Eurer Herzen nicht stören und erwarte Euch erst in einer halben Stunde in meinem Zim- mer", worauf sie sich rasch entfernte.
Es ging der sonst so klugen Frau, wie allen sehr förmlichen, abgemessenen Leuten, die, wenn sie einmal unbefangen und herzlich erscheinen wollen, gleich gänzlich aus der Rolle fallen und nur zu leicht die ungeschicktesten Verstöße begehen. Clara und William standen sich ver- legen gegenüber, was besonders den Letztern peinigen mußte, da er fühlte, wie unvortheil- haft ein Mann in solchem Falle erscheint. In- dessen wäre es fast Jedem an seiner Stelle ebenso ergangen, wenn er statt einer zärtlichen Braut, die ihn liebend begrüße, sehnsüchtig nach ihm verlange, ein Mädchen gefunden hätte, das ihn mit scheuer Zurückhaltung behandelte und offenbar eher erschreckt, als erfreut durch seine Anwesenheit war. Er fand Clara verändert, und theils um das peinliche Schweigen zu
Eurer Herzen nicht ſtören und erwarte Euch erſt in einer halben Stunde in meinem Zim- mer“, worauf ſie ſich raſch entfernte.
Es ging der ſonſt ſo klugen Frau, wie allen ſehr förmlichen, abgemeſſenen Leuten, die, wenn ſie einmal unbefangen und herzlich erſcheinen wollen, gleich gänzlich aus der Rolle fallen und nur zu leicht die ungeſchickteſten Verſtöße begehen. Clara und William ſtanden ſich ver- legen gegenüber, was beſonders den Letztern peinigen mußte, da er fühlte, wie unvortheil- haft ein Mann in ſolchem Falle erſcheint. In- deſſen wäre es faſt Jedem an ſeiner Stelle ebenſo ergangen, wenn er ſtatt einer zärtlichen Braut, die ihn liebend begrüße, ſehnſüchtig nach ihm verlange, ein Mädchen gefunden hätte, das ihn mit ſcheuer Zurückhaltung behandelte und offenbar eher erſchreckt, als erfreut durch ſeine Anweſenheit war. Er fand Clara verändert, und theils um das peinliche Schweigen zu
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Eurer Herzen nicht ſtören und erwarte Euch
erſt in einer halben Stunde in meinem Zim-
mer“, worauf ſie ſich raſch entfernte.
Es ging der ſonſt ſo klugen Frau, wie allen
ſehr förmlichen, abgemeſſenen Leuten, die, wenn
ſie einmal unbefangen und herzlich erſcheinen
wollen, gleich gänzlich aus der Rolle fallen
und nur zu leicht die ungeſchickteſten Verſtöße
begehen. Clara und William ſtanden ſich ver-
legen gegenüber, was beſonders den Letztern
peinigen mußte, da er fühlte, wie unvortheil-
haft ein Mann in ſolchem Falle erſcheint. In-
deſſen wäre es faſt Jedem an ſeiner Stelle
ebenſo ergangen, wenn er ſtatt einer zärtlichen
Braut, die ihn liebend begrüße, ſehnſüchtig nach
ihm verlange, ein Mädchen gefunden hätte, das
ihn mit ſcheuer Zurückhaltung behandelte und
offenbar eher erſchreckt, als erfreut durch ſeine
Anweſenheit war. Er fand Clara verändert,
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Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 2. Leipzig, 1843, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny02_1843/71>, abgerufen am 24.11.2024.
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