fentlich weinenden Augen, da Du erfährst, daß ich längst zum Thore hinaus bin, wenn ich Dir dies Lebewohl sage. Du kannst nicht behaup- ten, daß ich treulos desertire -- die lange und langweilige Campagne eines norddeutschen, nebel- grauen Winters habe ich voll rührender Geduld und lobenswerther Theilnahme mit Euch durch- gemacht; ich habe Eure steifgeschnürten, gebilde- ten Schönen tanzen gesehen, mich in hundert Gesellschaften gelangweilt und ruhig Eurem so- genannten vernünftigen Treiben und Wirken, Eurer Aesthetik und Politik, Euren Diners und Zweckessen, Euren Vereinen und all den tau- send Narrheiten zugeschaut und, was noch mehr ist, ich habe meine rechte Hand im Zaume ge- halten, die täglich sich in hundert Karikaturen zu zeigen verlangte. Die Karikatur aber ist ein Bastard der Kunst, ein unwürdiger Sohn, den die Mutter verleugnen muß, und zu dessen Vater ich mich und meinen ehrlichen Namen
fentlich weinenden Augen, da Du erfährſt, daß ich längſt zum Thore hinaus bin, wenn ich Dir dies Lebewohl ſage. Du kannſt nicht behaup- ten, daß ich treulos deſertire — die lange und langweilige Campagne eines norddeutſchen, nebel- grauen Winters habe ich voll rührender Geduld und lobenswerther Theilnahme mit Euch durch- gemacht; ich habe Eure ſteifgeſchnürten, gebilde- ten Schönen tanzen geſehen, mich in hundert Geſellſchaften gelangweilt und ruhig Eurem ſo- genannten vernünftigen Treiben und Wirken, Eurer Aeſthetik und Politik, Euren Diners und Zweckeſſen, Euren Vereinen und all den tau- ſend Narrheiten zugeſchaut und, was noch mehr iſt, ich habe meine rechte Hand im Zaume ge- halten, die täglich ſich in hundert Karikaturen zu zeigen verlangte. Die Karikatur aber iſt ein Baſtard der Kunſt, ein unwürdiger Sohn, den die Mutter verleugnen muß, und zu deſſen Vater ich mich und meinen ehrlichen Namen
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fentlich weinenden Augen, da Du erfährſt, daß
ich längſt zum Thore hinaus bin, wenn ich Dir
dies Lebewohl ſage. Du kannſt nicht behaup-
ten, daß ich treulos deſertire — die lange und
langweilige Campagne eines norddeutſchen, nebel-
grauen Winters habe ich voll rührender Geduld
und lobenswerther Theilnahme mit Euch durch-
gemacht; ich habe Eure ſteifgeſchnürten, gebilde-
ten Schönen tanzen geſehen, mich in hundert
Geſellſchaften gelangweilt und ruhig Eurem ſo-
genannten vernünftigen Treiben und Wirken,
Eurer Aeſthetik und Politik, Euren Diners und
Zweckeſſen, Euren Vereinen und all den tau-
ſend Narrheiten zugeſchaut und, was noch mehr
iſt, ich habe meine rechte Hand im Zaume ge-
halten, die täglich ſich in hundert Karikaturen
zu zeigen verlangte. Die Karikatur aber iſt
ein Baſtard der Kunſt, ein unwürdiger Sohn,
den die Mutter verleugnen muß, und zu deſſen
Vater ich mich und meinen ehrlichen Namen
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Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 2. Leipzig, 1843, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny02_1843/16>, abgerufen am 21.11.2024.
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