Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 2. Leipzig, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite

als er ihn aus dem Gesichte verloren hatte,
rief er: "Er geht zu seiner Braut." Wie ein
Todesstoß zuckte die Gewißheit durch sein Herz
und ein paar schwere Tropfen fielen aus seinen
Augen. Sie galten der verlornen Geliebten.
"Seit wie lange netzen solche Thränen die
Erde", sagte er, schmerzlich über sich selbst lä-
chelnd, "und noch immer will der Keim der
Freiheit nicht Wurzel fassen, der doch zum
Baume erwachsen wird, unter dem auch wir
einst Schatten finden müssen."



Nachdem die Commerzienräthin sich einiger-
maßen erholt hatte, war es nur der Gedanke
an Ferdinand, der sie unablässig beschäftigte.
Sie schrieb ihm, daß sie durch ihren Schwager
und durch William von dem Grunde unterrich-
tet sei, der ihn abhalte, nach Deutschland zurück-

als er ihn aus dem Geſichte verloren hatte,
rief er: „Er geht zu ſeiner Braut.“ Wie ein
Todesſtoß zuckte die Gewißheit durch ſein Herz
und ein paar ſchwere Tropfen fielen aus ſeinen
Augen. Sie galten der verlornen Geliebten.
„Seit wie lange netzen ſolche Thränen die
Erde“, ſagte er, ſchmerzlich über ſich ſelbſt lä-
chelnd, „und noch immer will der Keim der
Freiheit nicht Wurzel faſſen, der doch zum
Baume erwachſen wird, unter dem auch wir
einſt Schatten finden müſſen.“



Nachdem die Commerzienräthin ſich einiger-
maßen erholt hatte, war es nur der Gedanke
an Ferdinand, der ſie unabläſſig beſchäftigte.
Sie ſchrieb ihm, daß ſie durch ihren Schwager
und durch William von dem Grunde unterrich-
tet ſei, der ihn abhalte, nach Deutſchland zurück-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0093" n="83"/>
als er ihn aus dem Ge&#x017F;ichte verloren hatte,<lb/>
rief er: &#x201E;Er geht zu &#x017F;einer Braut.&#x201C; Wie ein<lb/>
Todes&#x017F;toß zuckte die Gewißheit durch &#x017F;ein Herz<lb/>
und ein paar &#x017F;chwere Tropfen fielen aus &#x017F;einen<lb/>
Augen. Sie galten der verlornen Geliebten.<lb/>
&#x201E;Seit wie lange netzen &#x017F;olche Thränen die<lb/>
Erde&#x201C;, &#x017F;agte er, &#x017F;chmerzlich über &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t lä-<lb/>
chelnd, &#x201E;und noch immer will der Keim der<lb/>
Freiheit nicht Wurzel fa&#x017F;&#x017F;en, der doch zum<lb/>
Baume erwach&#x017F;en wird, unter dem auch wir<lb/>
ein&#x017F;t Schatten finden mü&#x017F;&#x017F;en.&#x201C;</p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <p>Nachdem die Commerzienräthin &#x017F;ich einiger-<lb/>
maßen erholt hatte, war es nur der Gedanke<lb/>
an Ferdinand, der &#x017F;ie unablä&#x017F;&#x017F;ig be&#x017F;chäftigte.<lb/>
Sie &#x017F;chrieb ihm, daß &#x017F;ie durch ihren Schwager<lb/>
und durch William von dem Grunde unterrich-<lb/>
tet &#x017F;ei, der ihn abhalte, nach Deut&#x017F;chland zurück-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[83/0093] als er ihn aus dem Geſichte verloren hatte, rief er: „Er geht zu ſeiner Braut.“ Wie ein Todesſtoß zuckte die Gewißheit durch ſein Herz und ein paar ſchwere Tropfen fielen aus ſeinen Augen. Sie galten der verlornen Geliebten. „Seit wie lange netzen ſolche Thränen die Erde“, ſagte er, ſchmerzlich über ſich ſelbſt lä- chelnd, „und noch immer will der Keim der Freiheit nicht Wurzel faſſen, der doch zum Baume erwachſen wird, unter dem auch wir einſt Schatten finden müſſen.“ Nachdem die Commerzienräthin ſich einiger- maßen erholt hatte, war es nur der Gedanke an Ferdinand, der ſie unabläſſig beſchäftigte. Sie ſchrieb ihm, daß ſie durch ihren Schwager und durch William von dem Grunde unterrich- tet ſei, der ihn abhalte, nach Deutſchland zurück-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny02_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny02_1843/93
Zitationshilfe: Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 2. Leipzig, 1843, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny02_1843/93>, abgerufen am 21.11.2024.