny, „denn bei den Juden iſt die Heirath
doch oft nur eine Familienverabredung, von der
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 1. Leipzig, 1843, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny01_1843/147>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.