ten, das lassen wir dahingestellt sein. Jeden- falls aber war sie sich der eigensüchtigen Mo- tive, die zweifelsohne in ihrer Seele sich regten, nicht deutlich bewußt, sodaß sie die Lobsprüche der Pfarrerin mit ruhigem Gewissen annahm und sich Jenny gegenüber in einer stillen Größe erschien, welche es ihr leichter machte, sich füg- sam und nachgebend gegen sie zu betragen.
Ihrem Vorsatz getreu, schwieg die Pfarrerin gänzlich über die Entdeckung, welche Therese ihr gemacht hatte. Jenny that ihr leid und doch zürnte sie ihr, weil sie nicht daran zweifelte, daß Erlau wirklich einen Eindruck auf Jenny's bewegliche Phantasie gemacht und sie verleitet haben könnte, Reinhard untreu zu werden, wäre Erlau selbst ihr nicht zu rechter Zeit zu Hülfe gekommen. So lieb sie ihre künftige Schwie- gertochter hatte, konnte sie sich doch nicht ver- bergen, was sie stets gedacht und früher auch gegen ihren Sohn geäußert hatte, daß eine
ten, das laſſen wir dahingeſtellt ſein. Jeden- falls aber war ſie ſich der eigenſüchtigen Mo- tive, die zweifelsohne in ihrer Seele ſich regten, nicht deutlich bewußt, ſodaß ſie die Lobſprüche der Pfarrerin mit ruhigem Gewiſſen annahm und ſich Jenny gegenüber in einer ſtillen Größe erſchien, welche es ihr leichter machte, ſich füg- ſam und nachgebend gegen ſie zu betragen.
Ihrem Vorſatz getreu, ſchwieg die Pfarrerin gänzlich über die Entdeckung, welche Thereſe ihr gemacht hatte. Jenny that ihr leid und doch zürnte ſie ihr, weil ſie nicht daran zweifelte, daß Erlau wirklich einen Eindruck auf Jenny's bewegliche Phantaſie gemacht und ſie verleitet haben könnte, Reinhard untreu zu werden, wäre Erlau ſelbſt ihr nicht zu rechter Zeit zu Hülfe gekommen. So lieb ſie ihre künftige Schwie- gertochter hatte, konnte ſie ſich doch nicht ver- bergen, was ſie ſtets gedacht und früher auch gegen ihren Sohn geäußert hatte, daß eine
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ten, das laſſen wir dahingeſtellt ſein. Jeden-
falls aber war ſie ſich der eigenſüchtigen Mo-
tive, die zweifelsohne in ihrer Seele ſich regten,
nicht deutlich bewußt, ſodaß ſie die Lobſprüche
der Pfarrerin mit ruhigem Gewiſſen annahm
und ſich Jenny gegenüber in einer ſtillen Größe
erſchien, welche es ihr leichter machte, ſich füg-
ſam und nachgebend gegen ſie zu betragen.
Ihrem Vorſatz getreu, ſchwieg die Pfarrerin
gänzlich über die Entdeckung, welche Thereſe
ihr gemacht hatte. Jenny that ihr leid und
doch zürnte ſie ihr, weil ſie nicht daran zweifelte,
daß Erlau wirklich einen Eindruck auf Jenny's
bewegliche Phantaſie gemacht und ſie verleitet
haben könnte, Reinhard untreu zu werden, wäre
Erlau ſelbſt ihr nicht zu rechter Zeit zu Hülfe
gekommen. So lieb ſie ihre künftige Schwie-
gertochter hatte, konnte ſie ſich doch nicht ver-
bergen, was ſie ſtets gedacht und früher auch
gegen ihren Sohn geäußert hatte, daß eine
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Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 2. Leipzig, 1843, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny02_1843/53>, abgerufen am 24.11.2024.
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