"Können? mein Gott! können würde ich es schon -- aber ich will es gar nicht."
"Das ist es eben, was mich betrübt, mein Kind! -- Dies ewige ich will und ich will nicht, dies Unfügsame in Deinem Wesen, das ist es, was mich über Dich besorgt macht. Als Du geboren wurdest, und ich Dich auf meinem Schooße heranwachsen sah, habe ich oft zu Gott gebetet, er möge alles Unheil von Dir abwen- den. Bisher ist mein Gebet auf fast wunder- bare Weise erhört worden, und doch sehe ich es mit Schmerz, daß wir Menschen Gott eigentlich um nichts bitten dürfen, weil wir nicht wissen, was uns frommt."
"So hättest Du mir also lieber Unglück wünschen sollen?" -- fragte die Tochter lächelnd.
"Zu Deinem wahren Heile wäre es viel- leicht besser gewesen. Ich schloß von meinem Herzen auf das Deine, und darin irrte ich. In Dir ist der Charakter Deines Vaters, der feste,
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„Können? mein Gott! können würde ich es ſchon — aber ich will es gar nicht.“
„Das iſt es eben, was mich betrübt, mein Kind! — Dies ewige ich will und ich will nicht, dies Unfügſame in Deinem Weſen, das iſt es, was mich über Dich beſorgt macht. Als Du geboren wurdeſt, und ich Dich auf meinem Schooße heranwachſen ſah, habe ich oft zu Gott gebetet, er möge alles Unheil von Dir abwen- den. Bisher iſt mein Gebet auf faſt wunder- bare Weiſe erhört worden, und doch ſehe ich es mit Schmerz, daß wir Menſchen Gott eigentlich um nichts bitten dürfen, weil wir nicht wiſſen, was uns frommt.“
„So hätteſt Du mir alſo lieber Unglück wünſchen ſollen?“ — fragte die Tochter lächelnd.
„Zu Deinem wahren Heile wäre es viel- leicht beſſer geweſen. Ich ſchloß von meinem Herzen auf das Deine, und darin irrte ich. In Dir iſt der Charakter Deines Vaters, der feſte,
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„Können? mein Gott! können würde ich
es ſchon — aber ich will es gar nicht.“
„Das iſt es eben, was mich betrübt, mein
Kind! — Dies ewige ich will und ich will
nicht, dies Unfügſame in Deinem Weſen, das iſt
es, was mich über Dich beſorgt macht. Als Du
geboren wurdeſt, und ich Dich auf meinem
Schooße heranwachſen ſah, habe ich oft zu Gott
gebetet, er möge alles Unheil von Dir abwen-
den. Bisher iſt mein Gebet auf faſt wunder-
bare Weiſe erhört worden, und doch ſehe ich es
mit Schmerz, daß wir Menſchen Gott eigentlich
um nichts bitten dürfen, weil wir nicht wiſſen,
was uns frommt.“
„So hätteſt Du mir alſo lieber Unglück
wünſchen ſollen?“ — fragte die Tochter lächelnd.
„Zu Deinem wahren Heile wäre es viel-
leicht beſſer geweſen. Ich ſchloß von meinem
Herzen auf das Deine, und darin irrte ich. In
Dir iſt der Charakter Deines Vaters, der feſte,
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Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 1. Leipzig, 1843, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny01_1843/39>, abgerufen am 21.11.2024.
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