Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 1. Leipzig, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite

in jede Hand eins derselben, und sprach in
affectirter Traurigkeit: "Auf das U folgt gleich
das Weh, das ist die Ordnung im ABC --
auf jeden Augenblick voll Wonne eine Ewigkeit
von langer Weile, denn ich schwöre Euch! die
rechte, wahrhafte Ewigkeit wird erst recht lang-
weilig sein -- auf jede liebenswürdige Sünde
folgt bei Euch eine unausstehliche Bußfertigkeit.
Anathema! über das ausgeartete Geschlecht, das
nicht begreift, wie man sündigt aus süßer, in-
niger Ueberzeugung; dem nur en passant ein
kleines, bornirtes Sündchen in den Weg kommt,
und das nie jenes großartige Gebet des edlen
Russen begriff und gläubig zu beten vermochte:
"Dieu, envoye moi des tentations afin que j'y
succombe!"
-- Hier stehe ich allein, ich fühle
es, in einer verderbten Zeit, in der mich Nie-
mand versteht, und so muß ich für mich allein
mir den Toast ausbringen: Gott erhalte mich
in meiner geliebten Sündhaftigkeit, worauf ich

in jede Hand eins derſelben, und ſprach in
affectirter Traurigkeit: „Auf das U folgt gleich
das Weh, das iſt die Ordnung im ABC
auf jeden Augenblick voll Wonne eine Ewigkeit
von langer Weile, denn ich ſchwöre Euch! die
rechte, wahrhafte Ewigkeit wird erſt recht lang-
weilig ſein — auf jede liebenswürdige Sünde
folgt bei Euch eine unausſtehliche Bußfertigkeit.
Anathema! über das ausgeartete Geſchlecht, das
nicht begreift, wie man ſündigt aus ſüßer, in-
niger Ueberzeugung; dem nur en passant ein
kleines, bornirtes Sündchen in den Weg kommt,
und das nie jenes großartige Gebet des edlen
Ruſſen begriff und gläubig zu beten vermochte:
„Dieu, envoye moi des tentations afin que j'y
succombe!“
— Hier ſtehe ich allein, ich fühle
es, in einer verderbten Zeit, in der mich Nie-
mand verſteht, und ſo muß ich für mich allein
mir den Toaſt ausbringen: Gott erhalte mich
in meiner geliebten Sündhaftigkeit, worauf ich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0028" n="16"/>
in jede Hand eins der&#x017F;elben, und &#x017F;prach in<lb/>
affectirter Traurigkeit: &#x201E;Auf das U folgt gleich<lb/>
das Weh, das i&#x017F;t die Ordnung im <hi rendition="#g">ABC</hi> &#x2014;<lb/>
auf jeden Augenblick voll Wonne eine Ewigkeit<lb/>
von langer Weile, denn ich &#x017F;chwöre Euch! die<lb/>
rechte, wahrhafte Ewigkeit wird er&#x017F;t recht lang-<lb/>
weilig &#x017F;ein &#x2014; auf jede liebenswürdige Sünde<lb/>
folgt bei Euch eine unaus&#x017F;tehliche Bußfertigkeit.<lb/>
Anathema! über das ausgeartete Ge&#x017F;chlecht, das<lb/>
nicht begreift, wie man &#x017F;ündigt aus &#x017F;üßer, in-<lb/>
niger Ueberzeugung; dem nur <hi rendition="#aq"><hi rendition="#b">en passant</hi></hi> ein<lb/>
kleines, bornirtes Sündchen in den Weg kommt,<lb/>
und das nie jenes großartige Gebet des edlen<lb/>
Ru&#x017F;&#x017F;en begriff und gläubig zu beten vermochte:<lb/><hi rendition="#aq"><hi rendition="#b">&#x201E;Dieu, envoye moi des tentations afin que j'y<lb/>
succombe!&#x201C;</hi></hi> &#x2014; Hier &#x017F;tehe ich allein, ich fühle<lb/>
es, in einer verderbten Zeit, in der mich Nie-<lb/>
mand ver&#x017F;teht, und &#x017F;o muß ich für mich allein<lb/>
mir den Toa&#x017F;t ausbringen: Gott erhalte mich<lb/>
in meiner geliebten Sündhaftigkeit, worauf ich<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[16/0028] in jede Hand eins derſelben, und ſprach in affectirter Traurigkeit: „Auf das U folgt gleich das Weh, das iſt die Ordnung im ABC — auf jeden Augenblick voll Wonne eine Ewigkeit von langer Weile, denn ich ſchwöre Euch! die rechte, wahrhafte Ewigkeit wird erſt recht lang- weilig ſein — auf jede liebenswürdige Sünde folgt bei Euch eine unausſtehliche Bußfertigkeit. Anathema! über das ausgeartete Geſchlecht, das nicht begreift, wie man ſündigt aus ſüßer, in- niger Ueberzeugung; dem nur en passant ein kleines, bornirtes Sündchen in den Weg kommt, und das nie jenes großartige Gebet des edlen Ruſſen begriff und gläubig zu beten vermochte: „Dieu, envoye moi des tentations afin que j'y succombe!“ — Hier ſtehe ich allein, ich fühle es, in einer verderbten Zeit, in der mich Nie- mand verſteht, und ſo muß ich für mich allein mir den Toaſt ausbringen: Gott erhalte mich in meiner geliebten Sündhaftigkeit, worauf ich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny01_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny01_1843/28
Zitationshilfe: Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 1. Leipzig, 1843, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny01_1843/28>, abgerufen am 21.11.2024.